Capri-Wonnen

Italia purissima.. „Verfluchte blaue Limonade“ schimpfte Bert Brecht 1924 mit Blick aufs Meer.
Italia purissima.. „Verfluchte blaue Limonade“ schimpfte Bert Brecht 1924 mit Blick aufs Meer.(c) Stephan Brünjes
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Der Ford Capri ist gut 40 Jahre alt, das Capri-Eis über 50 und die Capri-Hose in den 60ern. Und wie geht’s der Insel? Attraktiver denn je ist sie und auf den zweiten Blick sehr deutsch.

Alice Irmgard Faehndrich Freiin von Nordeck zur Rabenau war ratlos: Das Gartenhaus ihrer Villa mit traumhaftem Meerblick hatte sie dem jungen Dichter herrichten und ihm eigens ein Stehpult maßtischlern lassen. Doch nun nörgelte die Edelfeder: „Diese Ausflügler, endlos ihr Strom und ewig lärmend!“ Nur einige Hundert waren es und lösten im Jahre 1907 offenbar akute Wortfindungsstörungen bei Rainer Maria Rilke aus. Heute brächte er auf Capri wohl keinen Reim zu Papier, angesichts der bis zu 18.000 Touristen pro Tag. Ausgespuckt von Fähren, dann wie auf einem Fließband per Standseilbahn hinaufbefördert, verklumpen sie auf Capris nicht einmal kinderfußballplatzgroßer Piazzetta spätestens ab zehn Uhr zu Menschenhäufchen rund um Winke-winke-Fähnchen und dazugehörige Reiseleiter. Also am besten schon rechtzeitig einen Vorsprung herausschlendern – den Spuren deutscher Promis folgend.

Via Hohenzollern. Schnell hinunter durch die Via Vittorio Emmanuele. Heute ein Edelboutiquen-Windkanal, hieß sie zu Rilkes Zeiten Via Hohenzollern. Eine Verneigung vor den adeligen deutschen Inselbesuchern und etwa hundert teutonischen Dauergästen. Einer davon gönnte sich hier um 1900 so eine Art „Schöner wohnen“-Abo: Eine Vier-Zimmer-Suite im heute noch imposanten Luxus-Grandhotel Quisisana am Ende des Hohenzollern-Wegs mietete Friedrich Alfred Krupp gleich für mehrere Monate. Der Enkel von Firmengründer Friedrich Krupp wollte möglichst oft raus aus seinem grauen Essener Kontoralltag und rein in Capris Sonne. Naturforscher hatte Krupp werden wollen, doch sein Vater versuchte, aus dem schüchternen, introvertierten Friedrich Alfred einen „Kanonenbaron“ in dritter Generation zu schmieden.

„O sole mio“, trällert Maria in ihrem Fruchtsaft-Kiosk in der Via Tragara.
„O sole mio“, trällert Maria in ihrem Fruchtsaft-Kiosk in der Via Tragara. (c) Stephan Brünjes

Der aber stahl sich aus der Stahldynastie fort mit 100.000 Goldmark und steckte sie ins erste Meeresinstitut der Welt bei Neapel. Für Krupp die VIP-Eintrittskarte in seine Traumwelt: Rund um Capri tauchte und forschte er, entdeckte dabei sogar 27 bis dato unbekannte Kleinstlebewesen, darunter die Larve des Aals. Einen gut 1,3 Kilometer langen Aal hat er der Insel bis heute hinterlassen, steinern, gewunden und begehbar: Die Via Krupp, vielleicht der schönste Serpentinenweg der Welt, hineingehauen in den steil abfallenden Kalkfelsen Monte Castiglione. Nach jahrelanger Renovierung nun wieder geöffnet, fasziniert er alle „Bergab-Steiger“: Schulklassen, die johlend Wettrennen veranstalten, mehr stehende als gehende Fotografen, die nach jeder Kurve neue, atemberaubende Perspektiven entdecken, oder Ruhesuchende, die Krupps Via zu steinernen Liegestühlen umfunktionieren.

