Chanel: Almrausch in Paris

(c) Jo Pesendorfer
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Ein Besuch bei den französischen Handwerkskünstlern, deren Geschick die Salzburger „Arts et Métiers“-Kollektion von Chanel erst ermöglicht hat.

Zwei Wochen vor der „Arts et Métiers“-Show von Chanel in Schloss Leopoldskron: zu Besuch in den Werkstätten im Pariser Vorort Pantin. Bei den Hutmachern von Maison Michel, einem der traditionellen Handwerksbetriebe, die Chanel vor einigen Jahren aufgekauft hat, herrscht große Aufregung: Die Rohlinge und die Holzformen für die Hüte der „Paris – Salzburg“-Kollektion sind noch nicht da! Nicht, dass es bei Michel nicht noch genug anderes zu tun gäbe, schließlich muss auch für andere Auftraggeber produziert und der Michel-Pop-up-Store in der Rue Cambon mit Ware befüllt werden. Doch die „Arts et Métiers“ haben jetzt absolute Priorität, ist die Kollektion doch akkurat der Handwerkskunst in diesen Ateliers gewidmet. Da alle Kleider, Taschen, Hüte, Schuhe ja in der Folge auch noch nach Österreich geliefert werden müssen, drängt die Zeit umso mehr. „Natürlich werden wir rechtzeitig fertig“, sagt eine Modistin. „Aber wenn die Materialien verspätet eintreffen, bleibt das letzten Endes an uns hängen.“



Die Blumen- und Federmacher von Lemarié, seit nicht allzu langer Zeit in demselben Gebäude untergebracht, sind schon einen Schritt weiter: Schnittteile von Ärmeln sind auf den Werkbänken ausgelegt, darauf werden Federteile in akribischer Detailarbeit einzeln angeklebt, bis ein dichter, flauschiger Besatz aufgebracht und der Stoff kaum mehr zu sehen ist.

„Streng genommen ist das ja eine Prêt-à-porter-Kollektion“, sagt die Mitarbeiterin aus der Pariser Zentrale, die – wie alle anderen – namentlich nicht genannt werden darf. „Doch bei den ,Arts et Métiers‘-Entwürfen soll ja gerade das Savoir-faire der Werkstätten betont werden, das nähert sie der Haute Couture an.“

Einblicke. Gut zehn Tage bleiben noch bis zum Abtransport, und hie und da erhält ein Besucher in den Ateliers auch schon recht guten Einblick in das, was letzten Endes in Salzburg präsentiert werden soll. Bei Lemarié posieren zwei Mitarbeiterinnen mit ihren Händen für die Fotografen, halten in einem Arbeitsschritt inne. Unter ihren Fingern entsteht ein farbenfrohes Tableau aus Federn und Kunstblumen. Hinter ihnen, an der Wand, ist der fertige Besatz für ein Oberteil zu sehen: Wildenten, die sich über einen See (im Salzkammergut?) emporschwingen.

Der Besucher aus Österreich erwähnt, dass schon alle sehr gespannt seien, welche Salzburg-Assoziationen des Chanel-Teams am Ende über den Laufsteg wandern werden. „Assoziationen des Chanel-Teams und von uns allen hier“, erwidert die freundliche Dame von Lemarié. „Schließlich ist es an uns, die Entwürfe auszuführen.“ In die Tat sind die Kopien der Skizzenblätter, die hier allerorts aufliegen oder an Pinnwänden hängen, nicht allzu reich an fein gezeichneten Details. Erst bei Besprechungen mit den Chefs d’ateliers von Chanel und den zuständigen Atelierleitern werden die Einzelheiten festgelegt.

Haute-Couture-Vorschau. Beim Fotografieren in den Werkstätten muss genau aufgepasst werden. Einerseits sollen keine Gesichter zu sehen sein, die Mitarbeiter bleiben auf den für ein Magazin geschossenen Fotos anonym. Andererseits ist der Anlass für den Besuch zwar die hier gerade mit Feuereifer finalisierte Paris-Salzburg-Kollektion, die Mitarbeiter der Ateliers sticken, zupfen, fädeln, kleben, formen und prägen aber nicht nur für Chanel. Auf der einen oder anderen Skizze sind auch die Namen anderer Modehäuser zu lesen – en passant erschließt sich hier eine Vorschau auf den einen oder anderen Pariser Haute-Couture-Laufsteg.

Auf die Frage, seit wann er schon über den Stickereien für die „Arts et Métiers“-Show sitze, antwortet ein Lesage-Mitarbeiter: „Erst seit drei oder vier Tagen.“ Knapp sei es zwar, aber auch nicht knapper als sonst. Dass überall dort, wo auf dem Deckblatt von Arbeitsmappen ein Abgabetermin einzutragen wäre, „dès que possible“ – so bald wie möglich – steht, kann hier also niemanden aus der Ruhe bringen. Das Arbeiten unter Zeitdruck sind alle Zulieferer der stets hektischen Modebranche gewöhnt. Und doch gilt selten so sehr wie hier: Eile mit Weile.

Tanz der Schmetterlinge. Ein Blick auf die Werkbank der Sticker, ob sie nun Perlen und Steine auffädeln oder Skizzen in Originalgröße auf Pauspapier übertragen, lässt manche Österreich-Inspiration offenbar werden. Lesage wird übrigens das „Maison des soixante“ genannt, das Haus der Sechzig: Um die 60 Mitarbeiter arbeiten ständig hier, etwa 60.000 archivierte Stickereien umfasst das Archiv, das 160 Jahre Firmengeschichte abdeckt, und etwa 60 Tonnen Material werden pro Jahr verarbeitet.

Federn, Herzchen, Edelweiß, auch Schmetterlinge lassen die Lesage-Mitarbeiter auf den Stoffen entstehen: Die hier angewendete Technik ist nach der französischen Stadt Lunéville benannt, die den Einsatz eines speziellen Stickhäkchens (des „crochet de Lunéville“) vorsieht. Man arbeitet auf der linken Seite des Stoffes, also der Unter- oder späteren Innenseite.

Woher die Schmetterlinge kommen, ob sie an Julie Andrews in „The Sound of Music“ erinnern sollen, die mit ausgestreckten Armen als Maria von Trapp über Salzburger Bergwiesen tanzt, an Sisis unbeschwerte Kindertage oder etwas ganz anderes, weiß hier in Pantin noch niemand. Der Zusammenhang wird sich erst erschließen, wenn die Kollektion fertiggestellt ist und die Kleider durch Schloss Leopoldskron schwirren.

In den Ateliers aber wird bis zur letzten möglichen Sekunde gewerkt, alle Beteiligten schenken den feinsten, kostbarsten Details ihre ganze Aufmerksamkeit. So beeindruckend oder stimmig eine ganze Kollektion auch sein mag, wenn sie über den Laufsteg geschickt wird, das, worum es bei den „Arts et Métiers“ eigentlich gehen soll, erschließt sich wahrscheinlich am besten in den Werkstätten und dort, wo die hohe Qualität eines fertigen Kleidungsstückes wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Für die „maîtres artisans“, die Handwerksmeister, heißt es weiterhin und stets bis zuletzt: „Travail en cours“ – die Arbeit ist im Gang.

Der Autor reiste auf Einladung von Chanel nach Paris und Salzburg.

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