Vetements: Alchemie und Wurstigkeit

Museal. Eine Stereotypen-Kollektion im Pariser Centre Pompidou.
Museal. Eine Stereotypen-Kollektion im Pariser Centre Pompidou.(c) APA/AFP/ALAIN JOCARD
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Das Pariser Label Vetements genießt derzeit Kultstatus. Eine Lesart des Erfolges unter dem Zeichen der Postironie und der Wurstigkeit einer Insider-Clique.

Ironie und Mode, das ist so eine Sache. Schließlich ist für manch einen das Laufstegtreiben schon per se nur schwer ernst zu nehmen. Dass das die Wahrheit – oder Grundaussage – sein soll, zu der eine ironische Position Distanz einnehmen würde, ist entsprechend schwer vermittelbar. Freilich, es gibt einige Designer, die das Mittel der Übertreibung so kompromisslos bemühen (etwa Jeremy Scott, Vivienne Westwood, John Galliano) oder sich so hemmungslos als Fashion-Demiurgen gerieren (man denke nur an die Bühnenbildaufbauten der Defilees von Karl Lagerfeld für Chanel), dass man sie fallweise als die übertreibungsversessenen Ironiker der Mode verstehen mag.

In eine gänzlich andere Richtung zielt das Pariser Avantgardemodelabel Vetements, gegründet von Demna Gvasalia und einer Gruppe von Insidern, die aus ihren Brotberufen in der Modebranche ausbrechen und etwas Neues schaffen wollten. Das ist ihnen auch gelungen, und zwar so erfolgreich, dass die Marke innerhalb weniger Saisonen zu einer der begehrtesten der Modewelt avancierte und eine Einladung zur Vetements-Show derzeit als das womöglich „hottest ticket“ unter allen Pariser Schauen gilt. Auf kommerzieller Ebene ist künstliche Verknappung unverzichtbarer Teil des Konzepts: Nur ausgewählte Händler vertreiben eine recht überschaubare Stückzahl pro Modell, wobei das Preisniveau entsprechend hoch ist.

Radikale Kontextverschiebung. Die Grundaussage bekommt man freilich schon im Markennamen auf die deutlichst denkbare Weise vermittelt, und sie funktioniert auf zwei Ebenen: „Vêtements“ bedeutet im Französischen Bekleidung, Kleidungsstücke. Das ist bewusste Koketterie mit einer Vorstellung absoluter Normalität, in ein hochpreisiges Umfeld transplantiert. In einem Interview mit der deutschen Kunstzeitschrift „032c“ sagte Demna Gvasalia etwa: „Uns eint eine sehr feste Meinung über die Branche und ihre Mechanismen, an denen wir nicht teilnehmen wollen. Wir wollen nicht Teil einer Vorstellung von Mode sein, in der es um Glamour geht und etwas Superexklusives, Unerreichbares.“

Gaststar. Designerin Helga Ruthner modelte zuletzt für Vetements.
Gaststar. Designerin Helga Ruthner modelte zuletzt für Vetements.(c) APA/AFP/ALAIN JOCARD

Aufgrund der neutralen Bedeutung von „Vêtements“ (im Unterschied zu der im Vergleich deutlich konnotationsreicheren „Mode“) prangt etwa auch auf den im Pariser öffentlichen Raum aufgestellten Altkleidercontainern der Schriftzug VÊTEMENTS – in Großbuchstaben. Akkurat diese grafische Lösung stellt, mit der minimalen Änderung eines fehlenden Accent circonflexe (ê), letztlich das Logo von Vetements dar: Eine Modemarke, die sich für diese Option der Selbstdarstellung entscheidet, signalisiert deutlich, dass sie mit den Upmarketing-Gepflogenheiten des Luxussektors nichts am Hut haben möchte. Und das, obwohl sie sich ihrer ohne jeden Zweifel selbst bedient. Hier komm ich her, hier geh ich hin – das ist eine sich anbietende Lesart aus der Altkleidersammelstellenaffinität von Vetements.

