Südtirol: Früher war alles besser

Historisch. Das nördliche Eisacktal hat touristisch schon bessere Zeiten erlebt.
Historisch. Das nördliche Eisacktal hat touristisch schon bessere Zeiten erlebt.(c) APA Picturedesk
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Das urbane Sterzing und das hübsche Gossensass überzeugen mit zwei mittelgroßen Skigebieten, romantischen Tourenzielen und einem Joghurt, das in Italien jeder kennt.

Nahe einem Kreisverkehr vor Sterzing steht ein riesiges Schild: „Stadtwaage, pesa pubblica“. Jeder kann hier für 1,50 Euro sein Auto oder sein Pferd abwiegen. Bis Mitte der Neunzigerjahre saß ein Männlein in dem Glasverschlag dahinter. Heute wirft man Münzen ein, und gewogen wird elektronisch. Sterzing (Vipiteno, mit knapp 7000 Einwohnern deutsch-italienisch im Verhältnis 70:30), war aufgrund seiner ausgezeichneten Lage auf der Nord-Süd-Achse immer Umschlagplatz und Durchgangsroute, für die Römer gleichermaßen wie für die deutschen Kaiser, und in der Neuzeit sowieso. Der Silberbergbau ließ die Fugger eine Niederlassung gründen – Patrizierhäuser zeugen davon. Fast wie nebenbei entstand die imposanteste Altstadt Südtirols, im unteren Stockwerk einst eine Reihe von Gastbetrieben, Aufrüst- und Pflegestätten für Kutschen und Pferde. Auch machte Sterzing den Habsburgern Freude: Eine Familie mit dem schönen Namen Geizkofler wurde sogar so reich, dass sie Maria Theresias Schlesienkrieg finanzierte.

Seit prähistorischer Zeit wurde auf diesem Areal Hüttenwesen betrieben, und selbst der Gletschermann Ötzi, der in nicht mehr als 25 Kilometern Distanz gefunden wurde, hatte kupferne Gegenstände bei sich. Der Bergbau auf dem Schneeberg nahm 1985 ein Ende. Da der Wert von Blei und Zinkblende sich seit damals vervielfacht hat, geisterte kürzlich das Interesse eines kanadischen Unternehmers durch die Medien, der den Abbau der Erzvorräte zu reaktivieren plante.

Klassiker schimpft, Romantiker lobt. Vom Sterzinger Zwölferturm (1468–1472) zwischen der Alt- und der Neustadt rief man die Bürger einst zur Mittagspause. 46 Meter ist er hoch, nach einem Aufstieg von über hundert steilen Stufen öffnet sich die Stube für die Feuer- und Nachtwache. Wenn Feinde anrückten, versammelten sich die Truppen unten auf dem Stadtplatz. Die Eislauftrubel-Kinder laufen mit ihren orangefarbenen Plastikfiguren bis in den März auf dem künstlich angelegten Schlittschuhplatz. Wer ihr Geschrei nicht so laut hören will, betritt durch eine unauffällige Tür an der Seite des Stadtplatzes die interessanteste gotische Kirche Tirols, die Heilig-Geist-Kirche mit Fresken des Malers Hans von Bruneck (1399/1402), die erst 1939 bei Renovierungsarbeiten freigelegt wurden.

Nicht ohne. Ohne Fleisch, Würste, Rohschinken und Speckch geht gar nichts in Südtirol.
Nicht ohne. Ohne Fleisch, Würste, Rohschinken und Speckch geht gar nichts in Südtirol.(c) APA Picturedesk

Am Ende der Sterzinger Altstadt war das Gasthaus Krone über 800 Jahre lang die erste Adresse. Nicht jeder fand aber eine gemeinsame Sprache mit der Tiroler Rezeption. „Als ich um neun Uhr nach Sterzing gelangte, gab man mir zu verstehen, dass man mich gleich wieder wegwünsche“ – Johann Wolfgang von Goethe war stinksauer, weil man ihn hier nicht mit jenem Pomp begrüßte, der ihm seiner Ansicht nach zustand. Er reiste weiter und ließ seine „Italienische Reise“ südlicher beginnen. Für Heine war der Empfang gut genug, er blieb mehr als 14 Tage und äußerte sich ausschließlich begeistert. Heute verweilt der durchschnittliche Gast 3,5 Tage.

