Amanshausers Welt: 435 Ukraine

Bahnhof Tscherniwizi. Geht der Weg nur in den Patriotismus?
Bahnhof Tscherniwizi. Geht der Weg nur in den Patriotismus?(c) Beigestellt
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Kleine Geschichten über große Locations.

Es ist erst vier Jahre her, dass ich das letzte Mal in der Ukraine war. Ich war ein paar Tage zum Poesiefestival Meridian Czernowitz eingeladen worden. Tscherniwizi, 250.000 Einwohner, Westukraine, ein toller Boden für Lyriker, unter anderem Geburtsstadt Paul Celans. Es waren Ukrainer und internationale Gäste da, unter anderem auch Russen, zumindest vereinzelt. Man sagt ja, Literatur sei eine weltumspannende Sprache, aber trotzdem war erkennbar, dass durch dieses Land ein Riss ging, hier Ukrainisch, dort Russisch, und überall Ressentiments.

Im Grund drehte sich jedes Gespräch um diese Polarität. Bei den Ukrainern war die Furcht groß – nicht die vor den „eigenen“ Russen, sondern jene vor den Putin-Russen. Mir kam das Bild eines Reißverschlusses in den Sinn, den man hoffentlich eines Tages an der richtigen Stelle würde öffnen können. Im gleichen Moment wurde mir klar, dass es sich dabei um eine illusorische Sehnsucht handelte, die Verzahnungen mussten ja ungeheuerlich sein. Ich mochte meine ukrainischen Gastgeber – aber mich störte, dass sie unablässig auf die Bosheit der Russen, die Armut ihrer Sprache, die Unterlegenheit ihrer Kultur, die Primitivität ihrer Sitten zu sprechen kamen. Es war klar, dass die Russen „drüben“ es genauso machten.

Am Abschlussabend stieg eine lange Veranstaltung. Eine Viertelstunde vor deren Beginn kam der Organisator auf mich zu und bat mich, als wäre ich fachkundig, auch ein paar Worte zum Festival zu sagen. Ich sagte stammelnd zu, überlegte mir, was mich berührt hatte, und betrat die Bühne. In wenigen Worten gab ich zu bedenken, dass mich der Konflikt zwar nichts anginge, dass ich persönlich jedoch die Möglichkeit, in zwei Sprachen aufzuwachsen, als Vorteil und nicht als krassen Nachteil sehen würde und mich überrascht habe, dass das niemand hier tat.

Nach dieser Kurzrede, die zu meinem Unbehagen etwas ruppig und undankbar wirkte, war es völlig still. Dann brachen alle in irren Applaus aus. Man dankte mir in äußerstem Maß. Ich spürte förmlich, wie die Ukrainer angesichts der Naivität dieses Österreichers die Augen verdrehten. Sie diskutierten weiter. Ich stellte mich hinten im Saal neben einen Freund, der Russisch sprach. „Nun, Spion“, fragte ich ironisch, „was bewirkt mein Appell?“ Er sah mich an: „Sie sind schon wieder bei ihrem nationalistischen Schwachsinn.“

Ort

Poesiefestival. Der Autor war vom Poesiefestival Meridian Czernowitz 2012 eingeladen.

Veranstaltungsraum, Czernowitz/Tscherniwizi, Ukraine.

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