Der ästhetische Zugang ergibt sich aus dieser radikal verneinenden Attitüde: Das Grundrezept ist eine Verpflanzung von Streetwear auf den Laufsteg, in einer Weise, wie dies nicht zum ersten Mal geschieht. In einem Grundlagenwerk über Streetstyle beschrieb Popkultur-Spezialist Ted Polhemus 1994 das Phänomen des Bubble-up, also des Eindringens von Streetstyle-Codes in die Luxusmode. Zugleich warnte Polhemus: „Die Authentizität und der Sinn subkultureller Identität, wie Street­style ihn darstellt, gehen verloren, wenn er zur ,neuesten Mode der Saison‘ wird, also etwas, was gekauft und getragen werden kann, ohne dass es Bezüge zu der ursprünglich subkulturellen Bedeutung gibt.“ Das ist im vorliegenden Fall speziell bedeutsam.

Auf die Spitze getrieben hat Gvasalia die radikale Ambivalenz des Imagetransfers zuletzt bei der Präsentation seiner „Stereotypes“-Kollektion im Jänner: Verwirrung stiftete da zum Beispiel die Tatsache, dass eine reine Ready-to-wear-Kollektion während der Pariser Haute-Couture-Schauen gezeigt werden durfte. Während alle großen Maisons nach dem bewährten Kalendermodell ihre Sommer-Couture präsentierten, schickte Vetements Konfektion für den Herbst durch das Centre Pompidou. Die Wiener Designerin Helga Ruthner (Wendy & Jim), die aufgrund einer langjährigen Verbundenheit mit der russischen Stylistin und Gvasalia-Vertrauten Lotta Volkova als Model bei diesem Defilee mitwirkte, findet allen sich vordergründig anbietenden Lesarten zum Trotze nicht, dass Vetements mit den herrschenden Gepflogenheiten breche: „Gvasalia und die Vetements-Leute arbeiten ganz bewusst mit dem Modesystem. Dass es sich um einen disruptiven Ansatz handeln soll, ist nur eine Phrase und stimmt so nicht. Besonders durch Gvasalias Tätigkeit für Balenciaga (er wurde im Oktober 2015 zum Chefdesigner des Traditionshauses ernannt, Anm. d. Red.) ist eine große Verantwortung inmitten des Systems entstanden“, so Ruthner.

(c) APA/AFP/ALAIN JOCARD

Subkulturelle Identität. Das Upgraden von Streetstyle ist nichts Neues, und auch der Wunsch, in einem sehr saturierten, an sich selbst verzweifelnden Modesystem eine ungewöhnliche Aussage zu treffen, ist es nicht. Neu (weil rezenter) ist die Möglichkeit, die Vetements-Herangehensweise etwa in das Konzept eines postironischen Zeitalters einzuschreiben, wie es für andere Facetten der Kulturproduktion bereits konstatiert wurde. Denken ließe sich zudem an den Begriff der ­„Pa­radessenz“, den der Schriftsteller Alex Shakar in seinem Roman „The Savage Girl“ (2001) prägte. Dieser Terminus, auch im Roman im Werbeumfeld angesiedelt, soll als jedem Produkt innewohnende Doppelidentität fungieren.

Sie würde ermöglichen, dass jeder Gegenstand mit unterschiedlichen, eigentlich konträren Aussagen vermarktet werden kann beziehungsweise „funktioniert“. Auch den Begriff der Postironie prägte Shakar in demselben Roman, und er läutete damit eine Ära der „ironic earnestness“ und damit der potenziell allgegenwärtigen Verunsicherung über das Wahre und das ironisch Gemeinte ein. Im Jahr der postfaktischen oder besser: von „alternativen Fakten“ begleiteten Machtergreifung Donald Trumps scheinen dieser Begriff und die Vorstellung einer heiter vermischten Ironie-Ernst-Hybridität ohnehin aktueller denn je zu sein.