War die Innenstadt in den Sechzigerjahren bis auf den letzten Meter verparkt, ist sie inzwischen bekannt für ihre Cafés und distinguierten Kolonialwarengeschäfte wie Mair Mair mit Feinkost, Spirituosen und Südtiroler Weinen. Im Winter zieht das unkomplizierte, mittelgroße Skigebiet auf dem Rosskopf (Monte Cavallo) die Gäste mit seiner Südlage an. Abfahrtsort der Sechsergondel: kaum ein paar Dutzend Meter hinter dem Ende der Altstadt. Von 950 Metern gerät man schnell tausend Meter höher – zum beeindruckenden Südtiroler Panorama mit Blick über das Wipptal bis in die Eisacktaler Dolomiten.

Rodler jubelt. Die Eisacktaler Gemeinde debattiert seit Jahren, ob eine Skipiste bis zur Stadt gebaut werden soll. Wenn ja, dann vielleicht doch am Nordhang bis Gossensass. Die Talabfahrt wird heute, nachdem man die Ski per Sechsergondelbahn sicher nach unten geschickt hat, mit einer von 400 Leihrodeln vorgenommen, auf zehn Kilometern Länge gibt es hier eine rasante, mit Holzbanden gesicherte Rodelbahn mit 17 Kehren, Geraden und Serpentinen. Und auf dem letzten Stück zuckt ein unvermuteter Blitz aus einer Fichte – da werden alle Rodlerinnen und Rodler per Kamera verewigt.

Der Milchhof Sterzing ist so berühmt wie der Skistar Herbert Plank – 1976 hinter Klammer Olympia-Bronze. Nicht nur, weil die Genossenschaft ein wichtiger Arbeitgeber im Wipptal ist. Das auffällige Joghurt hat es mittlerweile in österreichische Supermärkte geschafft. Seit 2014 liefern auch rund 200 Nordtiroler Bauern aus dem Wipp- und Stubaital nach Sterzing – 600 Mitglieder hat die Genossenschaft nun. 80 Prozent der Milch gehen in die Joghurtherstellung. Insgesamt werden hier täglich 150.000 Liter Milch verarbeitet, 1,5 Millionen Joghurtbecher gehen vom Band. Auf dem italienischen Joghurtmarkt ist die Latteria Vipiteno (im Zug der Italianisierung in den Zwanzigerjahren wurde der Name in Nachfolge der römischen Siedlung Vipitenum ersonnen) damit der zweitgrößte Player.

Zu den 150 Mitarbeitern gehören viele Milchsammelfahrer, die das weiße Gold, wie man scherzt, größtenteils aus ganz nahen Regionen einholen. Während sie in Schichten auch am Wochenende arbeiten – die Südtiroler Kühe kennen keine Pause – schließt die Produktion Samstag und Sonntag. Jeden Juli finden im Rahmen der Joghurttage Events wie Kräuter- und Lamawanderungen statt. „Alle Supermärkte und großen Handelsketten vom Brenner bis Sardinien und Sizilien erhalten unsere Produkte. Sogar der Papst in Rom isst das Joghurt. Auch auf Flügen kann es passieren, dass Sie unser 80-g-Joghurt auf 10.000 Metern Höhe als Nachtisch erhalten“, erklärt Magdalena Siller vom Milchhof. Das Joghurt ist ziemlich cremig. Dieser Effekt soll durch das Eindampfen entstehen, das die Trockenmasse erhöht, behauptet Stiller. „Der Milchhof Sterzing“, fügt sie hinzu, „verzichtet auf die Beifügung von Zucker, was bedeutet, dass nur die Frucht für die Süße sorgt.“ Das kann man nachvollziehen, vor allem, wenn man das Zitronenjoghurt kostet. Es ist wirklich nicht zu süß und nicht zu sauer – das sage jetzt ich, der Autor, nicht Frau Siller, und mein Joghurt habe ich selbst bezahlt und auch sonst keine Milch geschenkt bekommen.

Originell. Die Sessel des einstigen Hühnerspielliftes dienen heute als „Bergkino“. Gute Aussicht!
Originell. Die Sessel des einstigen Hühnerspielliftes dienen heute als „Bergkino“. Gute Aussicht! (c) Beigestellt

Der Verlust des ß. Wer mit dem Auto durch das hübsche Gossensass (Colle Isarco, 1100 Einwohner) fährt und zu denen gehört, die sich gelegentlich mit Schüttelreimen beschäftigen, muss unwillkürlich schmunzeln. Da sind ja die makellos gereimten Zeilen von jenem Auto, das durch Gossensass fuhr, und zwar in eine Sossengass – worauf sich die Gassensoß über die Insassen goss beziehungsweise gegossen haben soll. Nichts davon ist in der Wirklichkeit zu erleben, Gossensass ist ein nettes Örtchen in perfekter Lage – zwar ohne Naturkatastrophen, doch keineswegs eine stromlinienförmige Destination des 21. Jahrhunderts. Und gerade das macht den früheren Luftkurort sympathisch.

