Göteborg: Grüner Hafen

Grünfläche. 2700 Hektar in Summe, 175 Quadratmeter für den Einzelnen.
Grünfläche. 2700 Hektar in Summe, 175 Quadratmeter für den Einzelnen.(c) Per Pixel Petersson
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Göteborg war einst Werft- und Industriestadt und ist heute ein Vorzeigeprojekt der Nachhaltigkeit.

Schweden ist das Land der Zimtschnecken, genannt Kanelbullar. Der Lebensraum der weitaus größten Exemplare dieser Spezies – auch wenn einige Stockholmer das gar nicht gern hören – befindet sich zweifelsohne in der Altstadt von Göteborg. Es gibt sie überall, weil man so gern auf Fika geht, auf die berühmte und bei neoliberalen Arbeitgebern verhasste schwedische Kaffeepause zwischendurch. Die Zimtschnecke ist derart populär, dass viele den Klammeraffen „Kanelbulle“ nennen, so der Singular, weil es dem E-Mail-Zeichen irgendwie ähnelt. In Göteborg werden die Leute mit dieser Zimtschnecke nie so ganz fertig, sie ist einfach zu groß. Oft werden ihnen die Reste in Packpapier gewickelt, und sie haben noch am Abend was. Eine Fika-Möglichkeit bietet das berühmteste Kaffeehaus der Halbmillionen-Stadt, das stuckverzierte Café Husaren. Es führt geradezu gigantische und germreiche Kanelbullar. Plötzlich begreift man, wieso Schweden als Land mit dem zweithöchsten Kaffeeverbrauch gilt.

Hafen. Stadt und Bewohner sind dem Wasser zugeneigt. Draußen im Kattegatt liegen Schären.
Hafen. Stadt und Bewohner sind dem Wasser zugeneigt. Draußen im Kattegatt liegen Schären.(c) Per Pixel Petersson

Schiffe, Fische, allüberall. In dieser Stadt hat sogar das Opernhaus aus den Neunzigern eine Schiffsfassade. Und so ist Maritiman eines der größten Schiffsmuseen der Welt, manche sagen, das Beste, ein schwimmendes, mit 19 Originalschiffen, das älteste 137 Jahre alt. Aus den frühen Sechzigern stammt das knapp siebzig Meter lange Marine-Uboot HMS Nordkaparen mit 150 Meter Tiefenreichweite. Schiffskoch Johan Begtsson wunderte sich in seinem Tagebuch (1978) über den Arbeitsplatz: „Die Kombüse, oder besser gesagt, die Kochnische, ist nicht nur eng – sie existiert eigentlich kaum.“ Trotzdem gelang es ihm, die 37 Besatzungsmitglieder mit Köttbullar und ähnlichen Köstlichkeiten zu ernähren. Ob es auch Kanelbullar zur Fika gab, ist nicht überliefert. Jedenfalls ist Maritiman ein Museum, wo Besucher viele Leitern auf- und absteigen und eine Menge von der Geschichte der Stadt erfahren – hat ein echter Wiener eine tschechische Groß- oder Urgroßmutter, so ist ein echter Göteborger auf einen Großvater stolz, der in den lokalen Werften beschäftigt war: Göteborg, die Industrie- und Arbeiterstadt mit Haga, dem berühmten Werftarbeiterviertel, früher erste Vorstadt, heute ein frühes Beispiel für Gentrifizierung.

Der Fischmarkt ähnelt keinem Schiff, sondern einer Kirche, und er heißt auch so. „Feskekôrka“ ist Göteborger Dialekt für Fiskkyrkan, also Fischkirche. Drei Millionen Schweden bezeichnen sich als regelmäßige Fischer, fast jeder Göteborger hat eine Ausrüstung daheim – und trotzdem kommen alle Fischfreunde in die neogotische Halle aus dem Jahr 1874, unter anderem, um lokale Austern zu probieren.

Eine Gartengesellschaft. Die Stadt Göteborg hat 2700 Hektar Grünfläche, das sind 175 Quadratmeter pro Einwohner. Da ist einmal der Park Slottsskogen, der einst als Wald zur Älvsborg-Burg gehörte und heute eine Mischung aus Wiesen und Wäldchen darstellt, ein Picknickplatz mit gratis saftigen Walderdbeeren („smultron“). In den Tiergehegen stolziert das Nationaltier Elch ebenso herum wie Robben dort schwimmen und Pinguine stolpern. Dazu findet im Slottsskogen jährlich das dreitägige „Way out West“-Musikfestival im August mit über 20.000 Besuchern statt. Die Veranstalter agieren umweltfreundlich, die Verpflegung ist ausschließlich bio, die Waren fairtrade – heißt es – ein Öko-Siegel hat es errungen, das kann man sich bei einem Festival kaum vorstellen.