Der Erbauer hingegen hatte nur eines im Sinn: Schneller bei Maja und Puritan sein – seinen beiden Forschungsschiffen unten in der Marina Piccola. Darin planschte damals übrigens auch vergnügt und weltvergessen Dichter Gerhart Hauptmann. Die Marina ist heute noch ein Minihafen, oft mit Maxipromidichte: In den Fünfzigern und Sechzigern schipperte Onassis herein, wahlweise mit Greta Garbo, Maria Callas oder Jackie Kennedy im Arm. Heute legen schon einmal Rod Stewart, Elton John, Bill Gates und B-Promis wie Fiona und KHG hier an – weitgehend unbehelligt, denn Tagestouristen-Invasionen sind hier selten, zu beschwerlich sind für sie die hundert Höhenmeter über die Via Krupp nach oben. Ebenso wie der lange Marsch ans Inselende zu den Faraglioni, dem Postkartensymbol Capris.

Am deutschen Wesen genesen. Dabei ist die dorthin führende Via Tragara ein Laufsteg der Überraschungen: Haus Nr. 7a etwa, die Deutsche Evangelische Kirche. Gegründet von einem Frankfurter Bürgerverein, der deutschen Capri-Besuchern in der Kaiserzeit sogenannte Kurprediger hinterherschickte. Und weil am deutschen Wesen sogar Capri genesen sollte, schufen einige Übereifrige damals gleich einen Verschönerungsverein. Offenbar ohne ernsthafte Folgen. Die satt-saftigen Paradiesgärten rechts der Via Tragara – hier gepflegt, dort wild wuchernd – kein deutscher Schreber hat sie mit Jägerzäunen arrondiert.

Malerisch. Schnell noch vor dem bitteren Abschied ein letztes Mal ins Meer springen.
Malerisch. Schnell noch vor dem bitteren Abschied ein letztes Mal ins Meer springen.(c) Stephan Brünjes

Die Terrassen dazwischen haben zwar Hollywood-Horizontblick aufs azurblaue Meer, aber weder Hollywoodschaukel noch Holzkohlegrill. Und links, meist oberhalb der schmalen Via: säulenumrahmte Prunkvillen, die einen elegant weiß, die anderen lässig verwittert. In einer davon, dem Palazzo Nuovo, deutschtümelte es allerdings heftig: Der Hamburger Maler Christian Wilhelm Allers lud an Kaisers Geburtstag zum „Germania-Mahl“ mit Aalsuppe, Bismarckschnitzel und Roter Grütze sowie anschließendem Herrenkegeln im Garten.

Heute jedoch ist hier kulinarisch alles Italia pur: Zitronenrisotto im La Certosella (Via Tragara 15), unübertroffen bei Kerzenscheinromantik an lauen Sommerabenden. Nur für Schwindelfreie: Die „Schauderterrasse“ im Nobelrestaurant Terrazza Brunella (Via Tragara 24a), weit über die Klippen hinausragend, der ideale Ort für Linguine ai tre colori – Bandnudeln mit Auberginen, Zucchini und gelbem Paprika.

Keinen Hunger? Dann immer den „O sole mio“-Klängen folgen. Sie kommen am Ende der Via Tragara aus einem grünen Kiosk, dekoriert mit Zitronen und Orangen. Darin trällert Maria die Titelzeile des Kultschlagers von Eduardo Di Capua alle paar Sekunden wie einen Klingelton und schenkt frisch gepressten Orangensaft aus. Verklumpt mit Eis in einem Schnapsglas schmeckt er genau wie Capri-Eis aus Jugendtagen, ist allerdings nur halb so groß und dreimal so teuer, vermutlich weil Marias Gesangsgage inkludiert ist.

Blick auf die Faraglioni. Gleich gegenüber ist alles gratis: Belvedere di Tragara – der schönste Blick über die mit Pinien, Ginster, Lorbeer, Zypressen und Kiefern zugewucherten Kalkfelsen sowie auf die Faraglioni, Capris Felsendrillinge im Meer. Angeblich nur auf Nummer drei, dem Riesenbackenzahn namens Scopolo, lebt eine weltweit einmalige blaue Eidechsenart. Michele Ferrara, im Hauptberuf 54 Jahre lang Tennisplatzwart im Hotel Quisisana, war nebenbei so eine Art Spiderman von Capri, hat die Eidechsen kraxelnderweise gefangen und durfte sie als besonderes Inselmitbringsel an Prominente wie den italienischen Staatspräsidenten verschenken. Vor allem aber sind die Faraglioni eine grandiose Kulisse für zwei Felsenbadestrände mit angedockten ­Restaurants: Da Luigi und das etwas vornehmere La Fontelina. Nur einem hat es hier nicht gefallen: „Verfluchte blaue Limonade“, schimpfte der Schriftsteller Bertolt Brecht 1924 mit Blick auf das Meer, ließ Frau und Kind auf Capri sitzen und flüchtete ins verruchte Nachtleben Neapels.

