Hertog Jan: Gärtner und Guerilleros

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Die Küchencrew werkt in Kampfanzügen, der Service in Gärtnerschürzen. Das belgische Restaurant Hertog Jan weiß seinen Garten zu inszenieren.

Alles beginnt im Garten. Auch der Besuch der Gäste. Nach einem Willkommenstrunk ist die Runde durch den Garten obligatorisch. Je nach Neugierde (und Kondition) kann das schon einmal eine halbe Stunde dauern. Schließlich handelt es sich nicht um ein paar Kräuterbeete, sondern um drei Hektar Gemüsefelder eines ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebs. Die Versuchung ist groß, die eine oder andere vollreife Frucht gleich selbst zu pflücken und vor Ort zu probieren. Große „Don’t touch“-Schilder schrecken die meisten Gäste dann doch ab, von den verbotenen Früchten zu kosten, um die sich hier alles dreht.

Der Garten bleibt auch beim Essen allgegenwärtig. Während man sich an den gemüsebetonten Kreationen von Gert de Mangeleer erfreut, schweift der Blick durch raumhohes Panoramaglas über ein schier endloses Meer aus Grünpflanzen. Das Personal trägt originelle Gärtnerschürzen aus Leder. „Wir finden das witzig. Es ist Teil der Inszenierung unseres Gartens. Zudem sind die Schürzen sehr praktisch“, erklärt Sommelier und Miteigentümer Joachim Boudens, der als Einziger in Zivil (also in hellen Jeans mit offenem Hemdkragen und Sakko) bei Tisch erscheint.

Übersiedlung auf den Bauernhof. Bereits vor vier Jahren haben de Mangeleer und Boudens die drei Hektar große Landwirtschaft erworben. Seit damals können sie auf Gemüse und Obst aus eigener Produktion zurückgreifen. „Es ist ein Privileg, selbst bestimmen zu können, was man anbaut, wie man die Pflanzen kultiviert und wann man sie erntet. Seit wir selbst unter die Bauern gegangen sind, verfolgen wir auch das Wetter wesentlich bewusster als zuvor. Als Koch inspiriert es mich, wenn ich den Wechsel der Jahreszeiten im eigenen Garten hautnah miterleben kann“, berichtet der jüngste Drei-Sterne-Koch Belgiens.
Die Inszenierung der Früchte des eigenen Gartens ist seit der Übersiedlung auf den Bauernhof vor den Toren Brügges das zentrale Thema im Hertog Jan. Von Jänner bis Juli hatte das Restaurant, das sich zuvor in einem unscheinbaren Gebäude ein paar Kilometer weiter befand, geschlossen.

Das Service weist explizit darauf hin, welche Zutaten aus der eigenen Produktion stammen. Ein biologisches oder gar vegetarisches Restaurant ist das Hertog Jan dennoch nicht. Ein fleischloses Menü gibt es nur bei Voranmeldung. Bei einigen Gängen des großen Menüs kommt de Mangeleer gänzlich ohne tierische Proteine aus. Beim Gericht „Gartenspaziergang“, der auf einem Holzteller serviert wird, arrangiert de Mangeleer saisonal wechselnd bis zu 40 verschiedene Kräuter und Gemüsesorten zu einem farbenfrohen Aquarell. Michel Bras, Schöpfer des Gerichts Gargouillou, lässt grüßen.

Auf Hummer, Steinbutt, Lamm und Rindfleisch will de Mangeleer dennoch nicht verzichten. Sie drängen sich allerdings nie in den Vordergrund. Die gemüsigen „Beilagen“ stehen immer gleichberechtigt neben den tierischen Luxusprodukten. „Es kommt immer auf die Balance an. In klassischen Restaurants fühle ich mich nach dem Essen oft müde und übersättigt, weil einfach viel zu viel Fleisch auf den Tisch kommt. Ich will, dass sich unsere Gäste nach dem Essen leicht und beschwingt fühlen“, erklärt de Mangeleer.

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Erstaunlich, dass der Küchenchef trotz der Fokussierung auf den eigenen Garten regelmäßig Obst und Gemüse zukauft. Nicht nur in der kalten Jahreszeit, wenn sich die umliegenden Felder im Winterschlaf befinden, wird beim Gemüsehändler geordert; Avocados und Zitrusfrüchte werden auch im Sommer eingeflogen. „Man soll aus der Regionalität kein allzu strenges Dogma machen. Natürlich nehme ich zuerst das, was unser Garten hergibt. Als Nächstes schaue ich, was es an lokalen Produkten gibt, weil diese in der Regel frischer sind als Importware. Aber manche Sachen gibt es bei uns nicht in der Qualität, wie ich mir das vorstelle. Geflügel sowie Rind- und Lammfleisch beziehen wir fast ausschließlich aus Frankreich“, sagt de Mangeleer.

Kein strenges Küchenregime. Nach dem Essen führt de Mangeleer neugierige Gäste gern durch seine großzügig dimensionierte Küche. Hightech sieht man dort kaum. „Das Spiel mit dem Verfremden von Texturen interessiert mich nicht. Das haben die spanischen Köche bis zur Perfektion ausgereizt. Wir kochen eigentlich ganz altmodisch. Die erwünschte Spannung am Teller erzeuge ich lieber dadurch, dass ich Aromen kombiniere, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen“, erläutert de Mangeleer. Geräucherter Hummer mit Kakao und Kirschen ist so ein Gericht, das zwar schräg klingt, aber absolut harmonisch schmeckt. Auch das Chicorée-Dessert mit Ponzusauce, Speck und Zitronen­eis zeugt von der außergewöhnlichen Kombinationsgabe dieses jungen flämischen Meisters.
Was in der Küche noch auffällt, ist die absolute Ruhe. Die durchwegs jungen Köche sind mit höchster Konzentration bei der Arbeit. Dabei tragen sie olivgrüne Overalls, die an kubanische Revolutionäre erinnern. Führt de Mangeleer gar ein militärisch-strenges Küchenregime? De Mangeleer verneint: „In der Küche werde ich nie laut. Es ist eine Frage der Organisation und Disziplin. Die Overalls sind praktisch und bequem und bekommen auch beim Gemüseernten im Garten nicht so schnell Flecken. Wenn ich nicht so viel außerhalb der Küche zu tun hätte, würde ich selbst einen tragen.“

Das Hertog Jan

ausgezeichnet mit drei Michelinsternen, ist in der Nähe von Brügge zu finden. Loppemsestraat 52, 8210 Zedelgem, Belgien. www.hertog-jan.com

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