Palmenhaus. In Schottland kons­truiert und in Teilen nach Schweden  verschifft.
Palmenhaus. In Schottland kons­truiert und in Teilen nach Schweden verschifft.(c) Frida Winter/Göteborg und Co.

Nicht viel anders, nur langsamer und friedlicher, geht es im Trädgårdsföreningen, oder einfacher gesagt, bei der Gartengesellschaft von Göteborg zu. Einer der bestkonservierten 19.-Jahrhundert-Parks der Welt entstand 1842 auf Initiative eines Mannes namens Henrik Elof von Normann. Der hatte in einer Epoche gesteigerten Interesses für die Naturforschung die hochgefeierten botanischen Gärten von Berlin und Greifswald besucht und wollte unbedingt auch hier einen Verein wie die Royal Horticultural Society in England ins Leben rufen.

Er scharte um sich eine Gruppe von Enthusiasten, die mit Hilfe selbiger Gartengesellschaft bei den Mitgliedern der Oberschicht Fundraising betrieb. Der König gab ihnen ein ehemaliges Sumpfland, Architekten und Landschaftsplaner durften sich verwirklichen. Es fanden Samen- und Pflanzenmessen statt, und die Trädgårdsföreningen entwickelte sich bald zur führenden Pflanzenzüchtung des Landes. Ein Musikpavillon nahm seinen Betrieb auf, ein Café bot Schweizer Süßspeisen und Schokoladen an – 1826 war ja in Neuchâtel die Marke Suchard gegründet worden, sieben Jahre nach Cailler, das viel später von Nestlé gekauft werden sollte. Solche Attraktionen gab es in Skandinavien sonst nirgendwo, sogar die Stockholmer reisten an. Heute ist der Park allein schon wegen seiner Stadtlage unbezahlbar. Ideal geeignet für Mittagspause oder Fika.

1878 eröffnete auf Initiative eines anderen Privatmannes, Georg Löwegren, das in Schottland hergestellte und in Einzelteilen nach Schweden verschiffte Palmenhaus, erbaut aus Glas und Schmiedeeisen. Wie Palmenhäuser in ganz Europa war dieses Palmhuset ein Abbild des viktorianischen Crystal Palace in London, 1000 Quadratmeter groß, heute gegliedert in Natur-, Kamelien-, Mittelmeer-, Tropen- und Wasserhaus. Im 20. Jahrhundert wurde der Park weiterentwickelt, 1987 eröffnete das Rosarium, ein Prachtgarten mit über 1200 verschiedenen gezüchteten Rosensorten und einer berühmten Wildrosensammlung. Man versucht, nachhaltig und insektizidfrei zu wirtschaften, soll heißen, Vögel mit Futterboxen anzulocken, das scheint ganz gut zu funktionieren. Nicht zu vergessen: das Rosenkaféet, ein Lokal, in dem der berühmte Rosentee serviert wird. Im Juli wird ein Rosenfest veranstaltet, im Februar sind Kamelienwochen, und die Midsommer-Feiern sind ohnehin schwedische Meisterstücke.

Krabben. Meeresfrüchte sind Fixstarter auf den Speisekarten.
Krabben. Meeresfrüchte sind Fixstarter auf den Speisekarten.(c) Tina Stafrén

Die Botaniska – der Botanische Garten Göteborgs mit 16.000 Pflanzen auf 175 Hektar – wuchs aus einem Landhaus am Waldrand und ist heute ein Naturreservat mit einem begehbaren Teil, dem eigentlichen Garten und einem fast ebenso großen und nur für Mitarbeiter zugänglichen „Arboretum“. In diesem wissenschaftlich interessanteren Teil werden Bäume und Sträucher großgezogen, die es gelegentlich in den Hauptteil „schaffen“. Der Botaniker und Expeditionsreisende Carl Johan Fredrik Skottsberg (1880–1963) rief die Botaniska 1923 ins Leben, schon damals ein hügeliges Gartengebiet mit Gewächshäusern. Skottsberg, ein Patagonien- und Antarktis-Pionier, hatte nicht nur die Erholung des Volks oder die Pflege der Gartenkultur im Sinn, sondern auch die Forschung und die Ausbildung junger Wissenschaftler, deshalb die enge Verbindung zur lokalen Universität: Er gründete einen Exkursions- und Forschungsgarten.

