Soave: Trinken wie Dante

Die Weißweinenklave Soave trägt ein schweres Erbe. Als Heimat von billigem Pizzawein diskreditiert, kämpft man gegen eine Vielzahl falscher Vorstellungen.

Masse statt Klasse!“ Laura Rizzotto zieht resigniert die Schultern hoch und köpft lieber eine Flasche Soave statt weiterzureden. Selbst 200 Meter oberhalb der riesigen Rebflächen, dem grünen, glatten Meer der Ebene, holen die Pauschalassoziationen zu ihrer Heimat sie ein. Wie in Stein gemeißelt ist die Überzeugung der Weintrinker, dass man es bei einem Soave zwangsläufig mit billigstem Fusel zu tun hat. Unauslöschlich das Klischee, auch dann noch, wenn sich über die Jahre sein Bild bis zur Unkenntlichkeit verändert hat.

Kilometerlange Rebstockreihen, durch die man in die Ministadt mit seiner Mega-Skaligerburg einfährt, scheinen das Image einer Wiege des Massenweins anfangs zu bestätigen. Doch steigen rundherum Hügel an, über deren Kuppen sich Olivenbäume, Zypressen, vor allem jedoch noch viel mehr Wein spannen – spektakuläre Einzellagen, wilde, steile Hänge, zuweilen terrassiert oder mit Trockensteinmauern gestützt. Dort oben, das wird schnell klar, in den 51 Crus des Soave Classico, spielt sich eine der spannendsten Revolutionen in der italienischen Weinwelt ab.

Soave ist das größte önologische Missverständnis Italiens. Es fällt schwer, sich eine Region mit einer mieseren Reputation vorzustellen. Österreich und Deutschland gelten unter den ambitionierten Winzern Soaves allerdings auch als extrem heikler Markt. Zum einen haben beide Länder eine solide Basis eigener Weißweine, viel schlimmer sind aber die Vorstellungen, die man mit Soave verknüpft: dünn und leicht im besten Fall, sauer und substanzlos im schlechteren, der Grund für Kopfweh. Bewegt man sich durch die Ebene Soaves, werden diese Vorurteile ernüchternd bestätigt. Am Straßenrand liegt eine tote Katze, deren Todesursache man automatisch auf die weißen Pestizidwolken zurückführt, die in besorgniserregendem Takt von früh bis spät aus den Pergolen dampfen.

Revolution! Hundert Meter über der Ebene ist die Welt allerdings eine andere. Hier oben ist eine Qualitätsexplosion im Gang, die in der internationalen Weißweinwelt ziemlich einmalig sein dürfte. „Für 85 Cent wird dort unten ein Liter Soave verkauft“, klagt Laura Rizzotto von Balestri Valda und fährt auf ähnlicher Tonspur weiter: „Soave wird stets mit Billigware gleichgesetzt, und das, obwohl seit gut einem Jahrzehnt immer besser und biologischer produziert wird.“
So wie auch schon vor hundert Jahren. Damals stellte man den Soave auf eine Stufe mit den besten Chablis und das vermutlich nicht mal zu Unrecht. Die alten Pergolen standen damals wie heute auf schwarzem vulkanischem Untergrund. Die Weine waren straff, elegant und langlebig. Soave war unbestritten Italiens Nummer eins in Sachen Vino Bianco. Doch dann, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, gingen viele Italiener nach Deutschland, arbeiteten kräftig am Wiederaufbau und Wirtschaftswunder mit, und als das vollbracht war, eröffneten sie in jedem Dorf zwischen Freilassing und Flensburg eine Pizzeria. Und weil die Pizzen auch authentisch hinuntergespült werden sollten, gab es dazu Soave. So viel, dass man im Italien der 1960er-Jahre einfach beschloss, die damalige Rebfläche von 1700 Hektar um 7000 Hektar aufzustocken und vor allem die leichter zu bearbeitenden Ebenen mit Garganega, Soaves wichtigster Rebsorte, zu bestocken.

Auf ihrer Terrasse schenkt Laura Rizzotto Garganega vom Vigneto Sengialta ein – „sengio“ bedeutet im Veroneser Dialekt „schwarz“, „alta“ weist auf die Höhe der Lage hin. 150 Meter über Soave tut sich eine Einzellage auf, in der die Rebstöcke oft 50 Jahre und mehr auf dem Buckel haben. Die alten bilden ein klassisches Pergoladach, über die jungen, an Drahtrahmen gezogenen Stöcke, sieht man weit in den Süden, in die Ebene der Etsch und des Po. Auf ein Land, in dem – die Legende will es so haben – Dante Teile der „Göttlichen Komödie“ verfasst hat und dem er seinen Namen gegeben haben soll. Soave – süß, sanft und lieblich. Süß ist im Hier und Heute vor allem der Recioto di Soave, dessen Trauben in windigen Dachkammern trocknen.