Die ästhetischen Vorschläge von Vetements lassen sich somit als dual lesbarer (im Sinne des Antagonismus: Affirmation vs. Absage) und eben postironischer Kommentar zu den Dresscodes jener Fashion-Insider lesen, deren nonchalanter, für Uneingeweihte oft nahezu vernachlässigt wirkender Look aufgegriffen und einem vorbehaltlosen Upmarketing-Prozess unterzogen wird. Das Ganze verläuft aber nicht ohne einen Des-Kaisers-neue-Kleider-Effekt: Rasch wirken nämlich diese Vetements (oder eben „vêtements“) deplatziert oder machen sich als Fremdkörper am Träger aus, wenn dieser nicht die richtige Grundhaltung mitbringt. Auch dass sich bestimmte Vertreter des Fashion-Establishments im Umfeld von Vetements als Eindringlinge in einen fremden Kosmos ausmachen, ist bezeichnend.

So passt Anna Wintour in ihrem Winterpelz und mit frisch auffrisiertem Bob ebenso wenig in die Frontrow eines Vetements-Defilees, wie Kim Kardashian sich selbst (oder der Marke, die, wie man hört, auf diesen Support keineswegs erpicht ist) einen Gefallen tut, wenn sie im upgegradeten Schlabberoutfit von Vetements fotografiert wird: Der Imagetransfer eines dezidierten Proll-Looks funktioniert an Inkarnationen alternativer Coolness wie Demna Gvasalia, Lotta Volkova und ihrer stilsicheren Entourage. An Kim Kardashian fällt der alternative Look aber zusammen wie ein zu rasch aus dem Ofen geholtes Soufflé und entbehrt auf einmal jedweder Coolness.

Ultranormal. Im Alltagsleben fast unsichtbare Styles, via Stylebop.com.
Ultranormal. Im Alltagsleben fast unsichtbare Styles, via Stylebop.com.(c) Stylebop.com

Gvasalia spannt mit dem Vetements-Kollektiv in der Mode ein Narrativ der Dystopie und der Negation auf, dessen erneutes Auftauchen – zumal mit dieser Radikalität – zu einem Zeitpunkt der völligen Systemüberlastung einererseits überraschen mag, sich andererseits völlig natürlich aus den Konsequenzen der allgemeinen und völligen Saturierung bei gleichzeitig fehlender Originalität ergibt. Das erinnert an die Umstände, die in den Achtzigerjahren das Auftauchen (oder Eindringen) von Designern wie Helmut Lang oder Martin Margiela in das Modesystem begleiteten. Auch Jörg Ehrlich, Designer des deutschen Labels Odeeh, fühlt sich an diesen Moment erinnert: „Das sind Leute, die eine bestimmte Methode radikalisieren, einen neuen Ansatz suchen und sagen, es ist uns egal, ob allen gefällt, was wir tun.“

Lusso povero. Das impliziert nicht nur Radikalität, sondern auch das Bekenntnis zu Originalität, wobei „original“ im eigentlichen Sinn in Gvasalias Kollektionen ja das wenigste ist – und das ist Teil des Programms. Denn die Haltung des Designers ist eben keine hyperbolisch-humoristische und auch keine demiurgische: Hier sollen keine neuen Ecken des Weltalls auf dem Laufsteg ausgelotet werden, sondern Gvasalia und seine Mitstreiter bemühen unentwegt und bis zum Erbrechen Zitate. Das führt so weit, dass, wie im Fall der jüngsten Kollektion, fraglich wird, wie die völlig unzusammenhängenden Runway-Entwürfe in eine kommerziell praktikable Übersetzung gebracht werden sollen. Aufgehen wird die Rechnung der Vetements-Macher aber trotzdem: Denn sie sind die alchemistischen Meister der Kontextverschiebung und adeln – das hat dann doch wieder etwas Demiurgisches – gewöhnliche Kleidungsstücke, machen aus ihnen hochpreisige Designerklamotten. Das kann an die Readymades von Marcel Duchamp erinnern oder die Arte povera.

