Mode: Im Wandel der Zeit

Gigantisch. Ein Riesenspektakel  in industriellem Setting richtete Versace aus. Die Models schritten eine endlos lange Frontrow ab.
Gigantisch. Ein Riesenspektakel in industriellem Setting richtete Versace aus. Die Models schritten eine endlos lange Frontrow ab.(c) REUTERS (STEFANO RELLANDINI)
  • Drucken

Die Mode, wendig und leicht. Das System selbst, ein behäbiger Koloss? Er begann sich doch bei den jüngsten Fashion Weeks zu rühren.

Bei Chanel verzichtete Karl Lagerfeld auf das große Spektakel und orientierte sich an früheren Couture-Settings.
Bei Chanel verzichtete Karl Lagerfeld auf das große Spektakel und orientierte sich an früheren Couture-Settings.(c) APA/AFP (PATRICK KOVARIK)

So sehr es stimmen mag, dass die Mode für den ständigen Wandel steht, so rigide scheint das System Mode selbst seit Jahrzehnten in seinen eigenen Spurrinnen dahinzufahren. Fast genau fünfzig Jahre ist es her, dass sich in Paris – damals eine unerhörte Entwicklung – einige Couturiers der Konfektion zuwandten und die Ära des „Prêt-à-porter des couturiers“ einläuteten. Um die Produktion der auf Großhandelsbestellungen angewiesenen Konfektionsware gewährleisten zu können, wurde jedoch auch der Schauenkalender des neuen Designer-Prêt-à-porters um ein halbes Jahr nach vorn verschoben. Bei diesem Zeitplan ist es bis in die jüngste Vergangenheit auch geblieben: Zweimal im Jahr Couture-Schauen, zum jeweiligen Saisonstart, weil die Bestellungen in den hauseigenen Ateliers relativ schnell abgewickelt werden. Zweimal im Jahr Prêt-à-porter-Defilees, allerdings zeitversetzt, aus Gründen der Logistik. Dazwischen eine kaum überblickbare Anzahl von Shows und Präsentationen von Kapsel- oder präsaisonalen Kollektionen, zumeist ebenfalls sechs Monate vor Verkaufsstart. Während der eben zu Ende gegangenen Fashion Weeks (man zeigte Kleidung für den kommenden Herbst) in London, New York, Mailand und Paris wurde aber deutlich, dass es im Gebälk dieses eingespielten Systems unüberhörbar laut kracht. Anlass, den über Jahrzehnte bewährten Modus infrage zu stellen, bieten die von den meisten Modemarken intensiv genutzten Möglichkeiten der digitalen Kommunikation über eigene Webplattformen, Livestreams und natürlich die sozialen Medien. Ein Produkt medienwirksam zu präsentieren und den größtmöglichen Buzz zu erzeugen, es aber erst sechs Monate später in den Handel bringen zu können und den unmittelbar entstandenen Werbewert nicht auszunützen, das mutet besonders den „Digital Natives“ in der Modebranche als Absurdität an.

Große Themenvielfalt von Miuccia Prada. In vielem war sie der Herrenkollektion nahe.
Große Themenvielfalt von Miuccia Prada. In vielem war sie der Herrenkollektion nahe. (c) REUTERS (ALESSANDRO GAROFALO)

Schauen und kaufen. Zu den aufgeschlossensten Marken, was das Experimentieren mit neuen Kommunikations- und Vetriebsmodellen betrifft, zählt seit Jahren Burberry. So ist es nur stimmig, dass Chefdesigner und CEO Christopher Bailey am Anfang der Saison tiefgreifende Veränderungen angekündigt hat: Zum einen soll Frauen- und Männermode künftig gemeinsam präsentiert werden. Zum anderen werden weite Teile der Kollektion sofort nach dem Defilee erhältlich sein. Aus dem „Ready-to-wear“ soll also künftig eine Art „Ready-to-buy“ werden. Auf das von Burberry erzeugte Momentum bauten auch andere Marken auf und kündigten ähnliche Initiativen an: Tom Ford gab etwa bekannt, sein Defilee zur Präsentation der Herbstmode erst zum tatsächlichen Saisonbeginn, im September, abhalten zu wollen. Das Motto „See now, buy now!“ schrieb sich auch Michael Kors auf seine Fahnen, und zwar in Form einer sofort lancierten Kapselkollektion, als Vorgeschmack auf die folgende Saison.

