Lebensgefühl Surfcamp: Auf der Welle zu sich selbst

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Es gibt kein Meer im Land, dennoch haben viele Österreicher das Wellenreiten für sich entdeckt. Im Surfcamp finden sie Muskelkater, Spaß – und ein einfaches Leben.

Mit dem ersten Surfcamp in Marokko hatten sie lange Brösel. Der Geschäftsneid der Locals, der Einheimischen, und die fehlenden Strukturen im Tourismus haben dem damals knapp volljährigen Vorarlberger Simon Eiler und seinem australischen Kompagnon Josh Sward Nerven gekostet. „Allein die Geschäftsgründung hat vier Jahre gedauert und das Gebäude als Hostel lizensiert zu bekommen, war eine echte Herausforderung, die kannten damals nur Haus oder Hotel.“ Das ist 13 Jahre her, mittlerweile wurden auch die marokkanischen Surfspots gut erschlossen, und Eilers Rapture Camps gibt es in Bali, Portugal und Nicaragua. „Das ist ein Sport, der wächst, und eine riesige Industrie“, sagt er. Das Geschäftsmodell? „Wir sind Freaks und wollen nur surfen, fertig. Gutes Essen ist mir allerdings wichtig, das haben die meisten Camps nicht“, sagt er. Der Rest sei nicht schwierig. Ein Haus mieten und Mitarbeiter finden, die die Gäste im Gegenspiel zu Kost, Logis und Wellen versorgen und unterhalten. Die einen machen die Betten, die anderen geben Surfstunden oder veranstalten Yogakurse. Das Konzept entwickelt sich gut.

Nicht nur bei Rapture. Die Österreicher, obwohl hierzulande nicht mit direktem Surfzugang gesegnet, haben das Surfen schon lange für sich entdeckt. Dabei sind es nicht die typischen Skater oder Snowboarder, die den sommerlichen Asphalt gegen Wasser wechseln. Sondern junge Erwachsene Anfang 20 oder älter, Familien mit Kindern oder auch Senioren. Wellenreiten ist selbst in Binnenländern längst zum Breitensport geworden. „Mich wundert es immer, woher all die Menschen kommen“, sagt Philipp Sturies, österreichischer Surf-Staatsmeister. Er betreibt selbst das Surfcamp Liquid Mountains an der Algarve. Allein an seinem Strand tummeln sich im Sommer mehrere Hundert Surfschüler am Tag. Viele von ihnen aus Deutschland und Österreich.

Surfen ist jetzt einfacher

Seit sieben Jahren dreht sich an der portugiesischen Atlantikküste von Sagres im Süden bis nach Espinho im Norden alles um den Ritt auf der Welle. So sehr, dass es an der Algarve mittlerweile keine neuen Lizenzen für Surfschulen mehr gibt. Die Begeisterung für das Wellenreiten erklärt sich Sturies mit dem großen Angebot. Mit den Surfcamps sei auch die Nachfrage gestiegen, erklärt er. Früher musste man sich monatelang schinden, um einmal nicht vom Board gespült zu werden. Durch die Surflehrer wird man mittlerweile genau in die Bewegungsabläufe eingeführt, bekommt als Anfänger die langen Softboards, die das Verletzungsrisiko minimieren, und gegebenenfalls einen kräftigen Schubs, der dem vorbereiteten Schüler den Einstieg in die Welle erleichtert. Und wenn man ein paar Stunden durchgewaschen wurde, wie es im Surfer-Jargon heißt, stellen sich die ersten Minierfolge ein. Der Urlaub ist im Verhältnis auch nicht sehr teuer. Eine Woche kostet je nach Anbieter um die 500 Euro, inklusive Kurs und Unterkunft, exklusive Flug.

Die wenigsten bleiben dabei

Zu richtigen Surfern, die den Sport auch regelmäßig ausüben, werden nach dem Urlaub allerdings die wenigsten. „Ich würde sagen, einer von zehn surft länger“, sagt Sturies. Die meisten würden doch unterschätzen, wie schwierig es sei, Wellenreiten zu erlernen. Johnny Nesslinger, der Präsident des Österreichischen Surfverbands, sieht das ganz pragmatisch: „Spaß haben können beim Surfen alle, auch wenn sich das Niveau unterscheidet. Der Flash ist für alle erlebbar. Manche haben vielleicht das Zeug zum Weltmeister, andere das Zeug, im Weißwasser die gebrochene Welle entlang zu fahren.“ Anfangen können man früh, Kinder sollten aber mindestens sechs Jahre alt sein, sagt Nesslinger, der in Österreich jedes Jahr um die 100 Surflehrer aus der ganzen Welt ausbildet. Nach oben hin ist die Altersgrenze auch für (Früh-)Pensionisten offen. Sturies älteste Schülerin war 73 Jahre alt. Die jüngste sechs. Der Großteil ist aber zwischen 20 und über 30.

