Wie lässig: Limmat, Luxus, Leberkäse

Zürichs Wasserwege: der Sihlquai vom Lindenhof aus gesehen.
Zürichs Wasserwege: der Sihlquai vom Lindenhof aus gesehen.www.zuerich.com
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Hipster-Läden haben Zürichs Industriebrachen erobert, Food Festivals Zigtausende angelockt. Und selbst die Luxushotels werden legerer.

Vom Lindenhof aus sieht die Stadt aus wie immer. Der Blick auf die Sihl, den kleineren der beiden Stadtflüsse, von der unverbaubaren Bastei aus, zeigt das verschlafene Niederdorf. Die Veränderungen auf dieser Seite der Stadt sind unsichtbar, etwa dass das Musikhaus Hug unlängst den Besitzer gewechselt hat. Wer das neue Zürich erleben will, der folgt am besten der Website von Vania Kukleta. Gemeinsam mit ihrer Freundin Katja sorgt sie für die Hipster-Märkte in Zürich-West. Dort, wo einst der Containerturm der Freitag-Taschen als einsame Landmarke ein wenig mickrig neben dem kalt türkis schimmernden Prime Tower stand, geht heute die Post ab. „Frau Gerolds Garten“ wurde zum Open-Air-Designermarkt, daneben managt Kukleta das große Zürcher Streetfood-Fest oder bereitet für den Dezember mit „Heiliger Bimbam!“ einen etwas anderen Weihnachtsmarkt vor, einen Treffpunkt der Kreativen samt DJs und Glühwein aus den Zürcher Weinrieden.

Schmankerl statt Schmieröl

Für einen Gang über den „Flohmi“, wie Vanja Kukleta ihren Flohmarkt in West-Zürich nennt, hat sie trotz Organisationsstresses aber immer Zeit. Und sie ist damit nicht allein. Der Samstag beginnt mittlerweile für viele junge Städter mit einer Tram- oder Radfahrt zur Quellenstraße. Das dortige Bahnviadukt, die einst die Demarkationslinie zwischen den Arbeitersiedlungen und dem bürgerlichen Zürich bildete, wurde als Delikatessenmarkt neu erfunden. Schweizer Spirituosen bei „Berg und Tal“, Käse beim Traditionsbetrieb „Tritt“, aber auch die unwiderstehlichen Pie-Kreationen von Jacqueline Hodel locken in dieses Foodie-Paradies. Wer nicht selbst mit den Gourmandisen kochen will, dem serviert das Marktrestaurant täglich zwei Gerichte frisch vom Markt.

Dass hier um die Ecke zwischen Upcycling-Store und Hutmacher auch einer der letzten Retro-Passbild-Automaten steht, passt ins Bild, viele andere dieser Stadtmöbel wurden in die Hipster-Metropole Berlin verfrachtet. Das Viertel wird nach wie vor radikal umgebaut, seit die hier angesiedelte Industrie – die Tramstation heißt nach einem alten Konzernmieter Escher-Wyss – massenweise das Stadtgebiet verließ. Zuletzt verabschiedete sich auch die Spedition Welti-Furrer von der Pfingstweidstraße – ironischerweise eine der größten Umzugsfirmen der Schweiz.

Design follows Joghurt

Stattdessen zog die zweite Bühne des Schauspielhauses im sogenannten Schiffbau ein, die alte Zentralmolkerei Toni (nach ihrem populären Joghurt benannt) wiederum wurde zur Kunsthochschule umfunktioniert. 345.000 Plakate lagern allein im angeschlossenen Schaudepot des Museums für Gestaltung – für zwölf Franken kann man bei der Führung den Ikonen der „alten“ Schweiz in ihren Werbemitteln nachspüren. Originalmöbel des bekannten Designers Alfredo Häberli stehen neben Entwürfen von Max Bill und Adrian Frutigers ersten handschriftlichen Typografieskizzen, darüber baumeln die Marionetten Sophie Täuber-Arps, Gattin des Dadaisten Hans Arp, in dieser weitläufigen Wunderwelt des Schweizer Designs.

