Hering: Lulu, Rose Bernd und die Alchemie

Frei, doch präzise. Bettina Hering vernetzt Frauenthemen in Salzburg.
Frei, doch präzise. Bettina Hering vernetzt Frauenthemen in Salzburg.Salzburger Festspiele (Lukas Beck)
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Bettina Hering, Salzburgs neue Schauspielchefin, erzählt, warum sie Wedekind und Hauptmann zusammenbringt und von ihren drei Töchtern.

Nach dem Abitur ist sie 16 Monate durch die Welt gereist, nach Lateinamerika und Südostasien. Mit Rucksack und übernachtend im Zelt kann man sich die 1960 geborene Zürcherin Bettina Hering, zuletzt Direktorin des NÖ Landestheaters in Sankt Pölten, ab heuer Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele, heute nicht mehr so recht vorstellen. Inzwischen ist die Mutter dreier Töchter wohl auch sesshafter geworden. 

Für ihr erstes Programm war ihr vor allem wichtig, dass es mit Musiktheater und Konzerten vernetzt ist. Markus Hinterhäuser hat seine erste Saison als Intendant in Salzburg. Was ist los mit dem Theater? Originale Texte werden immer stärker bearbeitet und verfremdet. Wird man "seinen" Don Karlos oder Faust irgendwann überhaupt noch wiedererkennen? "Es gibt eine Form von Pluralismus und Theaterpluralismus", sagt Hering: "Ich finde das wichtig und spannend, dass die Bühnenkunst nach allen Richtungen aufbricht. So neu ist das allerdings nicht. Theater hat schon immer verschiedene Kunstformen integriert und zum Beispiel Erzählungen dramatisch ausstaffiert." Ferner sei Bühnenkunst in verschiedenen Ländern unterschiedlich, das französische oder das englische Theater bleibe mehr bei den Originaltexten als das deutsche, und man kenne dort auch nicht die von Schiller einst propagierte "moralische Anstalt". Moral? Wer mag die heute noch am Theater sehen? Hering: "Ja, Moral ist ein schwieriges Wort. Das Aufklärerische ist heute sehr komplex und kompliziert geworden. Eine Form von Aufklärung ist daher nicht, Antworten zu geben, sondern Dinge zur Diskussion zu stellen."

Herings Vater war Kaufmann, die Mutter Hausfrau, mit Kunst hatte niemand in ihrer Familie zu tun. Trotzdem wurden ihre kulturellen Interessen stark gefördert: "Ich habe früh sehr viel gelesen. Ich habe getanzt und Klavier gespielt. Meine Ballettlehrerin kam von der Zürcher Oper, wo wir aufgetreten sind. Wir waren die Tanzmäuse! Mich hat das total fasziniert. Aber sehr bald war mir klar, dass mich anderes mehr interessiert." Fernsehen war keine große Attraktion daheim: "Wir hatten einen Schwarz-Weiß-Fernseher, eine kleine Kiste. Die Schweiz ist eine sportbegeisterte Nation. Wir haben Skirennen angeschaut."

Das Schweizerische. Was macht den typischen Eidgenossen überhaupt aus? "Die Sprache ist skurril. Das ganze Schweizerische ist etwas schräg, auch der Humor, wie man ihm auch immer wieder im Theater und in der bildenden Kunst begegnet", sagt Hering. Was ist an ihr schweizerisch? "Schweizer denken langsam und genau. Ein Thema wird umkreist und erst dann wird, durchaus abrupt, finalisiert bzw. wenn der Denkvorgang abgeschlossen ist, wird gehandelt. Das ist auch bei mir so." Das Österreichische sei ihr durch die Literatur nahe gerückt, "ein riesiger Kosmos, der mir vertraut war, bevor ich nach Wien gezogen bin. Ich fühle mich wohl hier und habe mich immer wohlgefühlt." Theater ist kein besonders familienfreundlicher Beruf, trotzdem hat Hering drei Töchter aufgezogen: "Sie sind jetzt 24, 20 und 19 Jahre alt. Sie sind teilweise in einem kreativen Milieu beschäftigt und in der Selbstfindungsphase." Dabei werden sie von der Mama unterstützt, denn: "Man muss sein eigenes Profil schärfen und klären: Was will ich?"

Partizipation. Hering hat bei dem bekannten Schweizer Germanisten und Schriftsteller Peter von Matt studiert, ein Studium der Theaterwissenschaften gab es damals noch nicht: "Germanistik war meine erste Wahl, ich habe dann noch Philosophie und anthropologische Psychologie dazugenommen." Das spektakulärste Projekt ihrer ersten Salzburger Saison wird vermutlich Horv ths "Kasimir und Karoline" mit Laien werden. Über 300 Leute haben sich beworben, 25 wurden ausgewählt. Wer sind die Regisseure? Hering: "600 Highwaymen leben in New York und haben viele Projekte in den USA, aber mittlerweile auch in Europa realisiert, immer in partizipativer Form. Die beiden Theatermacher heißen Abigail Browde und Michael Silverstone. Zuletzt waren sie mit ,The Record in Bristol. In Salzburg hatten wir ein riesiges und aufregendes Casting. Wir haben viel Zeit und Liebe in dieses Projekt gesteckt." Wie funktioniert die Verständigung? "Gespielt wird auf Deutsch, bei den Proben wird aus dem Englischen übersetzt." Wo liegen nun die Verbindungen zwischen Schauspiel und Musik? Hering: "Für mich gibt es viele Parallelen zwischen ,Rose Bernd und ,Wozzeck von Alban Berg. In beiden Stücken sieht man die Strategien der Macht und auch die Verlierer dieser Strategien der Macht. Wozzeck richtet seine Wut gegen die Unterdrückung nach außen, Rose Bernd nimmt ihr Schicksal mehr nach innen, in sich, was auch zum Bild der Zeit passt."

Lulu wiederum habe Gemeinsamkeiten mit Lady Macbeth von Mzensk aus der Schostakowitsch-Oper, beide Frauen seien "ikonische Figuren", die vorführen, wie Frauen ihre Stärke gebrauchen. Drei Schauspielerinnen werden Lulu verkörpern, derzeit ist das in Mode: "Es war keine modische Überlegung, sondern eine inhaltliche", widerspricht Hering zart. "Wie kann man dieser Figur gerecht werden, die gleichzeitig Schwefel, Salz und Petrisäure verkörpert, eine Alchemie. Diese wollen wir darstellen, in der Ästhetik von Athina Rachel Tsangari, die Filmregisseurin ist, drängt sich das geradezu auf: Lulu ist ein aufgesplittertes Wesen. Man kann psychologische Erhebungen mit ihr anstellen, wird sie aber nicht entschlüsseln. Das wäre auch uninteressant. Wedekinds Sprache war für die damalige Zeit experimentell, das Gleiche gilt für die Form seiner Stücke und die Sprünge, die er innerhalb der Dramen vornimmt. Wedekind ist zu neuen Ufern aufgebrochen. Wenn man denkt, dass Hauptmann ein Zeitgenosse war." "Präzise, doch frei denken", "fächerübergreifend arbeiten" und "über den Tellerrand schauen", lautet Herings Devise.

Tipp

Salzburger Festspiele. Viel Frauenpower heuer. Shirin Neshat inszeniert Verdis "Aida", Karin Henkel Hauptmanns "Rose Bernd", Andrea Breth Pinters "Geburtstagsfeier", Athina Rachel Tsangari auf der Perner Insel in Hallein Wedekinds "Lulu", Festspiele: 21. Juli bis 30. August.

("Kultur Magazin", Print-Ausgabe, 14.4.2017)

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