Sammelleidenschaft: Historische Kochbücher

Sammlung. Heinz Reitbauer und seine historischen Kochbücher viele Anregungen!
Sammlung. Heinz Reitbauer und seine historischen Kochbücher viele Anregungen!(c) Teresa Zötl/Detailsinn.at
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Gegenmodell zum heutigen Kochbuchboom: Zu Besuch in zwei Sammlungen mit historischen Ausgaben. Pelikanrezepte inklusive.

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Historisches Wissen. Frank Bläuel weiß alles über gebratenen Schwan, Schnepfendreck und Hasenohrensalat.
Historisches Wissen. Frank Bläuel weiß alles über gebratenen Schwan, Schnepfendreck und Hasenohrensalat.Anna Burghardt
(c) Anna Burghardt

Heinz Reitbauer posiert für die Fotografin vor seinen Regalen mit historischen Kochbüchern im Obergeschoß des Steirerecks. "Wahrscheinlich würde einer, der sich mit Büchern auskennt, jetzt sagen, bitte, wie hält denn der das Buch?", macht er sich über sich selbst lustig. Reitbauer ist Koch und kein Antiquar - klar. Dennoch verfügt er über eine Sammlung von historischen Kochbüchern, die er - womöglich wieder gegen alle Regeln der Buchwissenschaft, aber das schert ihn wohl kaum - so geordnet hat, wie es ihm sinnvoll erscheint. Solche zur Süddeutschen Küche in einem Regal, die Wiener Kochbücher in mehreren Regalen separat. Und allein dank der Reitbauer'schen Ordnung wird ersichtlich, wie groß der Stellenwert der Wiener Küche gewesen sein muss - "so viele verschiedene Autoren!", während ansonsten Katharina Prato dominiert, "die ist sicher uneinholbar, mit ihren vielen Ausgaben".

Buch von 1719, so dick wie ein iPhone hoch. Heinz Reitbauer hat den Großteil seiner Sammlung von Dürdane Leierer als Leihgabe überlassen bekommen. Deren Mann Friedrich, Geschäftsführer eines Pharmakonzerns, hatte in den Achtzigern mit dem Zusammentragen der alten Kochbücher begonnen. Einiges stammt aber auch aus Reitbauers Privatfundus, vor allem handschriftliche Hefte aus der Steiermark, der Heimat seiner Familie. "Ich bin immer wieder begeistert von dieser gestochenen Schrift. Auch wenn ich s kaum lesen kann", äußert er trocken. Das Herzstück seiner Sammlung ist ein sehr dickes Buch von 1719, ein Geschenk zu einem runden Geburtstag: das "Neue Saltzburgische Kochbuch", ersteigert im Dorotheum. Um zu messen, wie dick das Buch ist, hält Reitbauer ihm statt eines Lineals einfach sein Smartphone an die vergilbten Flanken: "Aha, genau ein iPhone hoch. Die neue Maßeinheit."

Vogel im Vogel im Vogel. Als Reitbauer die Sammlung erbte, hat er noch öfters in den Büchern geblättert, mittlerweile seltener - neuerdings Nummer 9 in der Weltbestenliste zu sein, bedeutet nicht weniger Arbeit als zuvor. Aber wenn man dem Steirereck-Chef dabei zuschaut, wie er in den Seiten stöbert, immer wieder amüsiert innehält und schließlich mit der Artikulationstechnik eines Schauspielers, die einem Buchwissenschaftler wiederum bestimmt Freude machen würde, Rezepte deklamiert, merkt man: Er wird wieder öfter die historischen Bücher konsultieren. "Man richtet sie auf einer zierlich gefalteten Serviette an", liest er, die Stimme dem offensichtlich feinen Anlass entsprechend zierlich erhöht. "Wurscht, wo man reinliest, es steht auf jeder Seite etwas Interessantes!", begeistert sich Heinz Reitbauer, jetzt wieder in Normaltonlage.

