Nina Proll und Murathan Muslu: Allüren gesucht

(c) ELSA OKAZAKI
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Sie wäre gern kapriziöser, er hat noch immer einen Plan B: Nina Proll und Murathan Muslu geben Einblicke ins Filmbusiness.

Murathan Muslu weiß, was er will. Und was er nicht will. Einen weißen Filzmantel mit gewagtem Schnitt („Science Fiction!“) lehnt er klar ab. „Ich bin streng“, sagt er. Was nicht zu ihm passt, zieht er nicht an. Punkt. Anzüge zieht er an. Er will es klassisch, sagt er. Und so wird das Modeshooting im Liesinger F23, einer ehemaligen Sargfabrik, für ihn vor allem zum Anzug-Shooting.

Selbstverständlich, dass der 35-jährige Schauspieler, der in Ottakring aufwuchs, als Installateur am Bau arbeitete, rappte und 2014 mit Umut Dağs „Risse im Beton“ seinen Durchbruch im Filmbusiness schaffte, auch nicht jede Rolle annimmt, die ihm angeboten wird. In einigen „Tatort“-Folgen war er seitdem etwa zu sehen, in Stefan Ruzowitzkys „Die Hölle“ und Josef Haders „Wilde Maus“. Im November kommt „Anna Fucking Molnar“ ins Kino, in dem er an der Seite von Nina Proll spielt – einen Wiener Feuerwehrmann, was vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil es nicht viele Schauspieler mit Migrationshintergrund schaffen, den Teufelskreis aus oft klischeebeladenen „Migrantenrollen“ zu verlassen. Absurde Angebote bekommt Muslu trotzdem. „Vor zwei Jahren habe ich ein Drehbuch in die Hand bekommen, das beginnt mit einem türkischen Anwalt, der am Wiener Brunnenmarkt mit einem Esel ankommt. Allein das Bild – what the fuck? So etwas gebe ich weg.“

Von abstrusen Rollenanfragen kann auch Nina Proll ein Lied singen. „Eine Rolle wurde mir angeboten, da ging es um eine Psychiaterin, die einen Sexualstraftäter therapiert. Er nimmt sie als Geisel und vergewaltigt sie fünfmal und niemand kann sie befreien, das geht über 90 Minuten. Das kommt mir vor wie in der „Wanderhure“, vordergründig betrachtet ist es sozialkritisch, aber in Wahrheit hoffen die Zuschauer, nackte Brüste zu sehen.“ Proll weiß auch um die karrieretechnische Bedeutung von Rollenentscheidungen: „Du bist so gut wie dein letzter Film. Je älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl, ich werde nicht nach meinen Leistungen beurteilt, sondern nach meinen Entscheidungen. In einem schlechten Fernsehfilm kannst du dich noch so bemühen, trotzdem wird gesagt: Warum spielt sie da mit?“ Seit einem halben Jahr habe sie deshalb alle Angebote abgelehnt. „Jetzt bin ich in der Situation, dass ich wieder mal etwas drehen sollte. Die Rechnungen kommen ja trotzdem.“

Sei schwierig! Mit der Komödie „Anna Fucking Molnar“ gibt Proll ihr Drehbuchdebüt. Sie spielt darin eine Schauspielerin, die beruflich wie auch in Liebesdingen abstürzt, die eigene Branche bekommt dabei ordentlich Fett ab: Es geht um Allüren, Neid, missglückte Interviews, Zickenkrieg und Panik hinter Theaterkulissen. Eine ironische Selbstbetrachtung, ja, aber „es ist nicht großartig überzeichnet. Es ist das Business, wie ich es erlebe.“ Die Titelrolle sei, wie Proll gern wäre: „Sie ist ein bisschen abgekupfert von Kolleginnen, die sehr viel kapriziöser sind als ich. Mich fasziniert das, ich mag solche Frauen.“ Von ihnen habe Proll gelernt: „Je schwieriger du als Schauspielerin bist, umso mehr bemüht sich der Produzent um dich. Weil es für ihn ja um wahnsinnig viel Kohle geht. Ich versuche jetzt auch, mir Allüren anzueignen und jedes Problem, das ich habe, möglichst groß aufzubauschen, damit ich möglichst viel Aufmerksamkeit errege.“

Filme statt Schule. Auch Muslu habe Allüren, sagt Proll, er zeigt sich aber bodenständig: „Ich lerne gerade noch, wie das Business funktioniert.“ Michael Haneke verglich ihn nach „Risse im Beton“ mit Größen wie Marlon Brando und Javier Bardem. „Er wird da irgendein Potenzial bei mir gesehen haben“, meint Muslu. In seiner Jugend wollte er Fußballer werden, er verpasste kein Training, bis eine Verletzung den Traum zerplatzen ließ. Mit Filmen beschäftigte er sich im Rahmen seiner Schulschwänzroutine: „Da gab es drei Stationen: Die CM-Videothek auf der Thalia­straße, da habe ich zwei bis drei Filme ausgeborgt, dann zur Bäckerei, frühstücken, und wenn ich ein bisschen Geld in der Tasche hatte, auch eine Pizza kaufen.“ Damit ging es dann nach Hause zum Filmgenuss. 600 VHS-Kassetten besitzt er noch heute. „Vielleicht habe ich mir irgendetwas angeeignet, von dem ich selber bis heute nicht weiß, was es ist.“

Auf seine Rollen bereitet er sich akribisch vor, kapselt sich ab, verbringt die Tage in Boxershorts mit der Textlektüre. „Wäre ich die Hauptfigur in ,Taxi Driver‘, würde ich auch einen Taxischein machen und ein bisschen herumfahren.“ Schwierig seien Rollen, bei denen kurz nach der Zusage schon der Dreh beginnt. „Man gibt dann sein Bestes, aber manchmal sind das nur 60 Prozent.“ Rollen, die er gern spielen möchte? „My Left Foot“ mit Oscar-Gewinner Daniel Day-Lewis als Schwerbehinderter hat Muslu beeindruckt. „So etwas wäre einmal eine Herausforderung.“

Nina Proll schuf sich mit Anna Molnar indessen selbst eine Rolle, die sich – mit ausgeprägter Midlife-Crisis und „männlichen“ Attributen – von den oft „langweiligen“ Frauenfiguren im Fernsehen abheben will. Als ihr in einer Szene die zuvor weggenommene Theaterrolle doch wieder angeboten wird, verlangt sie die doppelte Gage. „Das ist etwas, was Frauen oft überhaupt nicht können“, sagt Proll: „Gehaltsverhandlungen führen und einfordern, was ihnen zusteht, geschweige denn mehr. Da können wir von den Männern lernen.“ Auch Proll habe es lernen müssen. Jungen Schauspielerinnen rät sie: „Am Selbstvertrauen arbeiten und einfach mal behaupten: Meine Leistung kostet das. Und darunter mach ich’s nicht.“

Murathan Muslu nimmt seinen Erfolg mit Bescheidenheit. Wenn es mit dem Schauspiel nicht mehr klappen sollte, würde er eben zurück zum Bau gehen, sagte er oft. Hat das eine Business mit dem anderen irgendetwas gemein? „Es gibt immer einen Chef über dir.“ Auf die Baustelle will er nicht zurück, aber „wenn es so kommt, dann kommt’s.“ Mittlerweile hat er aber auch einen anderen Plan B: „Ich könnte als Fahrer beim Film arbeiten.“ Das wird wohl kaum nötig sein.

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