Juliette Lewis: „Energie hat kein Geschlecht“

Hoch das Bein. Juliette Lewis bewegt bei ihren Auftritten Körper, Geist und Publikum.
Hoch das Bein. Juliette Lewis bewegt bei ihren Auftritten Körper, Geist und Publikum.(c) Cortney Armitage
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Juliette Lewis steckt ihre ganze Kraft in die Performance, ob auf dem Rockfestival oder vor der Kamera – oder bald auch dahinter.

Eine alte Legende. Mit 19 Jahren hat sie Oliver Stone so lang mit dem Tod gedroht, bis er ihr endlich eine Rolle in „Natural Born Killers“ gab, heißt es. Vielleicht steckt sogar eine kleine Wahrheit in der Lüge, erzählt die heute 42-jährige Juliette Lewis in ihrer neuen Porträt-Doku „Hard Lovin’ Woman“. Vielleicht halten viele die Tochter des 2015 verstorbenen Schauspielers Geoffrey Lewis deshalb auch noch immer für ein bisschen verrückt. Vielleicht aber auch, weil sie sich trotz ihres beachtlichen Werkkatalogs nie zur glatten, langweiligen Hollywood-Elite schlafen legte. Lewis gab ihrem wilden Image vor mehr als zehn Jahren sogar noch einmal kräftig Auftrieb, als sie mit ihrer Band Juliette and the Licks eine Karriere als Rock’n’Roll-Frontfrau startete. Eine dritte Karriere hat Lewis auch schon im Auge.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich in der Männerdomäne Rock ’n’ Roll manchmal wie eine bärtige Frau fühlen. Denken Sie noch immer so?
In der amerkanischen Kultur ist die „Bearded Lady“ eine Anspielung auf den Zirkus, den Karneval. „Komm, sieh dir die Bärtige und den Einäugigen an“, hat man in den Freakshows zur Jahrhundertwende gerufen. Meine Metapher war sehr humorvoll gemeint und bezog sich vorwiegend auf die Zeit, als ich mit meiner Band vor mehr als zehn Jahren begonnen habe und wir auf der Warped Tour und anderen Rockfestivals spielten, bei denen hauptsächlich Männer auftraten. Mittlerweile hat sich meine Musik aber verändert, sie hat mehr Spannung, mehr Blues, mehr Rhythmus. Die Palette meiner Songs ist einfach breiter geworden.


Hatte diese erste Zeit vielleicht Einfluss auf Ihr Selbstbild als Frau, auf Ihre Weiblichkeit?
Ich persönlich halte nicht viel von der Einteilung in weiblich und männlich, sondern konzentriere mich auf meine Energie – und die hat kein Geschlecht. Wenn ich gegen Gender-Mauern laufe, dann nur in der kulturellen Auseinandersetzung, in den Medien. Ich fühle mich dadurch aber nicht eingeschränkt. Dass ich ohne Rollenstereotype aufgewachsen bin, verdanke ich meinen Eltern.


Beim Songwriting gab es aber immer wieder neue Einflüsse.
Am Anfang der Licks habe ich mich mehr darauf konzentriert, eine gute Liveshow zu entwickeln, meine ganze Kraft und Aggression zu entfesseln. Damals habe ich hauptsächlich mit meinem Gitarristen Todd Morse zusammen geschrieben, er kam von der Hardcoreband H2O, das nahm Einfluss auf uns. Später habe ich mit vielen anderen geschrieben und andere Sounds ausprobiert. Ich bin einfach eine Musikliebhaberin, die mit ihren Gefühlen und der Zeit geht. Die neue Platte habe ich mit einer Frau namens Isabella Summers geschrieben, sie ist die Keyboarderin von Florence and the Machine und eine brillante Produzentin. Zusammen haben wir aufregende, frische Sounds geschaffen. Die Platte wird sehr rhythmisch, eingängig und kraftvoll sein.


Und wann kann man sie hören?
Die Single „Hello Hero“ gibt schon einen Vorgeschmack, das Album kommt dann wahrscheinlich im Herbst.