Reitbauer hat mit seinem Team auch schon das eine oder andere Gericht aus einem alten Buch nachgekocht. In adaptierter Form. Etwa den sagenumwobenen Vogel im Vogel im Vogel, für den, je nach überlieferter Version, eine Wachtel in einem Perlhuhn Platz findet, das in ein Rebhuhn gestopft wird, das in einen Auerhahn - und so weiter. Die Steirereck sche Version davon, die er einmal zu Silvester servierte: eine Terrine aus dem Fleisch von Taube, Wachtel und Fasan, die, leicht beschwert, ohne weitere Bindung gegart wurde. In dieser Reihenfolge: Die Taubenschicht war die unterste, damit der dunkle Saft nicht die helleren Fleischsorten färbt, darauf lag das Wachtelfleisch, die oberste Schicht bestand aus Fasan.
Was das Tierreich angeht, findet Reitbauer generell viel Information in seinen alten Kochbüchern.
"Schwanenpastete", liest er vor, "Pelikanpastete   unglaublich, was da für Viecher drin sind!" Nimmt man die Seitenanzahl  als Maßstab, sieht man nicht nur, dass die Geflügelauswahl "sicher 20-mal so hoch war wie heute", sondern auch, welches Tier in der Küche wie beliebt war: "Rebhuhn hat allein fünf Seiten, Fasan sogar über zehn. Hase zehn Seiten, Kaninchen nur zwei." Und generell: "Ein mittleres Kochbuch hatte locker über 1000 Rezepte." Kein Wunder, der Foodfotografie musste man vor 200 Jahren noch nicht huldigen, stattdessen blieb Platz für Fischotter, Dachs und Co.

Kochbuch im Safe. Dafür werden manche historische Kochbücher von Zeichnungen ergänzt, weiß Frank Bläuel. Der Chef des Hotels Tulbingerkogel im Wienerwald führt die umfangreiche Kochbuchsammlung seines Vaters Friedrich weiter, der in den Sechzigerjahren begonnen hatte, hauptsächlich auf Flohmärkten nach alten kulinarischen Büchern zu suchen. Das älteste Exemplar aus der Sammlung Bläuel stammt aus dem Jahr 1560 und liegt im Safe. Frank Bläuel, der auf dem Tulbingerkogel regelmäßig Diners Historiques veranstaltet, bei denen Gerichte aus dem Spätbarock nachgekocht werden, nimmt sich regelmäßig Zeit für das Durchforsten der alten Kochbücher. Und fördert Kurioses zutage wie sogenannte Schaugerichte aus dem Barock: "Einem Schwan wird die Haut samt Federn abgezogen, die Haut wird getrocknet und aufgeblasen, der Schwan selbst wird gebraten. Dann zieht man dem gebratenen Schwan die Haut wieder über. Mit dem Pfau hat man das auch so gemacht. Ob die gegessen wurden, ist aber nicht überliefert."

Fastenspeisen vor Eiergerichten. Der Aufbau von Kochrezepten war früher ganz anders als heute, da oft jeder noch so unnötig scheinende Schritt genau erklärt wird: "Das Bostoner Kochbuch von 1896 war das erste mit Zutatenliste und Mengenangaben." Davor hat man alle Informationen in sehr kurze Texte gepackt, die sich zum Teil recht abstrakt lesen und für Anfänger wenig geeignet sind. Unbeholfene Hobbyköche sind aber ein Phänomen unserer Zeit; Kochbücher richteten sich früher an Herrschaftsköchinnen und Dienstmägde   für diese gab es die sogenannten Dienstmagdausgaben im Miniaturformat, für die Kitteltasche.

Anders als heute beginnen österreichische Kochbücher aus vergangenen Jahrhunderten (hier sei diese ungenaue Zeitangabe gestattet, Bläuel kann auf Wunsch drei Stunden lang Informationen liefern, es reicht ein kurzes verbales Anpieksen) in den allermeisten Fällen mit Fastenspeisen, oft folgen dann Eiergerichte. Welche Schlüsse man daraus für das österreichische Gemüt ziehen kann, kann Frank Bläuel nicht beantworten. Dafür zeigt er umso lieber vor, woher die Formulierung "ein Buch aufschlagen" kommt: Manche dicken Bücher (ob mit Smartphone oder Lineal gemessen, tut hier nichts zur Sache) sind mit Metallspangen verschlossen. Um diese zu öffnen, schlägt man kurz und hart auf den Buchdeckel, die Spangen springen auf.

Frank Bläuel, der rastlose Kulinarhistoriker, sammelt aber nicht nur Kochbücher aus vergangenen Tagen. Von seinen zahlreichen Trips in Spitzenlokale rund um den Globus - seine Leibesmitte stellt Bläuel stets mit den Worten "Maßarbeit der besten Köche der Welt" vor   bringt er immer Bücher mit, aufwendige Kochstar-Monographien. "Ob im Per Se oder im Eleven Madison Park, überall kauf ich Kochbücher."

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