Amanshausers Welt: 352 Australien

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Kleine Geschichten über große Locations

Meine ursprünglichen Süchte, bestehend aus seriell in mitteleuropäischen Standardmengen konsumierten Halbliterbieren bzw. weißen Gspritzten und diversen leichten Drogen (jedoch nie inhaliert), habe ich abgelegt, und zwar im Zuge einer auch als Abtötung des Agonalen in mir interpretierbaren Erwachsenwerdung im Rahmen der Fortpflanzung. Auf dem Suchtsektor bleib mir wenig – nur diese wöchentliche Reisekolumne und der etwas kindische, aber unwiderstehliche Drang, totalen Sonnenfinsternissen beizuwohnen.

Es begann damit, dass sich am elften August 1999 eine vollständige Verdunkelung des Leitkörpers auf der Terrasse meines Geburtshauses zeigte. Für das zweite Erlebnis dieser Art begab ich mich bis nach Ghana, wo ich am 29. März 2006 in einem Dorf namens Apriw oder Aburi (ich fand es nie endgültig heraus) an einem Coca-Cola-Stand mit Einheimischen in Jubel ausbrach. „Watching the moon“, hieß es korrekterweise bei den Westafrikanern, die auf das Ereignis perfekt vorbereitet waren – es kursierten massenhaft Schutzbrillen, was meine im Sinne einer falsch verstandenen Entwicklungshilfe mitgeschleppten Ersatzbrillen ad absurdum führte. An diesem Cola-Stand wurde eine Finsternisübertragung live über Transistorradios ausgestrahlt, es klang, als hätte Ghana das WM-Finale erreicht.

Die Australier waren deutlich cooler. Meine dritte Sonnenfinsternis erlebte ich am 13. November 2012 in Cairns. Die überregionalen Medien berichteten mit beleidigter Diskretion von der Verdunkelung, war sie doch in Sydney und Melbourne nur eingeschränkt zu sehen. Erschwerend kam der frühmorgendliche Verdunkelungszeitpunkt (6.38 Uhr) hinzu, schlechte Regie der Natur. Vor dem Spektakel hing eine Wolkenbank, der Applaus der Schaulustigen war schütter – erstmals erlebte ich, wie es sich anfühlt, wenn die Sucht unbefriedigt bleibt.

Ort

Tipp

Den restlichen Tag verbrachten wir in der Lagune, einem künstlich aufgeschütteten Riesenschwimmbecken von perfekter Temperatur. Tausende Kilometer entfernt von zu Hause planschte ich im Wasser und grübelte dahin. An dieses fahle Gefühl muss ich denken, wenn mir der 20. März 2015 in den Sinn kommt. Um die nächste Totale zu sehen, müsste ich auf die Färöer Inseln oder nach Spitzbergen reisen. Ich werde bald einmal recherchieren, ob es dort auch gemütliche Lagunen gibt oder zumindest heiße Quellen. Ich will ja nicht, dass meine letzte Sucht erlischt.

Naturphänomensucht. Cairns Esplanade Swimming Lagoon, Queensland, Australien.



www.amanshauser.at

Neu:Martin Amanshauser, „Falsch reisen. Alle machen es. 100 Geschichten“, Picus Verlag 2014.

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