So wie die Mittzwanzigerin Claire. Sie arbeitet in Sydney als Investment-Bankerin bei Goldman Sachs. Im Surfcamp wollte sie im Juni in Ericeira ein bisschen herunterkommen. Allein, ohne ihren Verlobten, den sie im Jänner heiraten wird. Dass sich beim Surfen dicke Dreads aus ihrem Unterhaar gebildet haben, war ihr bis zum Zeitpunkt der Abreise ziemlich egal. Das kleine Vierbettzimmer mit den Stockbetten auch. Dabei war es ganz nett anzusehen. Viele Surfcamps leben von dieser einfachen Atmosphäre, nicht von den Extras. Die Gemeinschaft ersetzt das Bequeme. Man braucht nicht viel, um glücklich zu sein, ist die Losung. Das heißt: gemeinsam essen, gemeinsam surfen gehen, aber allein aufs Brett kommen.

Weniger ist mehr

Darin sieht Simon Eiler auch das Erfolgsgeheimnis der Camps. „Im Endeeffekt geht es um Unzufriedenheit. Im mitteleuropäischen Raum können sich viele fast alles leisten, aber alle sind irgendwie verloren. Keiner weiß mehr, um was es geht.“ Der Trialog aus Sonne, Surfen und Sinnieren kann einem da schon einmal die Augen öffnen. „Wir hatten schon Gäste, denen auf eine Art ein Licht aufgegangen ist und die dann hier bleiben und arbeiten wollten. Vielen von denen fällt es danach schwer, wieder zurückzufinden – und dann kommen sie wieder für die nächste Saison.“

Ein bisschen verloren fühlte sich auch die 21-jährige Victoria aus Estland, die ebenfalls im Juni das Surfcamp besuchte. Vor einem Jahr gründete sie ein Start-up, um den Abfall zuerst am heimatlichen Testmarkt und fortan in ganz Europa zu ordnen. Nebenbei müsse sie die Businessschule abschließen und einen Lebenspartner finden, wie sie sagte. Ganz schön viel zu tun. Das Leben ihrer Generation sei überhaupt sehr stressig, vor allem wegen der sozialen Medien. Sie selbst wäre zwar nicht gerade süchtig nach Instagram, Snapchat und Co., aber „diese ständigen Vergleiche sind so anstrengend“.

Auch wenn Victoria weiß, dass die geposteten Lebensausschnitte ihrer Freunde und Follower nicht viel mit dem richtigen Leben zu tun haben, fühlt sie sich unter Druck gesetzt. „Ständig muss man sich, ob man will oder nicht, vergleichen.“ Wer ist erfolgreicher, schöner, cooler? Im Surfcamp gönnte sich Victoria eine Pause von all dem, auch sie war allein dort. Auf das obligatorische Foto mit dem Brett in der Hand hat sie trotzdem nicht verzichtet – für Facebook.

Singles und Pärchen

Doch nicht nur Singles finden Spaß am Surfen. Dort, wo das Surfcamp nicht aus Mehrbettzimmern und Stockbetten besteht, sondern aus Appartements, finden sich auch überraschend viele Pärchen unter den Surfern. Gemeinsam Sport zu machen ist für viele eben lustiger, als nebeneinander am Strand zu lesen.

Andere hoffen, gerade im Surfcamp leichter Anschluss zu finden. Kathi, eine Wienerin auf Auszeit, arbeitet diese Saison im Camp in Ericeira. „Wenn Gäste allein kommen, dann ist das kein Problem, weil man binnen 15 Minuten jemanden kennenlernt, spätestens wenn man im Schlafraum auf seine Mitbewohner trifft.“ Manche kommen gar nicht so weit: „Oft freunden sich die Leute schon auf der Bank vor dem Haus an.“ Neue Leute wollte auch der in Wien arbeitende Belgier Kim kennenlernen, der nur über das Wochenende in das Surfcamp geflogen ist. Er besuchte einen Freund – der dort eine Auszeit nimmt. Der Freund war Berater, wie Kim, und hat die gesammelten Honorare in ein Surfcamp investiert. Ein Kindheitstraum. Dabei ist in Surfcamps auch für Familien Platz. Zumindest könnte es das nächste Thema auf dem Markt sein, der sich gegen Preisdumping der zahlreichen Anbieter wehrt. „Es ist sicher schon eine leichte Sättigung da“, sagt Sturies. Immer mehr Betreiber suchen für sich eine Nische. Etwa Eltern mit Kindern. Für den Vorarlberger Simon Eiler, der selbst Vater eines kleinen Buben ist, wäre das eine Option. Zwar konzentriert er sich derzeit noch auf junges Publikum. Aber das könnte er ja schließlich ändern.

Austrian Surfing

Der österreichische Wellenreitverband wurde 1997 in Graz gegründet, um heimischen Surfern die Möglichkeit zu geben, an Meisterschaften teilzunehmen. Mittlerweile hat der Verband um die 800 Mitglieder. 2007 startete Präsident Johnny Nesslinger mit der Ausbildung von Surflehrern, damals waren es drei, heute sind es 100 pro Jahr. Auch wenn der Verband nicht mit den weltbesten Surfern im Rampenlicht steht, hat er auf anderer Seite Einfluss. Austrian Surfing gilt als der weltweit am nachhaltigsten agierende Surfverband. www.austriansurfing.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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