Bei Ihren Liveauftritten werden Sie immer zum Tier. Was ist Ihre Vision auf der Bühne, was befriedigt Sie da oben?
Ich will jeden Einzelnen im Publikum erreichen, und ich wünsche mir, dass sie sich gehen lassen, ihre Probleme vergessen. Sie sollen das Leben feiern und sich stark fühlen. Das ist es, um was es für mich beim Rock ’n’ Roll geht: entfesselte Kräfte. Ich will aber nicht nur die Leute bewegen, sondern auch mich selbst. Ich habe die Musik geschrieben und fühle mich ihr sehr verbunden, ich liebe es, sie zu spielen.


Kann ein Künstler nach dieser Entfesselung süchtig werden?
Ich würde es nicht Sucht nennen, weil eine Sucht etwas Negatives ist und man durch sie schwach wird. Ich würde es eher als Notwendigkeit beschreiben, nicht das Befreiende, sondern die Tatsache, dass ich Musik mache.


Damit haben Sie jetzt aber einige Jahre pausiert.
In dieser Zeit hat sich meine Seele auch nicht vollständig angefühlt. Wenn ich Musik mache und dadurch mit anderen in Kontakt trete, lebe ich ein volleres Leben, trotzdem kann ich nicht vernachlässigen, dass die Verbindung zu meiner Familie auch wichtig ist. Musik liebe ich, und ich werde sie so lang machen, wie es geht, solange ich gesund und aktiv bin. Ich bin keine Sängerin, die aufsteht und singt. Ich performe und stecke da meine ganze Kraft hinein.


Wie hart Sie arbeiten – also bis die Knie steif werden –, zeigt auch die Doku „Hard Lovin’ Woman“. Wie ist es zu diesem Filmprojekt ge­­kommen?
Diese Doku ist etwas ganz Besonderes. Ich habe gehofft, dass ich aus dem ganzen alten Filmmaterial, das es über mich gibt, einmal eine Art Liebesbrief für mein Publikum produzieren könnte. Die Idee, ein Porträt über mich als Künstlerin zu machen, kam aber von Red Bull. Als sie sagten, dass Michael Rapaport die Regie übernimmt, wusste ich, dass ich in guten Händen sein werde. Wir sind seit 20 Jahren befreundet. Ich kann ihm vertrauen, weil er mich versteht. Er hat nicht nur meine Leidenschaft für die Arbeit gezeigt, sondern auch meinen Humor. Viele Leute glauben, dass ich ein ernster, aggressiver Mensch bin. Die täuschen sich.


Die Doku zeigt auch Ihren athletischen Körper, den Körper einer Tänzerin.
Ja, ich bin Tänzerin, und zwar schon, seitdem ich ein Kind bin, das ist mein eigentlicher Hintergrund. Bevor ich in der Schauspielerei Erfolg hatte, tanzte ich schon Ballett, Modern, Jazz und machte rhythmische Gymnastik. Und wenn ich jetzt als Musikerin auf der Bühne stehe, mische ich das alles zusammen. Ich war immer schon eine sehr physische Schauspielerin, aber mit der Musik lässt sich das noch steigern. Manchmal fühle ich mich wie eine Superheldin. Trotzdem muss ich zum Chiropraktiker, nehme Vitamine und all so was. Ich bin ja keine 20 Jahre mehr.


Kurz vor Ihrem 30. Geburtstag haben Sie mit Ihrer zweiten Karriere begonnen. Jetzt sind Sie in Ihren frühen Vierzigern. Wird es eine dritte Karriere geben?
Ja, mein erstes Drehbuch ist fertig, nach fünf Jahren. Ich will es noch heuer umsetzen und auch Regie führen. Der nächste Schritt ist also das Schreiben, darauf werde ich mich in Zukunft konzentrieren. Das wäre dann ein bisschen weniger körperlich.

Tipp

Juliette Lewis tritt am 4. 6. bei Rock in Vienna auf der Donauinsel auf, ihre Dokumentation „Hard Lovin’ Woman“ findet man online auf beta.redbull.tv

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