Amanshausers Welt: 389 Katar

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Kleine Geschichten über große Locations.

Der Mann, ein Südinder, vielleicht aus Sri Lanka, hat erloschene Augen. Mit gesenktem Kopf pflügt er seinen Breitbesen durch den Airport. Die Passagiere umgehen ihn großräumig, niemand will sich ja diesem Reinigungsprofi in den Weg stellen.

Eine bizarre Szene, denn er putzt – Luft. Es ist blitzsauber, überall. Während ich diese Zeilen schreibe, hat er bereits viermal um meine ausgestreckten Beine herumgeputzt. Ich ziehe sie nicht ein. Ich bin überzeugt, der Südinder nimmt sie nicht als Teile eines Menschen, sondern als ein Hindernis im Gelände wahr, er umkreist es intuitiv. Außerdem ist ja gleichgültig, an welcher Stelle er putzt, da alles gleichermaßen sauber ist.

Wieso muss er hier putzen, wenn er doch gleichzeitig Sinnvolleres putzen könnte? Ich denke dabei etwa an meine Wohnung. Neulich las ich, neun Zehntel des Hausstaubs würde aus den eigenen Hautpartikeln bestehen. Es mag daran liegen, dass die ephemeren Gäste auf dem Airport kaum Hautpartikel verlieren. Womit sie die Realität berühren, sind lediglich die Rollen an ihren Schiebekoffern.

Der alte Emir hatte einen Traum. Seine Stadt sollte nicht mehr ein staubiges Wüstennest sein, sondern der hellste Stern Arabiens. Zuerst schuf sein Geld eine imposante Skyline, preisgekrönte Projekte von Stararchitekten, dazu eine Immobilienentwicklung mit tollen Quadratmeterpreisen.
Er hatte die Mittel, die Fußball-WM 2022 ins Land zu holen, Stadien schossen aus dem Boden, die vorher und nachher keiner benützen wird. Eine Universität mit einem postmodernen Campus für eine Handvoll Studenten. Dazu eine coole Fluglinie, die stärker wächst als alle anderen. Doha war bald die perfekte Illusion einer Stadtentwicklungsutopie des 21. Jahrhunderts.

Jetzt fehlte nur noch eine Sache, ach ja, fast hätte der Emir sie vergessen: Eine Weltstadt braucht Bewohner. 30.000 Beschäftigte hat allein der Airport, viele traurige Männer wie meinen Südinder, ein Teil von ihnen putzt Luft. Doch auch in den neuen Stadtvierteln wird gereinigt. Des Emirs Geld schuf eine Gesellschaft mit eklatanter Überbeschäftigung. Neun Zehntel von Katars 1,9 Millionen Einwohnern sind ausländische Arbeitskräfte, ein Großteil traurige Statisten wie mein Südinder.

Wenn die Sonne über der Wüste sinkt, träumen sich die Leute heim nach Mombasa, Manila und Mumbai, wo das echte Leben stattfindet.

Ort

Gastarbeiter. Der Hamad International Airport (DOH) ist seit April 2014 in Betrieb, Doha, Katar.

Der Autor war privat unterwegs.

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