Wer dazu noch Industriearchitektur vom Feinsten sehen will, geht einfach die paar Schritte zum Engros-Markt weiter. Die denkmalgeschützte Lieferrampe von Migros wirkt wie das unter Buben der 1980er-Jahrgängen beliebte Parkhaus für Matchbox-Autos – allerdings in Lebensgröße. Doch selbst unter dieser Betonrinne blüht das Leben: Das Abschlussfest der „Food Zurich“, des herbstlichen Highlights für Gourmets, fand bislang hier statt. Bei Gelegenheiten wie diesen kann man dann Yello-Gründer Dieter Meier beim Probieren von Wurst mit „Kartoffelstock“ treffen oder bei Hans Erismann einen der sieben im Stadtgebiet produzierten Gins verkosten. Heuer findet das von Zehntausenden frequentierte Food Festival etwas früher statt – vom 24. Mai bis zum 11. Juni geht die dritte Ausgabe dieses famosen Foodie-Treffs über die Bühne. Vom Street zum Slow zum Fine Food. Mit Schweizer Küchenbekenntnis bis zur internationalen Konnotation.

Brunch am See

So bieder das Zürcher Image im Ausland lang war, aufs Genießen verstand man sich immer schon. Wer es nicht glaubt, soll sich einmal am Sonntag hinter dem Fifa-Museum seinen Weg zum Züri-See bahnen. Der Brunch im „Quai 61“ bietet eine legendäre Art des Tagesbeginns; aber schließlich liegt das Seerestaurant auch am My-thenquai. Selbst rund um die Reformation, die man mit ihrem Heros Huldrych Zwingli im kommenden Jahr noch extra groß feiern wird, geht es nicht ohne Essen ab. So hat der ab Jänner 1519 am Großmünster predigende Zwingli mit dem „Mushafen“ eine erste öffentliche Ausspeisung im Niederdorf, unweit der späteren Wohnstatt Lenins (aber das nur nebenbei), eingerichtet. Ebenfalls hier, wo heute in der urbanen Gartenoase des „Neumarkt“ ausschließlich Schweizer Produkte verkocht werden, spielte sich aber auch das Wurstsingen ab.

Wurstsingen und Schoggi

Mit betont lautem Verzehr von Würsten an einem katholischen Fasttag begann beim Buchbinder Froschauer der Legende nach der öffentliche Bruch des Pfarrers mit der Amtskirche. Zwinglis Schrift „Von Erkiesen und Freyhait der Spysen“, plädierte kurze Zeit später jedenfalls auch formell dafür, „dass niemand die Gewalt haben solle, Speisen zu verbieten“. Ein Jahr später knickte dann der Große Rat der Stadt Zürich ein – der Startschuss zur Reformation war sozusagen am Wurstkessel gefallen.

Die Zünfte, schon zu Zwinglis Zeiten eine Zürcher Institution und bis heute Hüter von Altstadt-Preziosen wie dem Haus zum Rüden oder der Rôtisserie Storchen, führen diese Tradition weiter. Bisweilen fließt so aus dem Brunnen (einer von 1235 im Stadtgebiet!) vor dem Zunfthaus zur Waag Wein. Das Restaurant der Hutmacher- und Bleichergilde neben dem Fraumünster hängt dann einfach ein Fass an den entenkopfartigen Brunnen in der Fußgängerzone. Die „Unterlage“ dazu liefert ein Nachbar, das weltberühmte Chäs Vreneli, gleich nebenan am Münsterplatz. Der Schweizer Käselieferant vieler Luxushotels weltweit führt hier nach wie vor sein Detailgeschäft mit Appenzeller, Gruyère und Sbrinz.

Apropos Hotels: Aufgerüstet hat die Schweizer Metropole, die mittlerweile auch für Aufbruch und Kreativwirtschaft statt für diskrete Finanzgeschäfte und Luxus steht, ebenso bei den modernen Herbergen. Das bislang größte Hotel der Motel-One-Gruppe etwa hat sich in der ehemaligen Post in Selnau niedergelassen, für die Gäste der 394 Zimmer gibt es Pralinen von Max Chocolatier und Modelle des Schweizer Bootsbauers Boesch für Swissness. Ganz ohne Showpiece und Anspielung auf den Finanzplatz ging es aber auch hier nicht ab – der blattgolden wirkende Leder-Fauteuil „Golden Chair“ zwischen den pralinenartigen Hockern geistert seit der Eröffnung durch Instagram. Der Mitbewerb von 25 hours hat sogar zwei Häuser an der Limmat errichtet, eines davon natürlich im angesagten Züri-West.

Das Hotel nahe dem Designmuseum beherbergt auch ein Stück Wien: Das Outlet des Wiener Neni auf dem Toni-Areal ist mittlerweile sogar eine Station der offiziellen Food Tour von Zürich Tourismus mit ihren insgesamt sechs Labe-Stopps. Haya Molchos Baba Ganoush, das als Kostprobe gereicht wird, schmeckt offenbar auch den Gästen der Stadt.

