London Tower: Vom Glanz einer Krone im Dienste der Nation

Mächtiges Mauerwerk schützt die englischen Kronjuwelen, der letzte Diebstahlversuch war vor 350 Jahren. Neugierige Blicke freilich sind erlaubt. Die Queen selbst darf die Krone auch nur zu Dienstanlässen tragen.
Mächtiges Mauerwerk schützt die englischen Kronjuwelen, der letzte Diebstahlversuch war vor 350 Jahren. Neugierige Blicke freilich sind erlaubt. Die Queen selbst darf die Krone auch nur zu Dienstanlässen tragen.Reuters
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Die Sammlung kostbarer Edelsteine und höchster Goldschmiedekunst im Londoner Tower erzählt von tausend Jahren englischer Monarchie. Ausgeführt werden die Insignien des Königshauses allerdings selten.

2868 Diamanten, 17 Saphire, elf Smaragde, 269 Perlen und vier Rubine schmücken die Imperial State Crown. Zu den Diamanten zählt der Cullinan II, auch bekannt als Second Star of Africa und mit 317 Karat einer der größten Diamanten der Welt. Perlen aus dem Besitz von Elizabeth I, die von 1558 bis 1603 regierte, weitere von Maria Stuart und Katharina von Medici sowie ein Saphir, der im 11. Jahrhundert König Edward dem Bekenner gehört haben sollte, machen die Krone auch historisch überaus bedeutsam. Kein Zweifel: Dies ist kein Accessoire für jeden Tag, und es wäre doch ärgerlich, es zu verlieren.

Dennoch ist dies die Krone, die am häufigsten den Hochsicherheitstrakt verlässt, in dem die Besucher des Tower und seiner Schatzkammer – immerhin zweieinhalb Millionen pro Jahr – auf Rollbändern an den Kronjuwelen vorbeigefahren werden. Denn sie ist die Dienstkrone der Königin. Wann immer Elizabeth II. im House of Lords das Parlament eröffnet – seit 2009 ist das nicht mehr im November, sondern alljährlich im Mai der Fall –, steht zwischen funkelnden Diademen und juwelenbesetzten Schwertern in einer leeren Vitrine ein kleines Schild mit den Worten „in use“.

Eigentum Englands

Die Coronation Crown verlässt nur zur Krönung eines Monarchen den Tower. Die Dienstzeiten der Imperial State Crown sind zwar häufiger, doch die Königin darf sich nicht in der Schatzkammer bedienen, wenn sie etwa einen Theaterbesuch plant. „Jedes Stück hat eine klar definierte Bestimmung“, erläutert Steve Sullivan, der als Deputy Chief Exhibitor die Ausstellung der Juwelen betreut. Private Zwecke zählen nicht dazu, denn die Kronjuwelen gehören nicht der Monarchin, sondern der Nation. Und so liegen Szepter, Reichsäpfel und Krönungsutensilien nicht im Schrank der Königin herum, sondern im Upper Wakefield Tower. Hier bilden sie eine der meistbesuchten Attraktionen des Königreichs.

Die Schätze der Krone sind auf drei Paläste im Londoner Raum aufgeteilt: Kensington Palace beherbergt die Royal Dress Collection, der außerhalb gelegene Palast Hampton Court eine Sammlung kostbarer Wandteppiche, der Tower bewahrt seit 1303 neben der Waffensammlung auch die Kronjuwelen auf. „Es ist der sicherste Ort, den es für die Sammlung geben kann“, sagt Steve Sullivan. Denn die Festung schützt nicht nur starkes Mauerwerk, hier lebt hinter leuchtend blauen Türen auch eine kleine Gemeinde, die ausschließlich mit der Bewachung des Schatzes betraut ist. Unterstützt werden sie von Angehörigen der Armee.

Seit die Juwelen 1661 nach Bürgerkrieg und Cromwell-Regime hierher zurückgebracht wurden – oder vielmehr das, was nach dem Sturz der Monarchie von ihnen übrig war, denn während dieser aus Sicht des Hofs recht unseligen Episode wurde ein Großteil eingeschmolzen oder verkauft –, hat es nur einen Diebstahlversuch gegeben. Und der liegt immerhin rund 350 Jahre zurück.

