An der Gürtellinie

Beuteltier. Wenn sogar bei Céline Taschen von Gürteln baumeln, ist der Trend verbürgt.
Beuteltier. Wenn sogar bei Céline Taschen von Gürteln baumeln, ist der Trend verbürgt.(c) APA/AFP/PATRICK KOVARIK
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„Ich-Pleite“ & Mode: Die „Schaufenster“-Kolumnistin analysiert das Revival eines reisekompatiblen Modehits aus den Achtzigerjahren.

In jeder Branche gibt es ein Argument, das todsicher dazu dient, einer Idee den Garaus zu machen. In der Modewelt ist es ein Wort, und das heißt „praktisch“. Das Praktische ist der Feind des Schönen. Das Totschlagargument wiegt zwar nicht mehr so schwer wie zur Zeit des Rokkoko, als ein It-Girl noch bis zu 15 Kilogramm Stoff mit sich herumtragen musste, aber wer heute ein Accessoire in seiner Modekolumne preist, das praktisch ist, muss sich dafür immer noch einen guten Grund einfallen lassen. Was cool war, als die eigene Mutter noch zur Schule ging, hat auf jeden Fall den Vintage-Bonus. Aber reicht das schon für ein Revival eines Taschenteils, das zwischen der Erfindung und seiner Wiederkehr schrecklich uncool war?

Zuerst einmal: Wovon reden wir eigentlich? Mit dem Namen beginnt nämlich schon das Problem. Nennen wir das Ding, das neuerdings wieder locker-lässig um unsere Hüften baumeln soll, Bauchtasche, Bananentasche oder gar Wimmerl, so sprechen wir nicht vom selben Accessoire, das zuletzt auf den Runways von Christopher Kane, Alexander Wang oder Michael Kors für erstauntes Twittern und Bloggen gesorgt hat. Dann befinden wir uns nämlich im falschen Jahrhundert. Dort, wo die heutige Gürteltasche, Fanny Bag oder Hip-Bag zum ersten Mal das Licht der Modewelt erblickt hat.

Generation Bauchtasche. Wie viele Lieblingsstücke der Modeszene begann auch die Karriere der Bauchtasche in der Avantgarde-Musikszene. Zum ersten Mal zu sehen war sie in Wien etwa auf den Taillen der coolsten Girls aus der Musik- und Clubbingszene. Ihre Vorteile lagen auf der Hand bzw. der Hüfte: Beide Hände bleiben frei, um brennende Feuerzeuge hochzuhalten, Peace-Zeichen in die Luft zu malen, beim Tanzen mit den Armen den Rhythmus zu unterstreichen, und was man bei einem Clubbing mit den Armen sonst noch alles machen konnte. Abgesehen davon, lenkte das kecke Hüftenteil die Blicke – unter Umständen eines ganzen Sofiensaals – auf die anmutigen Kurven seiner Trägerin. Cool mit sich herumgetragen hat man: Zigaretten, Feuerzeug, Festivalpass, U-Bahn-Karte, Telefonmünzen, Verehrertelefonnummern auf Papierfetzerln, Kondome.

Hüftgold. Diese recht klassische Variante entwarf US-Stardesignerin Tory Burch.
Hüftgold. Diese recht klassische Variante entwarf US-Stardesignerin Tory Burch.(c) Beigestellt

Dann vergingen ungefähr 30 Jahre, in denen die Bauchtasche von den Hüften der Partygirls verschwand, um sich ganz woanders niederzulassen. Dort, wo man mehr das Praktische der Bauchtasche als das Neckische schätzte. Und mehr die Sicherheit als die Schönheit. Klar, dass das Wohlwollen der Modewelt sich maximal von der Bauchtasche zurückzog. So sehr, dass man sagen möchte: Der Coolnessfaktor der Bauchtasche hat in demselben Ausmaß abgenommen, in dem die Leibesmitte ihrer Trägerinnen zugenommen hat. Das macht aber nichts, denn dort, wo die Bauchtasche inzwischen gelandet war, auf den Trekking-, Touristinnen- und Seniorinnenhüften, zählten schließlich andere Werte: Sicherheit zum Beispiel.

Dass einem die paar Hundert Dollar, die man für die Reise in ein sehr südliches Land eingesteckt hatte, nicht während einer nächtlichen Busfahrt abhandenkommen. Oder Gesundheit: dass man auf den arthrosegeplagten Schultern nicht auch noch eine Handtasche mittragen musste, bei der sowieso die Gefahr bestand, dass man sie im Damen-WC einer Autobahnraststätte auf dem Weg nach Assisi liegen lassen würde. Die inneren Werte der Bananentasche waren: Notgroschen in einer Währung, deren Namen man nicht aussprechen kann, Lawinenpiepsgerät, Schmerztabletten, Herztabletten, Bluthochdrucktabletten, Baldriantabletten, internationaler Krankenschein, Eintrittskarte für die bayrischen Königsschlösser.

Zugegeben, es wäre verführerisch, einer Bauchtasche alles umzuhängen, was die zivilisationsgebeugte, lebensrisikominimierende, globalisierungsgewinnende und moderne Frau langsam, aber sicher an den orthopädisch geeichten Bürostuhl gebracht hat. Sprich: Würde man seine Masseurin fragen, wäre es klar, dass sie einem eine Tasche empfehlen würde, mit der man das Tragegewicht dorthin verlagert, wo es am wenigsten belastend wirkt, und in die alles hineinpasst, was man für sein nomadisches Großstadtleben so braucht: Smartphone, Tablet-Computer, Geld, Kreditkarte, Lippenstift, Smoothy, Wasserfläschchen, Vollkornsnack. Doch halt! Denken Sie nicht weiter! Ein so umfangreiches Beuteltier wäre niemals eine Fanny-Bag. Denn eine Fanny-Bag ist kein Problemlösungsaccessoire.

Anhänglich. So praktisch wie edgy: der vielseitig verwend­bare Hüftring von Vetements.
Anhänglich. So praktisch wie edgy: der vielseitig verwend­bare Hüftring von Vetements.(c) Beigestellt

Endlich wieder hip. Vereinzelt schon im Vorjahr auf den Laufstegen von David Tomaszewski, Malaika Raiss und Céline zu sehen gewesen, kommen die kleinen anhänglichen Taschenstücke heuer groß heraus. Tief auf den Hüften, lässig beiläufig auf Samt und Seide getragen, tauchten sie zuletzt auf den Laufstegen bei Phillip Lim, Jason Wu, Prada, Chanel sogar Louis Vuitton auf.

Wie sehen sie aus? Gediegen in Leder, extravagant in knalligen Lackneonfarben, mit Pailletten, Nieten, Schriftzug, Metallic-Optik. Damit die Hip-Bag aber das ist, was in ihrem Namen mitschwingt, muss sie – erraten! – unpraktisch sein. Hinein kommt praktisch alles, was wir zum Genießen eines schönen Abends brauchen: Smartphone statt Verehrertelefonnummern, Smartphone statt U-Bahn-karte, Smartphone statt Kondomen. Cool! Um so richtig hip zu sein, müsste sich ein heutiges It-Girl allerdings noch etwas anstrengen. Denn die It-Girls des Rokoko trugen in ihren Gürteltaschen (gut unter ihren vielen Röcken versteckt) nur zwei Dinge bei sich: ein Riechfläschchen und einen Dolch.

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