Ein paar Meter weiter, in Castelcerino, befindet sich Filippo Filippis Weingut. Filippo bewirtschaftet die höchsten Lagen der ganzen Region, das heißt, dass es von der toten Katze bis zu ihm knapp 350 Höhenmeter und geschätzte 20 Spitzkehren sind. Oben bei Filippo springt man mit ihm auf den Traktor und fährt durch die in kleine Wäldchen eingebetteten und vom Wind durchlüfteten Weingärten. Der Wind bringt auch gleich Regen mit und treibt uns in eine Höhle aus Kalkstein. Die Terrassenmauern der Weingärten sind daraus gebaut und auch das aus dem 13. Jahrhundert stammende Haus der Filippis. Auf Kalk steht auch der Vigneto Monteseroni, einer der wenigen weißen Einsprengsel im Vulkanland Soaves, steinalte Stöcke einer Blumenwiese.

Römer, Skaliger, Venezianer. Filippi arbeitet dezidiert biologisch und setzt damit auf all die Vorteile vitaler Böden und auch einen bewussten Kontrapunkt zum Irrsinn der Ebene. Seinen Vorstellungen folgt er auch konsequent im Keller. Minimalintervention ist die Devise, Schwefel wird nur in mikroskopischen Mengen eingesetzt, die Schwerkraft ersetzt die Pumpen, Filter sind etwas für Kaffee, nicht aber für Filippis Wein, und möchte man kein blaues Auge riskieren, nimmt man das Wort Enzym besser nicht in den Mund. Filippo versteht sich als Verwalter vieler Traditionen, seine Weine sind getreue Repräsentanten seines Terroirs und so mineralisch und lang, dass man sie noch bei der Fahrt hinunter in die alte Skaligerstadt Soave spürt. Dort findet man auf wenigen Quadratmetern so viele historische Verweise wie anderswo in Metropolen. Zwischen Skaligern, den Herren von Verona, und Venezianern, Römern und Renaissance findet sich auch die Villa von Leonildo Pieropan. Sein Soave La Rocca zeigte in den letzten beiden Jahrzehnten so manchem, wohin großer Soave führen kann: nämlich direkt an die Weltspitze. Kein Wein in Soave kratzt so sehr an den großen Grand Crus des Chablis wie dieses kleine Meisterwerk. Direkt über dem Castello nimmt La Rocca fünf Hektar ein, und wenn der Wein, den Dante trank, aus dieser Lage stammte, dann ist sein langes Verweilen im Schloss und seine Begeisterung für die Region nachvollziehbar. Auf der anderen Seite von La Rocca geht es hinunter nach Monteforte d’Alpone, die östliche Bastion des Soave Classico und Sitz vieler exzellenter Winzer. Einer von ihnen ist Graziano Prà, der sich allerdings schnell in die Weinberge verzieht und das Gespräch seiner Exportleiterin Laura Meile überlässt.

Bestens umsorgt sitzt man auf der Terrasse, schaut einer Eidechse beim Queren einer rot getünchten Wand und den Reben beim Wachsen auf dem Monte Staforte zu.
Bis in die 1990er-Jahre lieferte auch Prà seine Trauben an die Genossenschaften, ehe er sich entschloss, selbst abzufüllen. Seither befindet er sich auf einer Mission quer durch die Hemisphären, um Soaves Nouvelle Vague und somit auch das neue Gesicht der Region zu präsentieren. Und anders als die meisten seiner Winzerkollegen hat er es auch in Mitteleuropa geschafft – Soaves Märkte liegen in Kanada und den USA, in Japan, Australien und dem Norden Europas. „Leicht war das nicht, ein Unterfangen von knapp zwanzig Jahren“, gibt Laura zu, doch vielleicht ist sein Beispiel auch ein Indikator dafür, wie es mit dem Soave weitergehen könnte. Dann, in einer nicht allzu fernen Zukunft, werden immer öfter die dicken deutschen Schlitten auf der A4 ihre Blinker aktivieren, abfahren und einen Blick in die Hügelwelt Soaves werfen. Denn ästhetisch kann man mit der Toskana locker mithalten, und sensorisch ebenso.

TIPPS

Die Weingüter: Pieropan: Via Camuzzoni 3, mit angeschlossenem Shop direkt im Zentrum von Soave (auch englisch). www.pieropan.it
Filippi: Via Libertà 55, Frazione Castelcerino, Soave, www.cantinafilippi.it/
Inama: Via Biacche 50, San Bonifacio, www.inamaaziendaagricola.it
Prà: Via della Fontana 31, Monteforte d´Alpone, auch Englisch – nur nach Voranmeldung) www.vinipra.it

Gastronomie: Pizzeria I Tigli: Via Camporosolo 11, San Bonifacio, eine der angesagtesten Pizzerien Norditaliens – experimentell und anders. Osteria La Scala: Corso Vittorio Emanuele 5, Soave
Hotels: Corte Dei Soavi: Via Pigna 78, Soave, www.cortedeisoavi.com

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