Ramsa-Wolf: Der Engländer aus Wien

(c) Stanislav Jenis
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Die Wiener Senffabrik Ramsa-Wolf gibt es seit 1923. Sie ist für ihren Englischen Spezialsenf berühmt. Geführt wird sie seit Generationen von Frauen.

Katrin Puta ist eine der letzten Senfmüllerinnen in Österreich, wenn nicht gar die Letzte. Immerhin war es ihr Vater, der noch die letzten Lehrlinge ausgebildet hat. „Heute braucht man das nicht mehr“, sagt Frau Puta, die genauso wie ihre Tochter, Katrin Segel, mittlerweile zur Bürokauffrau ausgebildet wurde. Die beiden führen die Wiener Senfmanufaktur Ramsa-Wolf, die vor Kurzem in den 14. Wiener Bezirk nahe des Auhofcenters übersiedelt und seit Jahrzehnten vor allem für ihren Englischen Spezialsenf berühmt ist.

Die Geschichte von Ramsa-Wolf ist, wie der Name vermuten lässt, eine Geschichte zweier Wiener Familien. Produziert wurde immer in Wien, aber an verschiedenen Standorten quer durch die ganze Stadt. Und: Auch wenn zwei Männer die Firmen einst gegründet haben, waren es schon bald die Frauen der Familien, die dazu beigetragen haben, dass auch heute noch dieses Wiener Original produziert wird.

Geheimrezept vom Großvater

1923 gründete ein gewisser Raimund Ramsa in Wien eine Senffabrik, drei Jahre später tat es ihm Johann WolfI gleich – im dritten Bezirk. Katrin Puta und Katrin Segel entstammen der Wolf-Familie, die 1970 den Ramsa-Betrieb gekauft und die beiden Firmen zusammengelegt hat. Mittlerweile ist mit Katrin Segel bei den Wolfs also die fünfte Generation tätig. „Die Familie Wolf waren echte Wiener mit tschechischen und ungarischen Wurzeln“, sagt Puta. Sie kann sich noch an die diversen Standorte und Erzählungen aus ihrer Kindheit erinnern. Zuerst wurde in der Erdbergstraße produziert, nach Kriegsausbruch in der Aßmayergasse im zwölften Bezirk. „Dann ist der Großvater in einem Anflug von Größenwahn in den 23. Bezirk gezogen, nach Atzgersdorf“, so Puta. Nach einer Zwischenstation im fünften Bezirk in der Siebenbrunnengasse – „ich kann mich noch an den gewöhnlichen Lehmboden erinnern“ – ist die Senffabrik nach Hernals auf den kleinen Diepoldplatz gezogen. Seit diesem Sommer gibt es in der Albert-Schweitzer-Gasse im 14. Bezirk einen neuen Standort. „Gott sei Dank, nach 47 Jahren, der Standort im 17. war viel zu klein und auf drei Stockwerken aufgeteilt“, sagt Puta.

Immer mit im Gepäck war dabei das Geheimrezept des Großvaters für den Englischen Spezialsenf – das Aushängeschild des Hauses. Was genau in den „schärfsten Senf Österreichs“, wie er beworben wird, kommt, wollen die beiden nicht verraten. Nur so viel: Die Senfkörner kommen von zwei österreichischen Senfbauern, auch der Großteil der anderen Zutaten stammt aus heimischer Produktion. „Was geht, kommt aus Österreich, nur bei ein paar Gewürzen müssen wir aufs Ausland zurückgreifen“, so Puta. Verändert wurde das Rezept für den Englischen Spezialsenf nie. „Senf ist das konservativste Produkt, das es gibt. Das ist immer gleich“, sagt die Seniorchefin.

Ihr Großvater hat das Rezept für den Spezialsenf übrigens aus der Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg mitgenommen. „Ein Mitgefangener aus Polen war zufällig auch Senfmüller, und die beiden haben Rezepte ausgetauscht“, so Puta. Die engsten Mitarbeiter wissen heute zwar ebenso, was in den Spezialsenf kommt. Zubereitet wird er aber nur von der Geschäftsleitung. „Damit er auch wirklich so scharf ist“, sagt Puta. Während sich ihre Tochter mehr um das Finanzielle kümmert, ist sie es, die hin und wieder gern experimentiert.

