Amanshausers Welt: 377 Gambia

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Kleine Geschichten über große Locations.

Die Motorjacht „MY Pegasus“, unter griechischer Flagge, befährt in der Trockenzeit einmal pro Woche den Gambiafluss bis Kuntaur. Hier im Delta bestimmen noch Ebbe und Flut die Fließrichtung; und Delfine balgen sich um den Katamaran. Bald nach der Mündung betrete ich die Insel Kunta Kinteh (bis vor Kurzem hieß sie James Island). Erschreckend klein ist sie – geworden. Denn Kunta Kinteh wird von der Erosion gefressen. Einst war sie ein bedeutender Sklavenumschlagplatz Westafrikas. Zehntausende Menschen wurden von dort abtransportiert.

Einer davon war Kunta Kinteh (1750 – 1822), der auf der Zwangsarbeitsfarm in Virginia seinen Sklavennamen nicht akzeptierte: „Ich heiße nicht Toby Waller, mein echter Name ist Kunta Kinteh.“ Nach seinem vierten Ausbruchsversuch durfte er zwischen Kastration und Fußabschneidung wählen. Er entschied sich gegen den Fuß. Niemals mehr sprach er mit seinen weißen Peinigern, leistete Widerstand, behielt seine Würde. Das kleine Problem an der Geschichte: Sie ist gar nicht wahr.

Kunta Kinteh ist eine Figur aus dem Roman „Roots – The Saga of an American Family“ (1976) von Alex Haley, der für diese Biografie seiner Familie 1977 einen „Special Pulitzer Prize“ erhielt, den „Letters Award“. Seine Arbeitsmethode nannte er „Faction“, eine Mischung aus Fiktion und Fakten. Kunta Kinteh, der unbeugsame Sklave, machte seinen Weg indes ohne die Autoren – heute ist er ein Symbol für den Überlebenswillen der in die Sklaverei verschleppten Afrikaner. Doch auf Kunta Kinteh Island hören die Tourist Guides ungern, dass ihre Geschichte aus historischer Perspektive falsch ist: „Das ist europäischer Rassismus“, wird mir gesagt. „Kunta Kinteh gab es, ihn wird es immer geben.“

Haley verteidigte die Authentizität so lange, bis nachgewiesen wurde, dass längere Stellen seines Buchs aus einem Roman namens „The African“ (1967) seines Kollegen Harold Courlander abgeschrieben waren. Den Prozess, in dem es um 81 Textpassagen ging, gewann Courlander. Alex Haley gab das Plagiat zu, ein Mitarbeiter habe schlecht recherchiert. Der berühmteste afro-amerikanische Autor wurde aus der „Norton Anthology of African American Literature“ ausgeschlossen, sein Ruf war beschädigt. Aber „Roots“ ist in jedem Fall eine großartige literarische Leistung – und Kunta Kinteh eine starke und wahrhaftige Figur. (Was man auf der Insel Kunta Kinteh nicht behaupten darf.)

Ort

Der Autor wurde eingeladen von Variety Cruises und Marco Polo Reisen (marco-polo-reisen.com).

Kunta Kinteh Island (bis 2011 James Island) liegt in der Mündung des Gambiaflusses, Gambia

Tipp

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