Nördlichster Taschentuchbaum aus China. Während den Besuchern eine recht unskandinavische, fast tropische Vielfalt an Gerüchen entgegenströmt, hat der Botaniska vor allem die äußerlich unspektakuläre Wildsammlung von Zwiebel- und Knollengewächsen zu einem Platz auf der Weltkarte botanischer Forschung verholfen. Zu den erstaunlichsten Gewächsen gehört neben denen im wilden und dschungelhaften Smith’s Tal und dem wohl nördlichsten Taschentuchbaum aus China (sieht wunderbar aus, wie eine ironische Werbung für feuchte Tempo-Taschentücher) ein Sophora Toromiro, unauffällig, mit winzigen Blättern, aber ziemlich wertvoll – dessen Samen der Anthropologe Thor Heyerdahl (1914–2002) nach Göteborg hatte senden lassen.

Kanelbulle. Das Zimtgebäck scheint für Schweden  identitätsstiftend.
Kanelbulle. Das Zimtgebäck scheint für Schweden identitätsstiftend.(c) Superstudio

Dieser legendenumrankte Strauch hatte einst die Vegetation der Osterinseln beherrscht, war bei der Ankunft der Europäer schon im Rückgang begriffen gewesen. Die Plantagenwirtschaft im 20. Jahrhundert hatte ihm den Rest gegeben – Heyerdahl war der Überzeugung, dem allerletzten Exemplar in dessen endemischer Heimat begegnet zu sein. In Göteborg gelang es in den frühen Siebzigerjahren, aus fünf dieser Samen einen kleinen Strauch zu ziehen, der inzwischen der Urahn einer neuen Generation von hoffentlich widerstandsfähigen Toromiros wurde, weitergegeben unter den Botanischen Gärten der Welt. Ein Versuch, die empfindliche Pflanze auf die Osterinseln zurückzusiedeln, scheiterte aufgrund einer Pilzinfektion, wiederum soll nunmehr nur ein einziges Exemplar dort ansässig sein.­  

Inselglück. In Saltholmen, bequem mit der Straßenbahnlinie 11 erreichbar, legen Schiffe ab am Färjeterminal zu den Schären, eine Bezeichnung für kleine, felsige Inseln, wie sie im Norden oft in Mengen auftreten. Als Göteborger Schärengärten wird ein kleines Archipel im Kattegat bezeichnet, vierzehn Inseln mit Fischerdörfern, bunten Holzhäuschen und versteckten Buchten, Vargö zum Beispiel, ein Naturschutzgebiet, in dem unter anderem der schwarz-weiße Tordalk zu beobachten ist; oder Styrsö hinter der Wetterscheide, wo meist die Sonne scheint, wenn Göteborg verregnet ist. Regen macht in der Stadt jedoch wenig aus. Man flüchtet einfach in ein Café. Und wer von der Zimtschnecke nicht alles runterkriegt, könnte in seinem korrektesten Schwedisch sagen: „Bitte packen Sie mir die Kanelbulle ein, ich bin nämlich Göteborger.“

Tipps

Clarion Hotel Post. Designhotel im alten Postamt, nordicchoicehotels.se/clarion/clarion-hotel-post

Museum Maritiman. www.maritiman.se/de

Café Husaren. Stuck und Zimtgebäck,
www.cafehusaren.se

Botaniska. Ganzjährig 9–21 Uhr, www.botaniska.se

Trädgårdsföreningen. Park der Gartengesellschaft, Palmenhaus, www.tradgardsforeningen.se

Göteborg City Card. Freifahrt mit allen Öffis, Eintritt in diverse Museen inkludiert. Für 24, 48 und 72 Stunden, www.goteborg.com/en/citycard

Volvo und Celsius. Für die Automarke ist Göteborg weltweit bekannt. Inzwischen wurde das Kerngeschäft, die Volvo Personvagnar, aber an die chinesische Marke Geely verkauft. Nicht gerade ideale Voraussetzungen für die Umstellung zur Umwelt­vorzeigestadt. Dabei hilft das EU-Umweltprojekt Celsius, das sinnvolle Heizung und Kühlung in Städte bringen will. Göteborg hat sich federführend mit über 60 Städten zusammengeschlossen und ist selbst auf dem Weg, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.

Gothenburg Green World 2016. Ein richtungsweisendes Jahresprojekt mit klassischer Gartenkunst, einzigartigen Botanikausstellungen, grünen Installationen und Oasen und Mustergärten in der ganzen Stadt, gothenburggreenworld.com

Liseberg, Vergnügungspark mit tollen Hochschaubahnen, www.liseberg.com

Der Autor war Gast von Gothenburg Green World 2016.

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