Noma: Zu neuen Ufern

Tauchgang. René Redzepi taucht in Tasmanien nach Zutaten. Das Meer wird für das neue Noma im Winter essenziell sein.
Tauchgang. René Redzepi taucht in Tasmanien nach Zutaten. Das Meer wird für das neue Noma im Winter essenziell sein.(c) Beigestellt
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Das Menü hat ausgedient: Das Noma übersiedelt und
erfindet sich neu. Als Seafood-Restaurant und mit großen
Braten. Eine Prise Steinzeitdiät-Biedermeier.

Beim hellhäutigen Typ fällt es mehr auf, wenn er rot anläuft. Bei Mads Kleppe etwa, Chefsommelier des Noma in Kopenhagen. Gerade noch hat er an der dortigen Bar die eigens angefertigten Gläser und Dekanter der Designerin Nina Nørgaard erklärt und von einer Intensivierung der Zusammenarbeit gesprochen, als ihm ein paar Wörter zu viel he­­rausrutschen – „wenn wir dann übersiedeln“. Und anhand seiner plötzlich geänderten Gesichtsfarbe ist klar: Mads Kleppe meint damit nicht das Pop-up in Australien. Auf die unabsichtlich geäußerte Standortverlegung angesprochen, sagt er, der sich wohl allzu lange nicht verplappern durfte, nur: „Wir werden bald etwas Neues verkünden. Sehr bald.“ Wenige Tage später war ebendieses Neue in der „New York Times“ zu lesen: Das bisherige Noma unweit der Innenstadt schließt 2016. Und sperrt 2017 an einem anderen Standort am Stadtrand wieder auf – auf einem verlotterten Gelände samt Graffiti-übersäter ehemaliger Lagerhalle. Eine Urban Farm soll errichtet werden, ein Glashaus auf dem Dach, ein bepflanztes Floß.

Ausflug. Japanische statt nordischer Algen mit Erbsen.
Ausflug. Japanische statt nordischer Algen mit Erbsen.(c) Beigestellt

Ab nach Sydney. Bei einem Restaurant dieses Kalibers – sprich: mit diesem Einfluss auf die Trends der vergangenen Jahre samt allen Copy-Paste-Episoden – hat eine solche Meldung nun wohl nicht nur vermehrt Reservierungsanfragen für den jetzigen Ort zur Folge, sondern auch Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit. Wie sehr man sich seiner Stellung bewusst ist, ist nicht zuletzt daran ablesbar, dass die renommierte „New York Times“ als exklusives Sprachrohr gewählt wurde. Schon bisher hatte man genug mit dem Medieninteresse rund um die temporäre Übersiedelung nach Australien zu tun: Es geht erst einmal nach Sydney. Anfang dieses Jahres war das Team Pop-up-Gast in Tokio, nun wird von Ende Jänner bis Mitte April ein Gastspiel in Sydneys jungem Hafenviertel Barangaroo gegeben. Um das Regionalismus-Konzept des Noma auf Australien umlegen zu können, galt es, nach hiesigen Zutaten zu suchen. So tauchten Redzepi und Mitarbeiter etwa in Tasmanien nach Algen und Muscheln.

Apropos Algen: Das aktuelle Menü sieht einen Gang vor, in dem eine Zutat aus der Ferne eine Hauptrolle spielt: japanische Algen. Bisher machte man nur für Schokolade, Kaffee und Wein eine Ausnahme. „Ja, wir schummeln“, gibt ein Kellner zu. Die japanischen Algen, die man in Tokio kennengelernt habe, seien qualitativ unschlagbar; man könne in diesem Fall nicht anders, als den Herkunftsradius gewaltig zu überschreiten. Ist diese Grenzübertretung ein Hinweis darauf, dass das Noma an einem Punkt angelangt ist, sich neu orientieren zu müssen – wie René Redzepi selbst sagt? Nicht nur habe er immer öfter die Frage gestellt bekommen, wie lang das Noma noch so weitermacht, auch er habe sich immer öfter gefragt: Was bedeutet es, ein regionales Restaurant im Norden zu sein?, erzählt er in einem hochprofessionell inszenierten, online zu sehenden Video.