An Atlantis sollte das Show-Setting bei Louis Vuitton  erinnern, die Kollektion spielte viele verschiedene Stückchen.
An Atlantis sollte das Show-Setting bei Louis Vuitton erinnern, die Kollektion spielte viele verschiedene Stückchen.Beigestellt

Einen anderen Weg der Veränderung geht das noch
relativ kleine, in Paris aber als Insiderjuwel gehandelte Modelabel Vetements: Ab der Herbstkollektion 2017  (!) soll die Damenmode gemeinsam mit jener für Herren gezeigt werden. Das entspreche, so CEO Guram Gvasalia in einem Interview mit Vogue.com, einer signifikanten Ausweitung der Verweildauer in den Läden und mache die Lancierung einer eigenen Pre-Fall bzw. Cruise-Kollektion unnotwendig. Sein Bruder, Vetements-Designer Demna Gvasalia, präsentierte in Paris auch seine erste Kollektion für Balenciaga. Von einer Veränderung des Defileekalenders ist da noch nicht die Rede, doch untermauert diese Doppelfunktion Gvasalia als einen der einflussreichsten neuen Kreativen in Paris.

In eine Tiroler Fantasie wurde das Defilee von Moncler Gamme Rouge umgewidmet – Kuhglocken inklusive.
In eine Tiroler Fantasie wurde das Defilee von Moncler Gamme Rouge umgewidmet – Kuhglocken inklusive.Beigestellt

Gut Ding braucht Weile. Noch ist nicht abzusehen, wie viele Marken sich an den neuen Entwicklungen beteiligen werden. Eine erste sich abzeichnende Tendenz ist aber eine Kluft zwischen New York und London als Ready-to-buy-Vorreitern auf der einen, Paris und Mailand mit einer ablehnenden Haltung auf der anderen Seite. Sowohl die maßgeblichen Körperschaften als auch viele wichtige Designer haben sich relativ eindeutig für oder gegen das Ready-to-buy-System ausgesprochen. Die Position der exklusivsten Maisons ist relativ einheitlich dieselbe: Kreativität brauche Zeit, eine in die Nähe des Verkaufsstarts gerückte Laufstegpräsentation „widerspricht der Idee von Luxus“, meinte der CEO der Kering-Gruppe, François-Henri Pinault, sogar in einem Interview mit „Bloomberg“. Warum es akkurat die paar Monate zwischen Defilee und Verkaufsstart sein sollen, die den Unterschied zwischen Kommerz und Luxus ausmachen sollen, während, siehe oben, die Königsdisziplin der Haute Couture sofort für relativ zeitnah ausgelieferte Orders zur Verfügung steht, ist allerdings nicht gleich nachvollziehbar. Als hilfreich mag sich die Argumentation erweisen, der Max-Mara-Designer Ian Griffiths im Gespräch mit dem „Schaufenster“ folgt: „Für uns funktioniert die zeitversetzte Präsentation. Die Medien sorgen dafür, dass sich ein Echo unserer Kollektion in den kommenden Monaten fortsetzen wird, auch auf sozialen Medien werden Bilder zu sehen sein, ebenso wie in Modestrecken in Printmedien. Bis die Kollektion in den Laden kommt, sind die Konsumenten sozusagen auf sie vorbereitet, so sehe ich das.“

Moschino bringt schon seit einigen Saisonen einen Teil der Kollektion sofort als um sechs Monate vorversetzten Pre-Launch in die Boutiquen. Auch Miu Miu (o.) und Prada experimentierten nun  erstmals mit diesem Pre-Launch-Modell.
Moschino bringt schon seit einigen Saisonen einen Teil der Kollektion sofort als um sechs Monate vorversetzten Pre-Launch in die Boutiquen. Auch Miu Miu (o.) und Prada experimentierten nun erstmals mit diesem Pre-Launch-Modell.Beigestellt