Denn ganz so konservativ ist das Senfgeschäft dann doch wieder nicht. Es werden zwar 80 Prozent des Umsatzes mit dem Englischen Spezialsenf erzielt, daneben werden Klassiker wie Estragon und Kremser produziert. Seit ein paar Jahren bietet der Betrieb aber auch Spezialprodukte auf Kundenwunsch an. „Ab 50 Kilogramm ist man dabei, wir machen Whisky-, Apfel-, Marille-, Bier- und Birnensenf. Das wird immer besser angenommen“, sagt Segel. Insgesamt werden pro Jahr 200bis 220 Tonnen Senf produziert. „Wir sind ein kleiner Fisch, Mautner Markhof macht 700 Tonnen“, so Puta. 40 Tonnen Senfkörner und 300.000 Liter Essig (aus Oberösterreich) werden dazu verarbeitet. Egal, welche Senfsorte gerade auf dem Programm steht, zuerst werden die Senfkörner in einer speziellen Mühle gemahlen. „Durch die zwei Metallplatten wird der Senf grob gemahlen“, erläutert die Senfmüllerin. Danach kommt er über eine Förderschnecke in die Produktion – „quasi in einen großen Kochtopf, da wird die Basis gemacht, die Maische. Das ist ähnlich wie beim Kuchen backen“. Der Senf wird mit den anderen Zutaten vermischt und anschließend über schmale Röhren in einen großen Behälter gepumpt. Die unterschiedlichen Farben der Röhren kennzeichnen die spezielle Sorte, damit immer dieselben Sorten durch eine Röhre fließen. Immerhin werde Kremser Senf ganz anders produziert als eben der Englische, erklärt Puta.

In den großen Bottichen hat der Senf Zeit, abzukühlen und sein Aroma zu entfalten – mindestens zwei Tage, maximal eine Woche. „So können wir gut vorproduzieren und planen. Senfkörner sind generell sehr lang haltbar, da können wir das ganze Jahr über produzieren.“ Die Ernte selbst dauert meist von Mitte Juli bis Mitte August. Bei richtiger Lagerung sollen die Körner gar zehn Jahre haltbar sein, auch wenn das in der kleinen Fabrik noch nie ausprobiert wurde. „Die Produktion ist keine große Hexerei, Senf hält eigentlich ewig. Und Senf kann sich jeder leisten. Früher hat man ihn statt Butter aufs Brot gegeben.“

Die sechste Generation

Puta ist stolz auf ihre neue Produktionsstätte – auch, weil sie Teile davon selbst gebaut hat, etwa die Rohre verlegt – gemeinsam mit ihrem Schwiegersohn. „Ich habe das Glück, dass ich mich nicht nur mit meiner Tochter gut vertrage, sondern auch mit meinem Schwiegersohn.“ Dieser ist mittlerweile auch im Betrieb tätig und wird bald die Betriebsleitung von seinem Schwiegervater übernehmen. Die sechste Generation ist ebenso bereits vorhanden. „Wir haben zwei Kinder, fünf und drei Jahre alt. Wenn ich meinen Sohn frage, wer einmal in der Senffabrik arbeiten will, sagt er immer: ,Die Schwester macht das.‘ Es waren bei uns immer die Frauen; auch die Großmutter war sehr fleißig und hat die Firma in ihrer Hochblüte, den Fünfzigerjahren, geleitet“, sagt Segel. Ihre Mutter gibt ihr Recht und meint: „Natürlich geht es ohne Männer nicht, sie machen die Technik und den Ablauf im Betrieb, aber um die Zahlen kümmern immer wir Frauen uns.“ Und– zumindest die letzte Senfmüllerin – um neue Kreationen. Derzeit tüftelt sie an einem Wintersenf mit Orangen und Zimt. Aber das seien Spielereien, ihren Lebensunterhalt verdient die Familie mit dem Engländer aus Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2014)

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