Anblick des Allerheiligsten

2017 war das 65. Dienstjubiläum von Elizabeth II., und die Sammlung ist nach wie vor ein Besuchermagnet. Ein restaurierter Film, der ihre Krönung am 2. Juni 1953 zeigt, füllt eine ganze Wand, dazu erschallen Krönungschoräle und die feierlichen Worte des Erzbischofs von Canterbury. Auf diesen Bildern trägt die junge Elizabeth, deren Vater und Amtsvorgänger schon 16 Monate zuvor gestorben war, die St.-Edward's-Krone. Sie wurde 1661 nach elf königslosen Jahren für die Krönung des aus dem Exil heimgekehrten Charles II. aus massivem Gold hergestellt. „God save the Queen“, ist vom Band zu hören, auf der Videowand reißt Prinz Charles als kleiner Junge die Augen auf, die singenden Peers in der Abtei setzen ihre eigenen Kronen auf. So wird der Besucher auf den Anblick des Allerheiligsten eingestimmt. „Sind Sie bereit, die Krone zu sehen?“, fragt Sullivan, zu dessen Aufgaben es auch gehört, die beiden jeweils zwei Tonnen schweren Stahltüren zur Sammlung morgens zu öffnen und abends zu schließen.

In den vergangenen 65 Jahren haben nur drei Menschen die über zwei Kilogramm schwere St.-Edward's-Krone berührt: die heutige Königin, der Erzbischof von Canterbury und seither nur der Hofjuwelier, der das Stück einmal im Jahr von Staubpartikeln befreit. „Sie ist nicht die wertvollste Krone der Sammlung, aber als Symbol königlicher Autorität die wichtigste“, präzisiert Sullivan. Denn sie wird ausschließlich für den letzten Teil der Krönungsmesse verwendet: den Moment der Krönung. Ist die Transformation zum Monarchen vollzogen, greift der neuerlich zur Dienstkrone; die St.-Edward's-Krone wird verstaut und in den Tower zurückgebracht.

Funkeln im weißen Licht

Dort scheinen die Kronjuwelen auf dunkelblauem Tuch im Halbdunkel eher zu schweben als zu ruhen; nichts lenkt das Auge des Betrachters ab vom Funkeln der Edelsteine im weißen Licht. Am Ende der Reihe ruht die Krone der 2002 im Alter von 101 Jahren gestorbenen Queen Mum. Diese eher zierliche Krone passte ebenso zur Statur der Trägerin wie zu ihrer nachgeordneten Position als „Queen Consort“, als Gattin eines Königs. Sie schmücken dennoch 2800 Diamanten, darunter der Koh-i-Nûr, ein funkelndes Beutestück aus Indien.

Die etwas angejahrten Kästen und Koffer, in denen die Krönungsutensilien zwischen Tower und Westminster Abbey hin- und herreisen, sind ebenfalls zu sehen. Zu ihnen zählt ein 1661 gefertigter Adler, aus dessen Schnabel während der Krönung geweihtes Öl tropft, sowie der aus dem Jahr 1199 stammende Löffel, der dieses Öl auffängt, bevor es auf Hände, Brust und Kopf des neuen Monarchen getupft wird. Andere Dinge sind häufiger unterwegs: zum Beispiel das tragbare Becken für die Taufen von Königskindern, das noch in diesem Jahr nach der Geburt des dritten Kindes von Prinz William und seiner Kate zum Einsatz kommen wird.

Langgedient, viel geliebt

Wiewohl die Frauen des Hauses Windsor als langlebig gelten, ist auch der nächste Einsatz der St.-Edward's-Krone in der Westminster Abbey absehbar. „Sie und ich werden es erleben“, meint Steve Sullivan. Er wirft einen Blick auf das Porträt seiner Königin als junge Frau. „Nicht viele Leute machen ihre Arbeit so lang und so gut.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.1.2018)

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