Jil Sander: Die totale Gestaltung

gesichtsfeld. Der androgyne Look von Model Edie Campbell sagte Sander zu.
gesichtsfeld. Der androgyne Look von Model Edie Campbell sagte Sander zu.(c) David Sims
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Eine große Ausstellung, die der Arbeit von Jil Sander in Frankfurt gewidmet ist, macht deutlich, wie geradlinig die Visionärin der deutschen Mode ihre Ideen umgesetzt hat.

klarheit. Gegen alle Widerstände setzte Sander ihre Modevision durch.
klarheit. Gegen alle Widerstände setzte Sander ihre Modevision durch.(c) Peter Lindbergh

Wie viele andere Kreative, die stets darum bemüht sind, etwas Zukunftsweisendes zu schaffen, konnte sich auch Jil Sander, Deutschlands be­­kann­teste Modedesignerin und Minimalismus-Visionärin, lang nicht mit der Vorstellung einer Retrospektive ihrer Arbeit anfreunden. So heißt es etwa, sie habe ein diesbezügliches Angebot des Victoria-&-Albert-Museums in London ausgeschlagen. Nun ist es aber doch zu einer Ausstellung gekommen, die Positionen aus fünf Jahrzehnten (Sander eröffnete 1968 eine Boutique in Hamburg und entwarf ergänzend zu der von ihr eingekauften Ware eigene Kleidungsstücke) versammelt. „Präsens“ heißt die Schau, die derzeit in Frankfurts Museum Angewandte Kunst zu sehen ist. Der Titel ist programmatisch, denn eine Verankerung des Œuvres in der Gegenwart bzw. eine Betrachtung von vergangenen Positionen aus aktueller Perspektive ist unbedingt erwünscht. Zurückzuführen ist die Retrospektive, die somit im Eigentlichen keine sein will, auf die Überzeugungskünste des Museumsdirektors Matthias Wagner K; es handelt sich um die 43. Schau des Museums in viereinhalb Jahren. Ein stattlicher Rhythmus ist das, möglich geworden durch einen Umbau des Hauses und eine Neukonzeption der Programmgestaltung, und das Publikum ist dankbar. „Als ich die Leitung des Museums übernahm“, so Wagner K, „war es für mich klar, dass ich Jil Sander hier zeigen will. Mit Blick auf Deutschland, aber auch im internationalen Kontext, ist ihre Position einzigartig. Sie ist immer ihrer Linie treu geblieben.“

Blick für das Ganze. Wagner K, der zuvor etwa als künstlerischer Leiter der Nordic Fashion Biennale in Reykjavik fungierte, hat in einer 15 Monate währenden Vorbereitungsphase mit der Designerin geeignete Präsentationsmodi erarbeitet: „Es ist mir zwar in der Zusammenarbeit gelungen, sie dazu zu bewegen, auch einmal zurückzublicken. Doch war ihr immer wichtig, dass dieser Blick aus der Gegenwart erfolgt; dass sie also aus heutiger Perspektive auf ihr Werk schaut und es präsentiert.“

kunstvoll. Sanders letzte Kollektion bezog sich auf Alighiero e Boetti.
kunstvoll. Sanders letzte Kollektion bezog sich auf Alighiero e Boetti.(c) Paul Warchol

Organisiert ist die Ausstellung nun nach verschiedenen Themengebieten: Als Ouvertüre ist ein Raum mit Videos von Kollektionspräsentationen aus den Jahren 1984 bis 2014 zu verstehen. Darauf folgt ein Saal, der – weitgehend leer geräumt – das Thema „Backstage“ aufgreift. Ebenso großzügig gestaltet ist das Kapitel „Werkstatt/Arbeitsraum“, und auch die Präsentation von nicht chronologisch angeordneten Modellen aus Jil Sanders Modeschaffen fügt sich harmonisch in die Architektur des Museumsbaus ein. Ohnehin sind Räumlichkeit und Baugestaltung für Jil Sander immer wichtige Themen gewesen. Ihr umfassender Gestaltungsdrang, der weit über die Grenzen der Mode hinausgeht, hat immer auch diesen Aspekt betroffen: „Charakteristisch für sie ist die absolute Großzügigkeit im Umgang mit der Architektur. So hat sie einmal zu mir gesagt: ,Man muss der Versuchung widerstehen, die Leere aufzufüllen‘“, sagt Matthias Wagner K dazu. Übrigens hat dem Vernehmen nach nicht zuletzt auch die Beschaffenheit des Museums, das 1985 von Richard Meier geplant wurde, wesentlich dazu beigetragen, dass Jil Sander der Frankfurter (Nicht-)Retrospektive zustimmte.

Durchsetzungskunst. Ein weiterer Punkt, den die Ausstellung aufgreift, ist die Annäherung von Kunst und Mode: Etwa durch eine Zusammenarbeit Sanders mit Mario Merz für die Kunst-Mode-Biennale in Florenz oder auch durch die Bezugnahme auf die Arbeit von Alighiero e Boetti in Jil Sanders letzter, vor dem Rückzug von ihrer Marke von ihr selbst entworfener Kollektion für das Frühjahr 2014. Viel Raum wird auch dem Kapitel der Jil-Sander-Parfums zugedacht: 1979 nahm diese Duftgeschichte ihren Ausgang, damals lancierte sie ihren ersten Damenduft, „Pure Woman“. Der Flakon – quadratisch, klar, in gefrostetem Glas – war unter langwierigen Tüfteleien massenproduktionstauglich gemacht worden.

Ein neues Kapitel. Im Frühling 2018 wird die von Jil Sander 1979 mit „Pure Woman“ begonnene Duftgeschichte der Marke fortgesetzt. „Sunlight“ heißt der neueste Duft aus dem Haus, und mit Susan Sarandon als Testimonial wendet sich das neue Parfum (auch) an reifere Frauen (60 ml um 67 Euro).
Ein neues Kapitel. Im Frühling 2018 wird die von Jil Sander 1979 mit „Pure Woman“ begonnene Duftgeschichte der Marke fortgesetzt. „Sunlight“ heißt der neueste Duft aus dem Haus, und mit Susan Sarandon als Testimonial wendet sich das neue Parfum (auch) an reifere Frauen (60 ml um 67 Euro).(c) Beigestellt

Jil Sander selbst war das Gesicht ihrer ersten Kampagne. Und das war wohl gut und wichtig, denn ein Designerparfum aus Deutschland, das war zu jener Zeit noch etwas, über das man etwa in der Welthauptstadt des Luxus, Paris, nur die Nase rümpfen konnte. Dass sich auch in diesem Bereich die Erzeugnisse von Jil Sander durchsetzen konnten und dass etwa „Sun“ oder „Bath & Beauty“ heute als Klassiker anerkannt sind, ist ein weiteres Puzzlesteinchen in der Erfolgsgeschichte einer Kreativen, die in ihrer Arbeit zumeist kompromisslos von sich selbst und ihren eigenen Wünschen ausgegangen ist.

Der Autor reiste auf Einladung von Coty Inc. nach Frankfurt.

Tipp

„Jil Sander – Präsens“. Die Ausstellung ist noch bis 6. Mai im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt zu sehen. Der Katalog ist im Prestel-Verlag erschienen.

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