Casual in der Luxusetage

An den sieben Fünf-Sterne-Hotels der Stadt ist Zürichs neue Lässigkeit ebenfalls nicht spurlos vorbeigegangen. In Smokingjacketts mit Leopardenrevers wie in Las Vegas etwa serviert das Park Hyatt seine Kreationen in der Onyx-Bar. Das Widder, zwischen der Bahnhofstraße und dem Lindenhof gelegen, hat sich schon mit der Restaurant-Boucherie „AuGust“ – Signature Dish: Leberkäse! – der mittelalterlichen Wurzeln als Metzgerbetrieb besonnen. Denn entstanden ist das bis heute aus mehreren verbundenen Häusern bestehende Hotel aus den gesammelten Immobilien eines Fleischers. Er hatte querulierende Nachbarn sukzessive aufgekauft, anstatt auf ihre Beschwerden wegen Geruchsbelästigung im Herzen der Stadt zu reagieren.

Der heutige Eigentümer, die Bank UBS, unterstützt die neue Lockerheit, die sich auch in der Eröffnung des Clubs Widder Garage äußerte. Mit dem im vergangenen Oktober abgeschlossenen Umbau des À-la-Carte-Restaurants hat man diesen Weg nun radikal fortgesetzt. „Fine Dining sollen andere machen“, sieht General Manager Jan E. Brucker heute andere Gästeprioritäten als früher als wichtig an. Selbst mit der klassischen Menüfolge von der Vorspeise bis zum Dessert hat man gebrochen. Stattdessen nimmt Chefkoch Tino Staub die Gäste nunmehr mit auf „Food-Trails“: Internationale Aromen wie Chili, Curry, Trüffel, Pfeffer oder Koriander werden in jeweils sechs Varianten durchdekliniert.

Zu den an Streetfood – der „Berliner mit Schneekrabbe“ etwa ist ein Burger in Fünf-Sterne-Verkleidung, Massaman-Curry gibt's auch – erinnernden Speisen serviert David Bandak passende Drinks, wenn jemand keinen Tiganello oder Veltliner vom Kamptaler Oskar Hager möchte. Aus der mit 1000 Positionen vor allem bei Zürichs Whisky-Freunden legendären Widder-Bar kommen dann Cocktails wie der Curry home, für den man jede Bloody Mary stehen lässt. Die Damen mit den Einkaufstaschen von LV oder dem Gourmetkaufhaus Jelmoli an der Bahnhofsstraße bleiben derweil lieber beim Champagner. Aber die waren auch sicher noch nie in Züri-West.

ZÜRICH QUERGEKOSTET

Franken-Feld: Im Toni-Areal, neben der Kunsthochschule, hat der Finanzplatz Zürich sein modern inszeniertes Museum, www.finanzmuseum.ch

Muscheln:„Moules frites“ im Ausstattungsgesamtkunstwerk Les Halles – Rennräder und Steaks kann man hier ebenso erwerben, www.les-halles.ch

Rösti: Zürcher Nationalgericht, ganz ohne Beilagen, dafür schulmäßig (außen knusprig, innen saftig weich) serviert die urige Oepfelchammer im Niederdorf, www.oepfelchammer.ch

Scharfmacher: „I make you drunk, I make you hot“, bewirbt Beat Heuberger seinen Wein- und Gewürzshop. Saucen aus Sortenraritäten wie die Cajun BBQ, www.beatheuberger.ch

Ausblick: Die Rooftop-Terrasse mit Blick Richtung „Silberküste“ des Züri-Sees ist neben der Küche das Highlight im Hotel Ambassador à l'Opéra, gleich beim Bellevue-Platz, dem Tramknotenpunkt. www.ambassadorhotel.ch

Stadt-Residenz: Mittelalterliche Stadthäuser beherbergen im Hotel Widder 14 Suiten und 45 Zimmer in Gehdistanz zum ruhigen Lindenhof und der Bahnhofstraße. Le Corbusier- und Wittmann-Möbel, Fresken. www.widderhotel.com

Swiss(n)ess: Die Markthalle im Viadukt ist ein Muss auf dem Weg nach Züri-West, viele Schweizer Produkte und ein angeschlossenes Markt-Restaurant locken in die Bahnbögen, www.im-viadukt.ch

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2018)

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