Randerscheinung: Raum-Zeit

Das eigene Leben ist ja immer das, was man sich selbst hinterher darüber erzählt. Währenddessen sind es einfach nur einzelne Tage.

Immer einer nach dem anderen. Ziemlich unzusammenhängend. Und ganz unterschiedlich lang. Für Kinder, die auf etwas warten (und Kinder warten eigentlich immer auf irgendetwas: Geburtstag, Osterhase, bis sie größer sind) dauert jeder Tag unendlich lang. Für Erwachsene, die sich einbilden, möglichst viele Dinge in möglichst kurzen Zeitspannen unterbringen zu müssen, ist er viel zu kurz. Treffen ewig wartende Kinder auf ewig gehetzte Erwachsene, wird diese Raum-Zeit-Wahrnehmungsdiskrepanz besonders deutlich sichtbar. Die Lösung findet sich meist darin, dass entweder das Kind sich dem Erwachsenenrhythmus anpasst (mit einkaufen geht, Dinge erledigt, im Haushalt hilft etc.), oder aber der Erwachsene alles stehen und liegen lässt, und sich auf das Kinderspiel einlässt. Was überhaupt nicht vorgesehen ist: Wenn der Erwachsene außerhalb der Nachtstunden in den Erholungsmodus schalten will. Erstens hat man, wurde das Werkl erst einmal zum Stehen gebracht, oft nicht mehr die Kraft, es wieder in Gang zu bringen. Zweitens können Kinder nichts weniger ausstehen als untätige Erwachsene. Ältere Kinder streifen subtil so lang im Raum herum, bis man seine Untätigkeit unterbricht. Ist man eingeschlafen, machen sie scheinbar unabsichtlich Lärm, bis man aufwacht. Jüngere Kinder werden ohne Umschweife physisch. Sie schieben ihre Körper zwischen den Liegenden und die Couchlehne. Sie legen ihren Kopf so auf das Erwachsenengesicht, dass man ihren Schädelknochen spürt, sie zupfen an Augenlidern. Hilft das alles nichts, hupfen sie mit Anlauf auf den Erwachsenenbauch. Und siehe da: Kaum hat man es erzählt, hängt doch irgendwie alles zusammen.

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