Im nachhinein weiß man's besser

Die Kritik an den Geheimdiensten wächst in der amerikanischen Öffentlichkeit. Denn natürlich gab es Erkenntnisse vor den Terror-attentaten, die aber nicht richtig gedeutet wurden.

In anderen Ländern würden Minister zurücktreten und Direktoren gefeuert, wenn Dinge schieflaufen", schreibt Richard Reeves in einem Gastkommentar für die "New York Times", "in Washington indes stattet der Präsident nach dem totalen Versagen der Geheimdienste der CIA einen Besuch ab und spendet Lob für die großartige Arbeit."

Daß man in den USA traditionsgemäß in Krisenzeiten wie Pech und Schwefel zusammenhält, dürfte einer der Gründe dafür sein, warum nach den Terroranschlägen am 11. September das Versäumnis der Geheimdienste, jegliche Hinweise darauf im vorhinein wahrzunehmen, nur sehr zurückhaltend diskutiert wird.

Je mehr Zeit jedoch verstreicht, umso lauter wird die Kritik an der amerikanischen "Intelligence" bzw. der Ruf nach personellen Veränderungen und Umstrukturierung. Der Vize-Vorsitzende des zuständigen Ausschusses im Senat, Senator Richard Shelby, Republikaner aus Alabama, drängt auf den Rücktritt von CIA-Chef George Tenet, dessen Kompetenz er massiv anzweifelt.

Tenet, dem zusätzlich zur CIA zwölf Geheimdienststellen unterstehen, darunter das FBI, hat tatsächlich großen Erklärungsbedarf: Wie konnte es geschehen, daß das von ihm geleitete Geheimdienst-Netzwerk, das im Jahr um die 30 Milliarden Dollar zur Verfügung hat, die Anschläge nicht verhinderte?

Dem Versagen dürfte eine Vielzahl von Problemen zugrunde liegen. Unter anderem der Mangel an Koordination zwischen den einzelnen Stellen. International tätig sind die "Central Intelligence Agency" (CIA) und die noch viel geheimer operierende "National Security Agency" (NSA); innerhalb der USA werden die Anti-Terror-Maßnahmen vom "Federal Bureau of Investigation" (FBI) koordiniert.

"Während der CIA die Konspiration in Übersee völlig entging, gab das FBI vorhandene Informationen nicht weiter oder deutete sie nicht richtig", schreibt die "Washington Post" und spricht von "Fiasko" und "Skandal". Das FBI habe Hinweise auf Pläne von Terroristen gehabt, US-Flugzeuge zu entführen und als Waffen einzusetzen, habe diese Informationen aber nicht ernst genug genommen und sie auch nicht an die lokalen Polizei- oder die Luftfahrtbehörde weitergeleitet.

"Es ist das gleiche alte FBI", klagt ein Polizeiexperte, "das Büro hat die Exekutive auf lokaler Ebene schon immer im Dunkeln gelassen." Sie seien von der Methode der Terroristen völlig überrascht worden, sagten hochrangige Geheimdienstmitarbeiter nach dem 11. September. Wie es scheint, gab es jedoch sehr wohl Puzzlesteine, die nicht zusammengesetzt wurden.

Seit 1995 gab es Tips

Auch die Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten, unter anderem jenen in der Region, war sichtlich mangelhaft. 1995 waren in einer Wohnung in Manila Chemikalien explodiert, die auf amerikanischen Zivilflügen hätten eingesetzt werden sollen. Der Benützer der Wohnung, Ramzi Yousef, verbüßt mittlerweile eine lebenslange Strafe für den Anschlag auf das WTC im Jahr 1993. Laut philippinischem Polizeichef wußte man bereits 1995 von Plänen der Terrorzellen, Selbstmordpiloten einzusetzen. Die genannten Ziele: Pentagon, CIA-Hauptquartier, TransAmerica-Gebäude in San Francisco, Sears-Tower in Chicago, World Trade Center.

Dieses Wissen hätte man theoretisch mit dem Hinweis verknüpfen können, daß Mitte August dieses Jahres ein Flugschüler, Zacarias Moussaoui, in Minnesota auffiel, weil er nur lernen wollte, ein Flugzeug zu steuern, nicht aber, zu starten oder zu landen. Dies wurde dem FBI von seiten der Flugschule gemeldet. Moussaoui wurde daraufhin überprüft und wegen eines ungültigen Visums festgenommen - eine Verknüpfung mit den Warnungen von 1995 gab es jedoch nicht.

Überhaupt war seit Jahren bekannt, daß des Terrorismus verdächtigte Personen mit Beziehungen zu Osama bin Laden in den USA Flugstunden nahmen. Zugleich konzentrierte sich die US-Regierung in erster Linie auf biologische und chemische Angriffe, obwohl mehrere Studien zeigten, daß Bombenanschläge, Entführungen und andere "Low-tech"-Missionen wahrscheinlicher waren. Explizit wurde in den Studien auch die Möglichkeit diskutiert, daß Passagierflugzeuge von Terroristen in öffentliche Gebäude in Washington gelenkt werden könnten.

Zusätzlich erschwerend wirkten zahlreiche Einschränkungen, die die Geheimdienste behinderten, wie etwa das seit 25 Jahren bestehende Verbot, ausländische Terroristen zu töten. 65 Prozent der Amerikaner sprechen sich dafür aus, dies jetzt fallenzulassen, und es scheint durchaus möglich, daß der Kongreß in naher Zukunft die Bestimmung tatsächlich lockert - ebenso wie das für die CIA geltende Verbot, Personen mit zweifelhaftem Hintergrund anzuheuern.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.