Cocktails: Das Tier im Drink

(C) Christine Pichler
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Vielleicht gab tatsächlich eine Hahnenfeder dem Cocktail seinen Namen. Heute kommen Hühnerhaut, Speck und Blutwurst in die Drinks – und diese wiederum lagern in Fässern.

Ist denn schon Weihnachten? Für Bartender und Spirituosenhändler schon. Denn „Bartenders‘ Christmas“ feiert die Branche alljährlich im Oktober. Der Barconvent Berlin, lässig BCB abgekürzt, ist eine Messe alten Zuschnitts. Hier werden Vorträge mit Shows verbunden, neue Getränke vorgestellt (heuer etwa Tonics mit wenig Zucker), Trends bejubelt oder begraben. Vor allem aber werden auch die besten Gastgeber und Bars vom Fachmagazin „Mixology“ gekürt. Dreimal war die The Sign Cocktail-Lounge in der Wiener Liechtensteinstraße nominiert, heuer holte sie den Titel der „Besten Bar Österreichs“.
Das coole Ambiente erinnert an die 1980er, auch bei der „Bloody Caesar“-Variante, die Kan Zuo serviert, sieht alles vertraut aus: Sellerie, Essiggurke, Kapern und Olive begleiten den Kater-Drink-Klassiker. Der Strohhalm allerdings steckt – so eigen das jetzt klingen mag – in einem Darm. Dieser verstört zwar manchen Gast, gehört aber zu jener Zutat, die dem Cocktail die ungewöhnliche Vollmundigkeit verleiht: Blutwurst. Mit der Blunze wird das sogenannte Fat Washing durchgeführt, die Aromen gehen dabei in die Spirituose über. Dem fat washed Wodka mit Clamato-Juice (das ist Tomatensaftkonzentrat mit Venusmuschelsaft und Gewürzen) gebe die mitgemixte Blunze wieder eine gute Textur, sagt Gastgeber Zuo.

Käsekrainer im Glas. Der 30-Jährige hatte im The Sign auch schon Drinks mit Käsekrainer auf der Karte. Schließlich stellt das Verwenden von Fett als Geschmacksträger in Mixgetränken für ihn eine der größten Erfindungen dar, „damit können wir viel mehr das jeweilige regionale Aromenkulturgut in Cocktails widerspiegeln“. Cuisine Style nennt man mit einem recht weit gefassten Begriff diese Übernahme von experimentellen wie klassischen Küchentechniken am Bartresen. Das können etwa die
aus der Molekularküche sattsam bekannten Schäumchen, die Espumas, oder auch Marshmallows aus Cocktailbitters sein, wie sie etwa der Münchener Klaus St. Rainer in seiner Goldenen Bar serviert.

Auch Benjamin Koch ist kein Patissier. Doch geschlagene zehn Minuten unterhält er sich mit dem Slowaken Anton Velich nur über dessen Ananas-Chips. „Sie werden bei mir im Dörrofen nicht so gut wie bei ihm.“ Das Ungewöhnliche an diesem Männergespräch? Beide Herren verdienen ihren Lebensunterhalt als Bartender. Anton Velich in Bratislava, Benjamin „Ben“ Koch in der Eberts Cocktailbar in der Wiener Gumpendorfer Straße.

Koch arbeitet auch mit Speck. „Er wird zunächst angebraten und dann mit Mezcal abgelöscht. Die gefilterte Flüssigkeit kommt in den Kühlschrank.“ Gemeinsam mit Limettensaft, Kirschlikör und Ginger Ale entsteht daraus der La Barbacoa Oaxaca, ein Drink, in dem auch noch Barbecue-Sauce Verwendung findet. Denn die Idee zu diesem Cocktail stammt von einem Grillabend. „Es ist Sommer, man riecht heißes Fett und ein wenig Rauch“ – dieses Gefühl wurde in ein „flüssiges Essen“ übersetzt, wie Koch es nennt. Denn auch die Garnitur huldigt dem Speck: „Zum Drink gibt es einen kleinen Bacon-Lolli, den ich kurz anflämme.“ Das ist durchaus intensiver als ein Negroni oder Gimlet. „Die Gäste sagen, einen kann man schon trinken. Aber das sind eben Cocktails, die man eher am Ende eines Abends nimmt.“ So wie der Hot Buttered Rum Punch, ein Klassiker des Fat Washing, bei dem eben mit Butter gearbeitet wird. Auf der Winterkarte der Eberts Bar wird er einen Fixplatz haben, verrät Koch seinen nächsten nahrhaften Streich.

Hummer im Gin-Bad. Noch sind die fleischigen Drinks in den meisten Bars eine kleine Spielerei, die zusätzlich zu den Cocktailklassikern angeboten wird. In Berlin-Kreuzberg hingegen füllen sie eine ganze Seite der „Zyankali“-Barkarte. Für den Blackbeard’s Blood löst Rum drei Monate lang die Aromen aus Kakaobohnen, Zwetschkenmus und gerösteter Hühnerhaut. Ein Stück weiter zieht ein Hummer am Prenzlauer Berg im Gin-Bad.
Auch die Bryk-Bar des ehemaligen Adlon-
Mitarbeiters Carsten Schröder hat sich voll dem Cuisine Style verschrieben: Fat Washing mit Serranoschinken, Räuchern mit Lavendel.

Damit wären wir zurück in Berlin, wo Preisverleiher „Mixology“ auch die wichtigsten Bartrends 2015 auflistete. An der ersten Stelle steht das Reifen von Drinks im Fass. Damit ergeben sich nicht nur intensivere Holznoten, sondern für den Gast auch direkte Vergleichsmöglichkeiten zwischen frisch gemixter und gereifter Variante. Ins Fass dürfen grundsätzlich alle Zutaten ohne Kohlensäure, wie Barkeeper Lukas Hochmuth unter stolzem Tätscheln seines kleinen Fasses erklärt. Nach den beiden Stationen American Bar im Hotel Aichinger in Nußdorf am Attersee und Le Méridien in Wien steht der 24-jährige Oberösterreicher seit der Eröffnung im Ritz-Carlton am Ring an der Bar. Der Steakhouse Manhattan, den er ausschenkt, erhält durch die lange Verbindung von Roggen Whiskey (Rye), momentan auch sehr angesagt, und selbst gemachtem Kirschbitter besonderen Tiefgang. Das Reifen von Drinks in Flaschen aber lehnt Hochmuth ab: „Bottle Aging scheint nur ein neues Wort für Premix zu sein.“ Es geht schließlich um den Geschmack, nicht um die Mode.

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