EU-Beitritt: "In Türkei verdient man leichter als hier"

"Die Presse" fragte Türken in Wien, was sie von einem EU-Beitritt der Türkei halten.

WIEN. Begeistert scheint Ramosan Dagan nicht: "Ich wär eher dafür", meint der junge Türke, der in dem gelben Kebab-Stand am Brunnenmarkt am Tee nippt und drüber sinniert, ob sein Land Mitglied im "Klub der europäischen Völker", der EU, werden soll. Das Hin-und-Her der Politiker in der Frage hat ihn irritiert: "Erst ist die SPÖ dafür, dann dagegen, Haider war dagegen, jetzt dafür." Er wisse nicht, ob man erwünscht sei.

Da sind sich die Völker des "christlichen Europa" auch unsicher: Umfragen zeigen ein überwiegendes Nein zu den EU-Ambitionen der Türkiye Cumhuriyeti, der türkischen Republik mit ihren 71 Millionen Einwohnern und dem Nationalmotto Yurtta Sulh, Cihanda Sulh ("Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt").

Die Türken hierzulande eint keine klare "EU-phorie". "Seit 80 Jahren sind wir auf Europa-Kurs. Wir fühlen uns nicht als Araber oder Asiaten, sondern als Europäer", sagen EU-Befürworter wie Hikmet Kayahan, Leiter der Anti-Rassismus-Stelle "Zara". "Heutige Türken" seien nicht mehr wie die Gastarbeiter von einst: "Die waren vom Land, haben ihre Kultur konserviert. Die von heute sind modern." Fürchten müsse man sich nicht vor ihnen, im Gegenteil: "Ist Furcht legitim? Ich fürcht' mich vor Lodenmantelträgern mit Hut und Gamsbart, aber man hat ein Recht, seine Kultur zu wahren."

"Seit Jahren ist in der Türkei eine stille Revolution passiert, das gehört honoriert", meint auch Mustafa Iscel, Obmann des türkischen Sportvereins "Etsan Vienna - türkische Gemeinde" in Favoriten. Bedenken, vor allem wegen starker Zuwanderung, zerstreut er: "Wir haben eine junge Bevölkerung, die EU altert. Die Wirtschaft braucht junge Kräfte." Es werde wegen des Wirtschaftswachstums in der Türkei sogar Rückwanderung geben: "Viele europäische Firmen suchen für Niederlassungen in der Türkei Türken aus der EU, wegen der Europaerfahrung."

Heim will auch der Onkel des Kebab-Braters, Aggün Dede: "In der Türkei verdient man nun leichter als hier", lacht der Besitzer eines Ladens, in dem sich Tücher und Teekocher türmen. Die EU sei nicht so wichtig, und sie werde die Türkei sowieso nie akzeptieren. Andere Geschäftsleute sind dagegen sehr für einen EU-Beitritt, so der Übersetzer, der auf "viel mehr Kunden" hofft, oder Mustafa, Betreiber eines Entrümpelungsdienstes: "Wir wollen arbeiten, viel und hart. Und wir machen immer faire Geschäfte." Dede sieht indes eine düstere Zukunft - für die EU: "Wir werden viele Jahre verhandeln, doch dann gibt's die EU nicht mehr." Wieso? "Wie war Österreich vor zehn Jahren: Alles wollte in die EU. Heut' muss ich die Geldbörse festhalten." Zu viele Rumänen, Polen seien da, die stehlen. Türken würden nie stehlen - jedenfalls seltener.

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