Überlaufen. Nachmittags sind die Tagestouristen wieder abgereist.
Überlaufen. Nachmittags sind die Tagestouristen wieder abgereist. (c) Stephan Brünjes

Etwa ab dem frühen Nachmittag kann man sich dann langsam zurückwagen ins Dorf Capri. Denn viele Tagestouristen haben nun in der Via Camerelle die Schaufenster-Belagerung zwischen Armani und Zegna aufgegeben und sind längst auf dem Rückweg zum Festland. Hier irgendwo, in der Boutique Emilio, wurde sie vor über 60 Jahren erstmals verkauft, die Capri-Hose – dreiviertellang mit kurzem seitlichem Schlitz. Emilio Pucci, ein Capreser Modeschöpfer, hatte sie sich abgeschaut bei ihrer deutschen Erfinderin, Sonja Lennart, und konnte bald die Damenwelt von Audrey Hepburn bis Brigitte Bardot damit begeistern.

Wenn bei Capri die rote Sonne . . . Abschied von Capri fällt stets schwer. Auf dem Weg zur Fähre unten am Hafen noch einen Latte macchiato schlürfen, dann ein paar Schritte durch den Sand zwischen den Fischerbooten. Viele träumen vom Bleiben, nur wenige schaffen es. Monika Mann etwa, die Tochter von Thomas Mann, entfloh 1953 hierhin vor ihrem Übervater und verliebte sich vom Fleck weg ganz unstandesgemäß in den Fischer und Andenkenbastler Antonio Spadaro und heiratete ihn. Im selben Jahr landete Gerhard Winkler aus Potsdam nebst Gattin an. Er wollte sehen, wie die Insel aussieht, der er seinen Wohlstand verdankt. Winkler hatte 1943 den Schlager „Die Capri-Fischer“ mit der weltberühmten Zeile „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ komponiert – ohne vorher je da gewesen zu sein.

Tipps

Anreise: Mit Austrian oder Easy Jet nonstop nach Neapel. Per Fähre nach Capri. austrian.com

Essen und Übernachten
Aurora: Hier muss man auf der schmalen Gasse sitzen und dem Treiben zuschauen. Oder angesichts der Fotos und Schaukästen staunen, wer außer Loriot, Sylvester Stallone und Rudolfo Valentino schon alles hier war. Die Pizza ist wirklich gut. Via Fuorlovado 18, auroracapri.com

La Certosella: Gourmetrestaurant am Rand des hoteleigenen Pools. Via Tragara 15
hotelcertosella.com

Da Luigi: Hier trifft man fast nur Italiener und sollte vor der Kulisse der Faraglioni Penette ai faraglioni essen – würzige kleine Nudeln mit Champagner-, Fleisch- und Schinkensauce. Via dei Faraglioni 5

Hotel Canasta: schlicht, gepflegt und preiswert, mit Blick auf das Meer und die Faraglioni.
hotel-canasta.com

Hotel Villa Brunella, ein Haus für Ruhesuchende, Via Tragara 24a. villabrunella.it

Tipps von Italien-Spezialist „Italien erleben“ – Elfi Bau­mann-Pucher:

Hotel Della Piccola Marina in Capri: Bezaubendes kleines Hotel mit Zitronengarten und Swimmingpool, wenige Minuten von der Piazzetta entfernt.

Hotel Capri Palace in Anacapri: gehört zur absoluten Spitzenklasse. Elegante Zimmer, schöner Swimmingpool, umgeben von einem gepflegten Garten.

Ristorante IL Geranio in Capri: prächtiger Meerblick, köstliches Essen.

Ristorante IL Riccio in Ana­capri: eines der außergewöhnlichsten Restaurants der Insel. Reizvolles Ambiente am Meer.

Info

„Italien erleben“ – Elfi Baumann-Pucher GmbH
Lessmayerg. 1, 8700 Leoben, T.: +43/(0)3842/23105 info@italien-erleben.at
italien-erleben.at

Italien: u. a. Halle A, Stand A1005, enit.at

Austrian Airlines
Halle A, Stand A1040

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