Nostalgieessen: Krebsbuchteln und Aspik

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Statt krampfhaften Regionalismus: Vielleicht sollten wir auf der Suche nach einer neuen österreichischen Küche einfach ein paar Jahrhunderte zurückgehen.

Was werden wir in drei, in fünf Jahren auf den Tellern der Spitzengastronomie finden? In welche Richtung wird sich unsere Küche entwickeln? Was kommt nach Molekulareinflüssen, Verfremdungs- und Abstraktionstaktiken, dank derer wir Gerichte wie Insalata Caprese als Paradeiser-Terrine mit innen flüssigen Mozzarelladrops und Basilikumsorbet essen? Was kommt nach dem schon absurde Formen annehmenden Dogma der Regionalität mit seinem Dokumentationswahn auf den Speisekarten („Pastinaken vom Pepi-Bauern, 250 m entfernt“), dessen Wachablöse sich nicht wenige heimlich wünschen, aber aus Gründen der Political Correctness nicht offen fordern?

Zukunft aus Südamerika? Kaum.
Manchmal werden in den Gedankenspielen zur Zukunft unserer Küche gewisse Länderküchen aufs Tapet gebracht. Das ist gerade nach den vergangenen Jahren verständlich, in denen skandinavische Köche die österreichische Küche in Sachen naturbezogene Radikalität stark beeinflusst haben. Man setzte also kulinarische Weiterentwicklung auch mit einem geografischen Raum gleich.

Groß herauskommen werde noch die chinesische Küche, sagen manche, die sei noch nicht ausgereizt, und sind nicht südamerikanische Köche wie Alex Atala aus dem D.O.M. in São Paolo oder dessen Kochkollegen aus Lima unübersehbar auf dem Vormarsch? Mag sein, doch was hat die rasende Entwicklung einer neuen südamerikanischen Spitzenküche mit uns zu tun, außer dass Ceviche von Süßwasserfischen angeblich das nächste „Big Thing“ ist?

Wenn wieder eine neue Art von Küche entstehen soll – und das braucht es, damit die Gastronomie in Bewegung bleibt –, kann diese einerseits von neuen (manchmal freilich neuen alten) Zutaten leben. Diese Spielart, Speisekarten interessant zu halten, scheint jedoch nahezu ausgereizt: Wir kennen nicht nur eine Zitrusart, sondern zahlreiche wie Yuzu, Kalamansi oder Buddha’s Hand, es wurden wohl sämtliche alte Wurzelsorten wiederbelebt, wir wissen, wie Bucheckern, japanisches Rind oder iberisches Schweinefleisch schmecken. Für die zweite Möglichkeit der Neuausrichtung einer Küche stehen die Zubereitungsarten parat, die technischen Mittel. Da entstehen Elemente wie innen flüssige Gelee-Bonbons, in der Mikrowelle gebackene „Schwämme“ oder per Laser von innen nach außen gegartes Fleisch. Oft nicht mehr als Gags von geringer Relevanz und ebensolcher Lebensdauer. Eine dritte Möglichkeit sind Aromakombinationen, die uns neu erscheinen. Das waren irgendwann einmal die Aufreger Erdbeer-Balsamico oder Kürbiskernöl mit Vanilleeis, das ist heute weiße Schokolade plus Kaviar oder Marille plus Tabak. Unterstützung bekommen Köche dabei von Initiativen wie Foodpairing.com, wo man ungeahnte Aromakombinationen auf Basis chemischer Daten vorstellt: Kiwi mit Austern oder gebratener Speck mit schwarzem Tee. Der britische Kochstar Heston Blumenthal wird auf foodpairing.com zitiert: „Da draußen ist eine ganze neue Welt aus Aromakombinationen.“ Damit hat er recht. Auf Dauer wird es aber zuwenig sein, Blauschimmelkäse mit Jasmin zu kombinieren und von diesem Aha-Effekt zu zehren.