Es muss noch mehr um die Jahreszeiten gehen, glaubt Redzepi. Für das neue Noma ruft er deren drei aus. „Wir sind hier in einer Region, in der sich die Jahreszeiten dramatisch unterscheiden. Das Restaurant und das Menüformat bleiben aber im Moment weitgehend gleich. Wir waren bisher nicht in der Lage, uns im selben Ausmaß zu wandeln, wie es das Wetter tut.“ Das Konzept eines Menüs mit allen Schikanen von Amuse Gueules bis zum Fleischhauptgang, abgerundet von Petit Fours und Kaffee, wie man es von den meisten Restaurants kennt, habe ausgedient. Redzepi will sich nicht mehr von diesem etablierten Format diktieren lassen, was er kocht.

Fermentiertes nach Saison.
Fermentiertes nach Saison.(c) Beigestellt

Fokus auf Jahreszeit. Auch wenn an den Plänen für das Urban-Farm-Noma schon vor der Zeit in Japan (nämlich seit drei Jahren) gearbeitet wurde, so hat doch die starke japanische Fokussierung auf die Jahreszeiten Redzepi auf diesem Weg bestätigt. Von Jänner bis April, wenn so gut wie nichts wächst, aber Fische samt Innereien und Meeresfrüchte von optimaler Qualität sind, wird das neue Noma ein Seafood-Lokal, wird das Menü proteinreich und kürzer werden, der Fisch gerade einmal ergänzt von dem, was das eigene Glashaus und die eingelegten Vorräte hergeben. Auch Besteck und Geschirr sollen dann den Winter widerspiegeln – auch daran ist der japanische Einfluss auf Redzepis Denken ablesbar.

Von Mai bis August wird das Menü grün. Zumindest grün als Überidee – das Noma soll während dieser Zeit ein vegetarisches Restaurant sein. „Wie kann man einen Teller Spinat genauso befriedigend machen wie ein Steak?“, lautet Redzepis Aufgabenstellung. Die Antwort: Unter anderem mithilfe der Fermentation, an der in Laborcontainern schon jetzt geforscht wird und die im derzeitigen Menü zu Ergebnissen wie einer Emulsion aus „nur Butter und Gerste“ führt – freilich hochkomplex dank verschiedener Fermentationsvorgänge. „Nur wenige Leute wussten, dass die vor zwei Jahren hinter dem Noma gebaute Fermentationsküche hauptsächlich dazu diente, ein Menü ausschließlich aus Gemüse zu entwickeln.“

In der dritten Jahreszeit wandert der Fokus von der eigenen Urban Farm Richtung Wald: Von September bis Dezember wird es Wild geben, auch als große Braten – „eine Krickente für zwei, eine Gans für sechs, eine Elchhaxe für acht“ –, ergänzt von Beeren, Pilzen, Nüssen. Man darf prognostizieren, dass viele Restaurants auf den Zug der großen Braten aufspringen, womöglich schon bevor das Noma selbst es wieder einmal vormacht.

Die Stadtflucht hat wohl nicht nur mit der Sehnsucht nach diesem Steinzeitdiät-Biedermeier zu tun. Der jetzige Standort ist fast schon stressig geworden, etwa wegen Schaulustiger, die den Gästen beim Essen zusehen. Und durch die nagelneue Brücke Inderhavnsbroen zur Innenstadt hin wurde das Lokal quasi auf den Trampelpfad gehievt. Als die Brücke erstmals geschlossen wird, stehen die Servicemitarbeiter aufgereiht am Fenster. Dieses Bild lässt spüren: Der Aufbruch kommt zur rechten Zeit.

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