Diese Art des Modeschaffens ist das Ergebnis einer sehr persönlichen Motivation: „Vetements entstand in einem Moment, als einige Freunde und ich sehr frustriert waren in unserem Pariser Leben. Niemand war aus Frankreich, alle hassten wir unsere Jobs. Also beschlossen wir, Vetements als ein Projekt zu starten, das unseren Hunger nach Mode stillen würde und uns erlaubte, die Klamotten zu machen, die uns gefallen“, sagt Gvasalia im „032c“-Interview. In der Tat referenziert der Laufsteglook von Vetements nicht zuletzt die Bekleidungsgewohnheiten ­– die „codes vestimentaires“ – jener kreativen Elite, die in der Mode ganz oben angekommen ist und diverse Spitzendesignposten innehält, sich für die eigene Bekleidungsform aber einen selbstbewussten „Je-m’en-foutisme“ leisten kann.

Diese Haltung, in Österreich würde man Wurstigkeit sagen, ist stimmig, wenn sie von selbst gewählten Rookies zur Schau getragen wird. Um es mit Bourdieu zu sagen: Hier haben sich Individuen, die als Kreativchefs bereits im relativen Zentrum ihres Feldes kultureller Produktion angekommen waren – und somit als Teil des Establishments gelten konnten – wieder in eine selbst gewählte Avantgardeposition am Rande des Feldes zurückgezogen.

„Da geh ich hin“. Das Logo kommt von Pariser Altkleidercontainern.
„Da geh ich hin“. Das Logo kommt von Pariser Altkleidercontainern.(c) Ville de Paris

Kunst der Verknappung. Potenzielle Kunden finden an der diffusen Antihaltung von Vetements Gefallen und sorgen regelmäßig dafür, dass die Kollektionen früh ausverkauft sind: „Wir haben den Trend zur Luxury Streetwear frühzeitig erkannt und führen Vetements bereits in der dritten Saison“, berichtet Mario Eimuth, Gründer des Onlinestores Stylebop.com, und ergänzt: „Die Ware der neuen Frühjahr-Sommer-Kollektion ist schon jetzt zu über 60 Prozent ausverkauft – wir bemühen uns bereits um eine Nachlieferung besonders begehrter Teile.“

Wer Vetements trägt, kann also guten Gewissens behaupten, etwas zu besitzen, was nicht jeder hat. Und, das ist ebenso bedeutsam, auch etwas, was nicht jeder versteht. Denn so kostspielig und schwer zu bekommen diese Kleidungsstücke auch sein mögen: Gerade, wenn man an Teile aus der zuletzt gezeigten „Stereotypes“-Kollektion denkt, besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie, im Alltagsleben angekommen, als Beispiele absoluter Normalo-Klamotten ganz einfach untergehen. Das Risiko dieser paradoxen Doppeldeutung dürften Vetements-Träger aber nicht nur in Kauf nehmen, sondern als verinnerlichte und sehr subtile Distinktionspraxis sogar besonders schätzen.

Helga Ruthner bietet im Gespräch einen möglichen Erklärungsansatz: „Ich erinnere mich noch, wie es für mich war, als ich als Teenager meine ersten Teile von Margiela gekauft habe. Sie waren sündteuer, aber ich hatte das Gefühl, Teil von etwas sein zu können, das gerade erst entsteht.“ Somit ist letztlich der überraschende Erfolg von Vetements, egal, wie man nun die Kollektionen im Einzelnen beurteilen mag, ein beruhigendes Indiz dafür, dass auch heute – also selbst nach einem schon wiederholt konstatierten Tod der Mode – noch Neues Gestalt annehmen kann und es Grund für Zuversicht gibt, dass die vielerorts beobachtbare Starrheit nicht gänzlich irreversibel ist.

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