Großen Modehäusern, die zumeist über ein eigenes Boutiquennetz und damit über Möglichkeiten der vertikalen Distribution verfügen, fällt das grundsätzliche Nachdenken über die Praktizierbarkeit eines „See now, buy now“-Modells jedenfalls leichter als kleineren Marken, die fast ausschließlich von Handelspartnern abhängig sind und maximal einen eigenen Onlinestore überschaubaren Ausmaßes betreiben. „Von kleineren Labels habe ich bislang fast nur Negatives über die neuen Entwicklungen gehört – und das finde ich schade“, zeigt sich die Wahlberlinerin Marina Hoermanseder aufgeschlossen für Neues. Seit einigen Saisonen hat sie mit großer Energie den Aufbau ihres Instagram-Accounts betrieben, der ihrer Mode Sichtbarkeit und im Idealfall neue Käufer einbringt: „Dadurch ist aber auch unsere Öffentlichkeitsarbeit so viel schwieriger geworden: Wenn ich im Jänner mit einer Tasche in der Presse bin, die es erst im Sommer zu kaufen gibt, kann ich die direkt entstehende Nachfrage nicht bedienen.“ Wenngleich Hoermanseder sich offen für Veränderungen zeigt, räumt sie auch mögliche Schwierigkeiten ein: „Natürlich bekommen wir als Label auch viel Buzz durch die Show, weshalb wieder neue Einkäufer auf uns aufmerksam werden.“ Selbst wenn Hoermanseder also, wie es ohnehin bei einer Umstellung des Präsentationskalenders der Fall sein müsste, die kommende Kollektion unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereits ein halbes Jahr im Voraus den wichtigsten Presse- und Handelsvertretern vorstellte, wäre es ihr aufgrund der nötigen Zeit für das Anlaufen der Produktion nicht mehr möglich, das durch eine Show geweckte Interesse potenzieller Neukunden zeitgerecht zu befriedigen. Ein erstes Vortasten in Richtung des Ready-to-buy machten manche Marken indessen über den Umweg ihrer Laufstegaccessoires. Die beiden Schwestermarken Miu Miu und Prada haben etwa zum ersten Mal gleich nach der Präsentation ihrer Herbstkollektionen eine bzw. zwei Handtaschen in einer sehr geringen Anzahl für Boutiquen in den Handel gebracht. Es handelt sich offenbar um einen Testlauf. Wenn er gut vonstatten geht, dürfte das vorhandene Ausbaupotenzial künftig genutzt werden.

Für momentanen Buzz sorgte bei Tod’s eine Performance, ersonnen von Vanessa Beecroft.
Für momentanen Buzz sorgte bei Tod’s eine Performance, ersonnen von Vanessa Beecroft.Beigestellt

Phasenweise. Schon seit einigen Saisonen experimentiert Moschino unter der kreativen Führung von Modeparadiesvogel Jeremy Scott mit dem Modell eines sofort verfügbaren Pre-Launches. Ein Teil der Kollektion ist für den sofortigen Verkaufsstart bestimmt und kann von allen Boutiquen, die die Marke führen, geordert werden – allerdings in blindem Vertrauen auf das kommerzielle Potenzial, zu sehen gibt es zum Zeitpunkt der Order nämlich noch nichts. Sascha Trefelik ist zuständig für den Einkauf bei Popp & Kretschmer in Wien und hat sich von Anfang an auf dieses Experiment eingelassen: „Die Capsule Collection von Moschino ist so prägnant und präsent in den Medien, dass es tatsächlich Leute gibt, die kommen und nach ihr fragen. Wir widmen der Kollektion aber regelmäßig auch ein ganzes Schaufenster, und das ist für das Gros unserer Kunden definitiv bedeutender.“ Trefelik findet es zwar nicht uninteressant und auch für den Handel potenziell von Interesse, dass künftig manche Marken die Kollektionspräsentation auf den Verkaufsstart abstimmen wollen. Zugleich zeigt er sich realistisch: „Den meisten ist es komplett egal, ob ein Modell gestern auf dem Laufsteg zu sehen war.“ Wie es wirklich weitergeht, wird man wohl erst in ein, zwei Saisonen abschätzen können. So gigantisch sind die Dimensionen des globalen Kommerzriesen Mode nämlich, dass es für eine große Umwälzung einiger Zeit bedarf. Doch es bleibt zu hoffen, dass in der Übergangsphase nicht allzu große Kluften die einzelnen Modemetropolen und -häuser zu trennen beginnen und man sich zumindest innerhalb einer Modestadt rasch auf einen Standard einigt. Wenn sich nämlich dereinst sogar das Fachpublikum bei einem Defilee verlegen „Which season are we about to see?“ zuraunen müsste, wäre an die Stelle einer optimistisch erhofften Veränderung eine nicht unbedingt zielführende Verunsicherung getreten. Fortsetzung folgt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.