Rezeptrecherche. Zufällig ist es genau Heston Blumenthal, der seit geraumer Zeit mit einer weiteren Möglichkeit für eine neue Küche Furore macht: Er belebt historische Gerichte wieder, geht bei seiner Rezeptrecherche bis ins 14. Jahrhundert zurück. Und bleibt trotzdem hochmodern. In seinem Restaurant „Dinner by Heston Blumenthal“ in London serviert er etwa eine „Meat Fruit“: optisch eine Mandarine – außen Mandarinengelee, innen Leberparfait. Diese Idee stammt von 1500, wie man erfährt. Würde man ihr nicht ansehen.
Für das Ansinnen, historische Gerichte ins Jetzt zu holen, auf der Suche nach neuen kulinarischen Ideen ins Rokoko zu schauen, in den Spätbarock, ins Fin de Siècle, dafür ist der Zeitpunkt auch in Österreich ideal. (Und nicht nur, weil etwa im Jugendstil die Typografie auf den Speisekarten so wichtig war, wie sie es heute in Neo-Brasserien und Steakhäusern im 7. Bezirk ist.) Dass die Beschäftigung mit alten Rezepten nicht Ritterzeitverklärern und Kaiser-Franz-Joseph-Lookalikes vorbehalten sein muss, beweist schon allein Heston Blumenthal mit seinem molekularaffinen Werdegang, der ihn wohl der Geschichtsverklärung unverdächtig macht.

Warum ist nun die Zeit reif für eine Rückschau in vergangene Jahrhunderte? Erstens: Köche sind durchaus gewillt, ihre Nasen in Bücher zu stecken. Meist in Wälzer von Vorbildkochstars, die mehrere hundert Euro kosten können und für Haushaltsküchen unbrauchbar sind. Diese Bereitschaft zum Studium ließe sich umlegen auf kulinarhistorische Bücher.

Weiters: der schon erwähnte Dokumentationswahn. Gäste sind mittlerweile gewöhnt, auf der Speisekarte zu lesen, wie das Schwein geheißen hat und aus welcher Gärtnerei die Urkarotte auf ihren Teller kommt. Da ist eine kurze Erklärung zu einem historischen Rezept zumutbar und, pardon, auch interessanter.

Mehrere Elemente historischer Gerichte schreien geradezu nach Wiederbelebung. Etwa der Aspik. Es wird derzeit ohnehin geliert, was das Zeug hält: künstliche Austern aus Selleriegelee, Spaghetti aus Suppengelee. Nie hatten Köche mehr Möglichkeiten, Gelees anzufertigen, als heute, da in jeder zweiten Restaurantküche die Texturas-Serie von Ferran Adrià mit Algin oder Gellan zu finden ist. Alte Gerichte wie Hirn in Aspik beziehen auch gleich die chic gewordenen Innereien mit ein. Manches wird aus Tierschutzgründen nicht möglich sein: Schildkröten in Blutsauce etwa oder mit Sardellen gespickter Biber. Flusskrebse hingegen sind heute ebenso en vogue wie Schnecken, mit beiden finden sich massenhaft alte Rezepte, die zeitgemäß abwandelbar sind. Etwa Krebsbuchteln mit Zimt und Zucker als Dessert oder Milchrahmnockerln mit Krebsschwänzen. Letztere bekommt man beim „Diner Historique“ im Hotel Tulbingerkogel. Frank Bläuel, leidenschaftlicher Kulinarhistoriker, stellt 28-gängige Menüs aus dem Spätbarock zusammen, die in drei „Trachten“ serviert werden. Darunter Speisen wie Kalbsbries-Suppe mit gebackenem Petersil, Karpfen in schwarzer (Lebkuchen-)Sauce oder Paulanerwürst, ein skurriles Gericht aus Hechtfarce mit Weißwurstwürze in Butterbröseln. Bläuel versucht, bei den Rezepten möglichst nah am Original zu bleiben. Das wird für die Zukunft zwar zu wenig sein, eine historische Kochbuchsammlung wie die seine werden sich jedoch viele junge Köche noch wünschen.  

TIPP

Spätbarockes Menü: Eindrücke von historischen Gerichten bekommt man beim „Diner Historique“. Termine und „Speißzettel“: www.tulbingerkogel.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Mode

Hosenanzug: Skandalös, oder doch ganz brav?

Er provozierte Skandale, brach mit Normen und steht
heute oft für normierte Biederkeit: der Hosenanzug.
Schmuck

Smaragd: Grüne Diva

Smaragd wurde von Pantone zur Farbe des Jahres gewählt. Raumausstatter haben es damit schwerer als Juweliere: Die schöpfen aus dem Vollen.
Mode

Lifestyle: Die Entdeckung der Literatur

Vorbei die Zeit, als Lifestylemarken nur mit Künstlern kooperierten: Nun kommen auch Schriftsteller zum Zug.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.