Arteriosklerose: Neue Gefäß-Untersuchung

Ein Drittel bis die Hälfte aller Todesfälle in der westlichen Welt sind auf die Folgen der Arterienverkalkung (Arteriosklerose) zurückzuführen. Die Ansammlung von Fetten in den Arterien lässt sich aber mittels herkömmlicher Untersuchungen nicht darstellen.

Arteriosklerose kann zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen - darüber ist sich die Fachwelt einig. Nicht ganz einig sind sich die Mediziner, ob es wirklich die Arterienverengung ist, die zu tödlichen Ereignissen führt - immerhin geht ein Drittel bis die Hälfte aller Todesfälle in der westlichen Welt auf das Konto von Arterienverkalkung.

"99 Prozent der Patienten und wohl 90 Prozent der Ärzte glauben immer noch, die Verengung von Arterien wäre die herausragende Gefahr bei einer Arteriosklerose", ärgert sich Univ. Prof. Dr. Steve Nissen von der Cleveland Clinic Foundation in Ann Arbor, Michigan. Eine Meinung, die noch aus den Tagen stammt, "als man glaubte, es handle sich bei der Arteriosklerose um dasselbe Problem wie bei einem verstopften Abflussrohr. Nach dieser These sollte sich die Arterie langsam mit Fett füllen, somit Plaque entstehen, früher oder später käme es dann zu einer Verkleinerung des Durchmessers, und dann hätte man das Problem. Solange das Lumen, also der Arterienkanal, offen sei, wäre alles in bester Ordnung."

Ein fataler Irrtum, behauptet zumindest Nissen. Seine Begründung: "Die meisten Patienten, die wegen zu hoher Cholesterinwerte oder einer bereits diagnostizierten Herz-Kreislauferkrankung zu den Risikopatienten zählen, werden mittels einer Angiografie regelmäßig untersucht." (Die Angiografie ist eine Röntgenuntersuchung, bei der Gefäße mit Hilfe von Röntgen-Kontrastmitteln sichtbar gemacht werden.) Das Problem dieser Untersuchung: "In der Angiografie wird lediglich der Arterienkanal zweidimensional dargestellt. Eine Verengung wird damit zwar gut sichtbar gemacht, die Plaque hingegen nicht."

90 bis 95 Prozent der Plaques führten zunächst nicht zu einer Verengung, da sie schlicht und einfach nach außen wachsen, nicht nach innen. Was ist die Folge? Im Angiogramm ist nichts Pathologisches zu sehen, die Patienten werden als unauffällig nach Hause entlassen.

"Ein offener Arterienkanal bedeutet allerdings nicht, dass der Patient außer Gefahr ist, ganz im Gegenteil. Wir wissen, dass etwa 85 Prozent der Herzinfarkte auf eine gerissene Plaque zurückzuführen sind, eine Plaque, die man vorher nicht gesehen hat. Das Lumen war bei diesen Patienten entweder gar nicht oder nur minimal verengt", erklärt Steve Nissen.

Reißt sich diese Ansammlung von Fetten und Zellmaterial von der Zellwand los, ist ein Blutgerinnsel die Folge. Und dieses Gerinnsel bestimmt das Schicksal des Betroffenen, "völlig egal, wie groß das Lumen ist". Für Nissen ist klar: "Wir müssen uns viel stärker auf die Wand konzentrieren, denn sie ist das eigentliche dynamische Zentrum des pathologischen Geschehens."

Um die bildgebende Diagnostik der Wand der Herzkranzgefäße zu verbessern, hat der Wissenschaftler mit seinem Team vor einigen Jahren den sogenannten IVUS entwickelt, den Intravaskulären Ultraschall. Es handelt sich um einen Katheter von einem Millimeter Durchmesser, der direkt in die betroffenen Gefäße eingeführt wird. Dort rotiert der Mini-Katheter mit einer Geschwindigkeit von 1800 Umdrehungen pro Minute und macht 30 Fotos pro Sekunde (in Europa 25/Sekunde). Und damit sieht man der Plaque "sozusagen direkt ins Auge", schmunzelt der Fachmann. Zusätzlich kann das Volumen dieser Fettansammlung auf den Quadratmillimeter genau erfasst werden.

Mittels dieser Untersuchungstechnik kann man auch besser überprüfen, ob etwa ein Medikament zur Senkung der Blutfette tatsächlich den gewünschten Effekt zeigt. "Bei unserer letzten Studie haben wir zwei verschiedene Fettsenker (Statine) miteinander verglichen und die 600 Teilnehmer mittels IVUS untersucht." Dabei stellte sich heraus, dass das Medikament mit dem Hauptwirkstoff Atorvastatin bei einem Teil der Patienten sogar zu einer Reduzierung des Plaque-Volumens führte, freut sich Nissen.

Das sei darauf zurückzuführen, dass Atorvastatin LDL-Werte viel stärker senken kann, als dies bis jetzt möglich gewesen ist: nämlich auf 79 mg/dl - bisher war 100 bis 110 mg/dl das Limit. Allerdings, schränkt der Experte ein, habe die Studie nicht untersucht, ob das Verkleinern der Plaque auch messbare klinische Erfolge zeige; also ob dadurch auch die Rate an Herzinfarkten oder Schlaganfällen gesenkt wird. Diese Frage ist Gegenstand weiterer Studien.

Doch heute schon ziehen die Forscher in Ann Arbor aus ihren Ergebnissen klare Schlussfolgerungen: "Die Arteriosklerose ist ein viel dynamischeres Krankheitsbild, als wir bisher angenommen haben; sie lässt sich anscheinend durch Medikamente, zumindest teilweise, rückgängig machen. Die Angiografie ist zur Überprüfung der gefährdeten Patienten ungeeignet. Wir müssen die LDL-Werte radikaler senken und daher auch die entsprechenden Guidelines neu überdenken."

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