Amanshausers Welt: 419 Deutschland

Kleine Geschichten über große Locations.

Auf dem Weg zur Frankfurter Buchmesse verpasse ich fast die U4-Station "Festhalle/Messe", weil ich in einem Buch von Tilman Rammstedt in eine Sexzene vertieft bin. Typisch ich. Die Türen der U4 schließen, zwicken meine Tasche ein, sie fährt davon, Tasche ad , auch egal, Frankfurt, ich komme.
Ich werde auf der ARD-Bühne interviewt. Vor mir ist Judith Holofernes von Wir sind Helden dran. Ich finde sie nett, obwohl sie eine Mischung aus Kindergereime und Naturgefasel vorträgt. An der Grenze zum Backstage-Bereich ruft ihr ein Journalist mit burlesker Brille und filzigen Augenbrauen nach: "Judith, haste irgendwann mal fünf Minuten Zeit für die Welt?" Wie locker diesen Kerlen das Du-Wort von den Lippen geht. Ich ohrfeige ihn mehrfach, und Judith küsst mich leidenschaftlich. Ich lasse sie aber dann stehen.

Im Hof spielt der Austrofred unter widrigen Bedingungen ein mitreißendes Konzert, bei dem ich ihm sein Mikrofon halten darf. Der Austrofred brüllt, schwitzt, hustet und blutet, rundherum schneit es Hagelbrocken, er holt sich da bestimmt eine Lungenentzündung. Wenn er stirbt, war ich beim letzten Konzert des Champions live dabei! Ich gebe einer netten Dame ein Interview. Sie gesteht mir, dass sie bei der Lektüre meines Buchs geweint hat. Ich umarme und kose sie, rufe begeistert, dass ich mich wiedererkenne, ich hab ja beim Schreiben auch geweint. Endlich berührt mich was! Anschließend treffe ich die wunderbare Pressefrau Barbara B., die mir erzählt, dass sie meine Schaufenster-Kolumnen immer auf der Toilette liest. Brrr, denke ich. Ich antworte aber erfreut, das sei eine Koinzidenz, auch ich schriebe die Kolumnen grundsätzlich auf der Toilette. Am Stand des Verlags J. steht der Verleger J. und deutet nachdenklich geradeaus. Über den Büchern des Gegenübers thront ein putziger weißer Plüschaffe.

J. fragt, wie er diesen Affen in seinen Besitz bringen kann. Ich entwerfe einen Masterplan: Die Mitarbeiter des Gegenübers werden abgelenkt, der Affe von mir unauffällig über das Regal gehievt, so dass der Verleger J. das Tier nur noch abpflücken muss. Auf dem Rückweg decke ich den flüchtenden Verleger J. und den hübschen Affen mit meinem muskulösen Körper ab. Alle applaudieren, J. ist entzückt. Als Autor ziehe ich allerdings, abgesehen von Ruhm, Anerkennung und Dank, keinerlei Vorteile aus der Aktion.
Welch wunderbare Metapher für die Buchmesse. Vielleicht erpresse ich J. eines Tages.

Ort

Messespaß. Der Autor war unterwegs auf Einladung des Deuticke-Verlags; Frankfurter Buchmesse 2015, Frankfurt am Main, Deutschland.

www.amanshauser.at; Weitere Kolumnen auf: Schaufenster.DiePresse.com/Amanshauser

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