„Vom Norden des Berglands hat es die kühlen Wasser und die frischen Lüfte“, schreibt die Marktgemeinde 1908, „vom Süden den Glanz, der ahnungserweckend über die mittäglichen Jöcher herüberscheint.“ Im heutigen Gossensass stimmt jedoch nicht alles. Zunächst die Schreibweise. Vor 15 Jahren tilgte der Tourismusverein das scharfe ß am Ende des Ortsnamens – man dachte an das Internet und hatte wohl auch die Idee, international noch einmal durchzustarten. So geriet auch die Aussprache Gossen-Saas in Vergessenheit.

Das Grand Hotel bröckelt wieder. Auch kam den Gossensassern das Palast-Hotel abhanden, in dem einst, als es noch Grand Hotel hieß, immerhin Kaiser Franz Josef abstieg, von Henrik Ibsen, dem eine Straße gewidmet ist, ganz zu schweigen. Der Habsburger-Tourismus, den es seit 1867 mit der Eröffnung der Brennerbahn gab, brach 1914 zusammen. Das imposante Gebäude, vor einigen Jahren renoviert, bevor es in Konkurs ging, bröckelt nun wieder. Einige Einheiten scheinen verpachtet zu sein, viele stehen offensichtlich leer. Das Pub im Erdgeschoß hat auch seine Pforten geschlossen. Selbst vom Sessellift blieb in Gossensass nur die Aufschrift „Seggiovia/Sessellift“ auf einem Haus – das Skigebiet Hühnerspiel (Cima Gallina, 1949–1991) mit seiner halsbrecherischen Abfahrt namens Hängebrücke, bei der die Skifahrer am Liftende abschnallen und über eine wacklige Brücke balancieren mussten, liegt längst still. Dabei würde es den gegenüberliegenden Rosskopf, der früher übrigens Roßkopf hieß, recht gut ergänzen. Seit 2006 ist immerhin die Hühnerspielhütte wieder Ziel von Tourengehern. Die Nato-Basis, die es da oben auch gab, schloss man mangels Feinden 1989.

Knödeltris. In Gossensass kann man viele urige, unrenovierte Häuser entdecken. Und eine andere Seite der Gemeinde ist in Hochbetrieb: Ladurns, etwas tiefer drin im Pflerschtal, einem westlichen Seitental des Eisacktals. Von unten führt einer der gesicherten Skitouren-Aufstiegswege durch den Wald bis zur Ladurnser Hütte, wo Gerichte wie die Südtiroler Makkaroni nach Hirtenart oder Knödeltris – drei Knödelarten auf warmem, buttrigem Sauerkrautsalat – warten. Auf den Hängen zwischen 1300 und 2150 Metern befindet sich ein mittelgroßes Skigebiet mit unumstrittener Talabfahrt, mehrfach als Geheimtipp prämiert. Bei der Talstation kann man praktischerweise die Kinder abgeben – im sogenannten Fichti’s Kinderland, dem 5000 Quadratmeter großen Kinderwinterpark – einfach, um die Makkaroni einmal allein zu essen.

Tipp

Unverzichtbar im Winterurlaub: Rodel-Guide des symphatischen und rührigen Südtiroler Folio- Verlags. Die Rodelbahn auf dem Rosskopf, mit 9,6 Kilometern Strecke die längste beschneite und beleuchtete Italiens, gilt zudem als die sicherste in ganz Europa.. Täglich 8.30-16.15, Abendbetrieb Dienstag und Freitag 19-22 Uhr. rosskopf.com; folioverlag.com

Cremig. Joghurt des Milchhofs Sterzing. bei Meinl am Graben und M-Preis. milchhof-sterzing.it

Multifunktionell. Lowa Renegade GTX Mid, Klassiker unter den Multifunktionsschuhen. lowa.de

Unterkunft Steindl’s Boutiquehotel, das dreistöckige Baumhaus mit Sonnenterrasse, liegt gleich am Ende der Altstadt-Fußgängerzone und nahe der Gondelbahn zum Rosskopf. hotelsteindl.it/sterzing-vipiteno

Skifahren: Skigebiete Rosskopf (von Sterzing) und Ladurns (von Gossensass), zwei Gebiete, ein Skipass, 30 Pistenkilometer. rosskopf-ladurns.it

Compliance-Hinweis: Der Autor wurde vom Freizeitberg Rosskopf, den Bergbahnen Ladurns und den TV Sterzing und Gossensass unterstützt.

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