Pita-Lokale: Zu wild für Wien?

Leben. „Zu laute Mu­­sik?“ Eyal „Hungry“­ Guy versteht den Vorwurf nicht.
Leben. „Zu laute Mu­­sik?“ Eyal „Hungry“­ Guy versteht den Vorwurf nicht.(c) Beigestellt
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Die neuen Pita-Lokale in der Innenstadt, Miznon und Hungry Guy, sind alles andere als brav und leise – und überfordern damit so manche Wiener.

Er duzt alle Gäste, „egal wie viele Krawatten jemand trägt“: Der gebürtige Israeli Eyal Guy, nach dem das Pita-Lokal Hungry Guy am Rabensteig benannt ist, kann gar nicht anders. Das kann aber wiederum so mancher Wiener nicht verstehen. „Im Hebräischen gibt es schon eine Sie-Form, aber die wird fast nie gebraucht.“ Das Du-Wort ist aber nicht das Einzige, womit das Hungry Guy bei einigen Wiener Gästen auf ein Alzerl Unverständnis stößt, wie in den ersten Monaten zu beobachten war. Ein Wodka-Shot aufs Haus, eine Kostprobe zwischendurch – da kommt schon einmal die eingeschüchterte Antwort „Das habe ich aber nicht bestellt“. „Unsere Köche sollen Kostproben verteilen, wenn sie gerade etwas austüfteln“, erzählt Eyal Guy. Und der Gastro-Unternehmer Richard Lanczmann, der ebenfalls hinter dem Lokal steckt, spitzt zu: „Das ist nahöstliche Gastfreundschaft – wenn man in ein Haus hi­nein­kommt und es nur mehr heißt, ‚Iss, iss, iss‘. Wir geben sehr viel her, das ist eben unsere Gastfreundschaft.“

Miznon. Es wird gebrüllt, es wird gestoßen: ein Stück Tel Aviv in Wien.
Miznon. Es wird gebrüllt, es wird gestoßen: ein Stück Tel Aviv in Wien.(c) Lisa Leutner
Mischung. „Kein israelisches Lokal“, sondern „Out of the box“-Fusion.
Mischung. „Kein israelisches Lokal“, sondern „Out of the box“-Fusion. (c) Beigestellt

Pita-Ideen. „Open mind, open kitchen“, sagt Eyal Guy, der auch Psychotherapeut ist. Das Hungry Guy soll kein israelisches Lokal sein, „wir haben auch keine Falafel, weil uns die zu definiert israelisch wären“. Gekocht werde eine „Out of the box“-Fusionsküche, mit Schwerpunkt auf Pita aus der eigenen Bäckerei. Gefüllt etwa mit Schokolade-Chili-con-Carne, orientalisch gewürztem Grillhendl oder Ajo blanco, Mandelcreme mit Weintrauben. Guy setzt auf die Führungsphilosophie, dass „die Mitarbeiter genauso Könige sind wie die Gäste. Wir müssen uns hier alle wohlfühlen. Die Mitarbeiter kommen aus 13 Ländern, sie bleiben hier auch einmal bis sechs Uhr Früh.“ Gefunden hat er sie über eine „sophisticated formulierte Anzeige“ auf einem Jobportal. Koch- oder Serviceausbildung war ihm weniger wichtig als zu wissen, was sie in ihrer Freizeit machen. „Schau dir den an, der ist heute Abwäscher, morgen kocht er vielleicht oder steht an der Kassa.“ Dass es dabei nicht immer zu hundert Prozent geordnet zugeht, liegt auf der Hand. „Aber ich liebe sie alle“, sagt Guy. Die Küchenlinie, sagt Lancz­mann, sei Streetfood „für jeden, dem’s hier nicht zu laut ist“. Er spricht damit einen Punkt an, der ebenfalls bei manchen Gästen für Stirnrunzeln sorgt: Es läuft Musik, und das nicht ganz leise. „Die Musik hier ist nicht zu laut“, knurrt Eyal Guy, auf den Vorwurf angesprochen. „Die sollen mal ins Miznon gehen!“

Gestik. Ohne Hände kann Miznon-Überchef Eyal Shani nicht reden.
Gestik. Ohne Hände kann Miznon-Überchef Eyal Shani nicht reden. (c) Beigestellt
Frisch. Pita aus der eigenen Bäckerei, aber keine Falafel: im Hungry Guy.
Frisch. Pita aus der eigenen Bäckerei, aber keine Falafel: im Hungry Guy. (c) Beigestellt

Chaos – Balagan. Im Miznon, das Ende 2015 knapp vor dem Hungry Guy eröffnete, würde wohl niemand behaupten, dass es hier ruhig zugeht. Es läuft Musik (wobei „läuft“ angesichts der Gemächlichkeit des Wortes eine Untertreibung ist, man muss eigentlich „rennt“ sagen), fertige Bestellungen werden aus der offenen Küche gebrüllt, und wenn sich kein Gast meldet, stimmen eben noch fünf weitere Köche in den Brüllchor ein. „Susi!!“ „Thomas!!!“ „Susi!!!!“ Der Küchenschluss wird nicht weniger lautstark mit einem Tamburin eingescheppert. Hinter dem Miznon steckt der in Israel sehr bekannte Eyal Shani, selbst auch kein unauffälliger und ruhig kommunizierender Mensch. Der Spirit seiner Dependancen in Tel Aviv – viele Köche, viel Gebrüll, viel Chaos – wurde auch auf die Wiener Adresse übertragen. Man bestellt Gerichte wie den knusprigen Karfiol oder „Chicken Spachtel“ am besten auf Englisch, woran man sich in Wien erst gewöhnen muss, man nimmt sich ein Bier aus dem Heineken-Kühlschrank und öffnet es mit dem herabbaumelnden Flaschenöffner, man braucht eine Lupe und gut geölte Ellbogen, um die einzige und durchaus nicht groß geschriebene A4-Getränkekarte über der Budel zu entziffern, die bar jeglicher Hipsterlimonaden, Naturweine oder Gin-Infusions ist. Dafür gibt es ein kostenloses Buffet mit Pitabrotabschnitten und Saucen, und je nach Laune der Diensthabenden eine Runde Wodka aufs Haus. Für Gäste, die das wohlerzogene Vorgängerlokal an dieser 1A-Adresse hinter dem Stephansdom, das Dombeisl, kannten, ist das Miznon wohl noch extremer und gewöhnungsbedürftiger. Ehemalige Stammgäste, die sich den Nachfolger einmal ansehen wollten, saßen anfangs eher verloren auf den Vintage-Schulsesseln und warteten gottergeben darauf, dass ihr Name (oder etwas, was die hebräischsprachigen Köche dafür hielten) gebrüllt wurde. Diese leichte Überforderung mit dem Miznon ist jedoch keine Altersfrage: Auf Social-Media-Kanälen etwa erfährt man auch von stadtbekannten jungen Foodies, dass sie beim Essen auf ins Ohr gepeitschtes „Guantanamera“ gut verzichten könnten. Für andere wiederum ist ein Besuch im Miznon wie ein Kurzurlaub in Tel Aviv: „Ich liiiiebe das Miznon!“, hört man in Wien derzeit ebenso häufig.

Tipp

Pita essen, Stimmung und Lärm tanken. Miznon, Schulerstraße 4, 1010 Wien. Hungry Guy, Rabensteig 1, 1010 Wien.

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