Amanshausers Welt: 337 Irland

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Kleine Geschichten über große Locations.

Zu meinen unerfreulichsten Taten gehört der Versuch der Entwendung eines historischen Folianten aus Strokestown Castle, Irland. An diesem Tag in den Neunzigern trug ich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Tour de toilette“. Zu meiner Verteidigung könnte man neben der Verjährung des Delikts nur anführen, dass in den Stunden davor fantastische Mengen an Alkohol geflossen waren und dass Kumpanen mich mitrissen. Um vier Uhr morgens löste sich die Party im ehrwürdigen Castle langsam auf. Jemand hatte die halb ironische Idee, das Schloss „auszuräumen“, um aristokratisches Besitzgut im Sinne der Umverteilung an die wahren Bedürftigen, nämlich unsere Wenigkeiten, übergehen zu lassen. Goldene Tassen, silberne Krüge und Porzellanteller wurden mit Lieferantenmiene in den Kofferraum eines Mietwagens verladen. Das Geschirr fand ich sinnlos, aber plötzlich durchzuckte mich die wilde Freude des Plünderers. Ein frei liegender Foliant gefiel mir so gut, dass ich ihn unter den Arm nahm. Die Kofferraumaktion wurde von ein paar Securities beobachtet, die Kollegen durften das Zeug unter großem Trara gleich wieder zurückräumen. Doch ich trug den Folianten bis zu meinem Schlafraum, dessen Toilette ich vermutlich oral benutzte.

Im Frühstücksraum waren schon überall weiße DIN-A4-Zettel angeheftet, des Inhalts, dass ein wertvoller Band aus dem Fundus des Hauses fehlte. Während sich der Restalkohol langsam legte, setzten sich nach einer Gruppenbesprechung Vernunft und Eigentumsrecht durch, worauf die zerknirschte Rückgabe des Kulturguts in die Wege geleitet wurde.

Mir wird bis heute kalt bis auf die Knochen, wenn ich an diese Geschichte denke. Wieso zum Teufel hatte ich den Folianten an mich gerissen? Mir fehlte außer Gier und Unbesonnenheit ja jede Motivation für die Tat. Ja hätte ich den Folianten in kleine Schnipsel zerschnitten, die ich geplant hätte, zu einer Versteigerung zu transportieren, um mit dem Erlös den Bau einer Integrationsschule in Cork zu unterstützen! Ja hätte ich das Stück aus wissenschaftlicher Neugier in meinen Besitz bringen wollen, weil ich meinte, dass es besser zu mir als zu dem ehrwürdigen Castle passte – aber ich kann mich nicht einmal an seinen Titel erinnern. So blieb mir die Erkenntnis, dass der Mensch, der man selbst ist, manchmal anders handelt, als er sich selbst zutraut. Nie mehr plündern, du Trottel! – das wurde ein Vorsatz. Sorry, Strokestown Castle!

Ort

Das Strokestown Castle mit seinem berühmten Famine Museum (www.strokestownpark.ie) über die Große Hungersnot 1846–1851, County Roscommon, Irland.

Tipp

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