Randerscheinung: Morgenaufbruchstaktik

Sieben Uhr zehn. Der Jüngste und ich sitzen am Küchentisch und spielen UNO, während der Rest der Familie sich tummelt, außer Haus zu kommen.

Sieben Uhr zehn. Der Jüngste und ich sitzen am Küchentisch und spielen UNO (Karten, nicht Vereinte Nationen), während der Rest der Familie sich tummelt, außer Haus zu kommen. Der Jüngste erweicht mich dazu, meine Vier-nehmen-Karte doch nicht auszuspielen, und feiert so einen fragwürdigen Sieg. Was den Mittleren, der bis dahin scheinbar ohne auf unser Spiel zu achten in seiner Schultasche herumgekramt hat, nachhaltig empört: „Was, du lasst ihn gewinnen? Bei mir konntet ihr früher eiskalt sein. Ich musste mir meine Siege hart erarbeiten.“ Eine Viertelstunde später, wir sind inzwischen allein zu Hause, spielen wir immer noch. Im Pyjama. Und obwohl die Zeit langsam drängt (wir sollten spätestens um acht Richtung Kindergarten aufbrechen), tue ich so, als wäre es Sonntagfrüh mitten in den Sommerferien. Weil mit kleinen Kindern und der Eile ist es wie mit Haien und dem Blut: Haben sie es erst einmal gerochen, hast du verloren. In Ostasien hätten sie für meine Morgenaufbruchstaktik einen Spruch wie „Willst du ein Rennen gewinnen, setze dich an den Straßenrand und warte“. Deshalb locke ich ihn mit einem Stofftier, das ihm so gern die Zähne putzen würde, ins Bad und verspreche ihm für später (also vor dem Kindergarten) noch alles Mögliche. Während ich den Lockeren gebe, habe ich die Uhr immer fest im Blick und schwitze leicht. Um acht Uhr ist er zwar tatsächlich angezogen, will allerdings jetzt noch die Legokiste ausräumen. Ich versuche es mit einer paradoxen Intervention, setze alles auf eine Karte und schlage ihm vor, gleich die ganze Duplo-Eisenbahn aufzubauen. Dazu hat er – Bingo – keine Lust. Zehn Minuten später gebe ich ihn im Kindergarten ab. Kaum sieht er mich nicht mehr, beginne ich zu laufen. Ich muss mir Siege auch hart erarbeiten.

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