Jetzt blühen die Bärte

Jetzt blühen die Bärte
Jetzt blühen die BärteInstagram/Fashion.Beauty.Love
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Auf Instagram und Pinterest sprießt das Kinnbouquet. Eine Pointe, mit der das Ende des Hipsters eingeläutet wird. Und was hat Bill Murray damit zu tun?

Es ist eine ungewöhnliche Paarung: Borstiges Barthaar trifft dieser Tage häufig auf wucherndes Blattwerk oder zarte Blüten. Ein skurriler Stylistentrend aus den USA erobert die digitalen Selbstdarstellungsplattformen: „Flower Beards“ nennt man jene Gesichtsgestecke, die derzeit die virtuellen Gärten namens Instagram, Pinterest oder Tumblr begrünen. Bart trifft Blume, das männliche Ur-Accessoire wird mit zutiefst weiblichen Schmuckelementen aufgepeppt. Schon das sanfte Lächeln der männlichen Models lässt darauf schließen, dass wir es hier mit einem nicht ganz ernst gemeinten Trend zu tun haben. Es ist eine Netzspielerei, bei der nichts und doch wieder alles ernst gemeint ist.

David mit den Efeuästen

So lässt sich auch nur schwer eruieren, wer damit begonnen hat, die Bärte zu begrünen. Eine der Ersten war ziemlich sicher die Floristin Sarah Winward. Sie dekorierte 2013 das behaarte Kinn ihres Ehemanns David mit allerlei Geblüm und Gestrüpp – drapierte Efeu, Mistelzweige, Laub und Baumwolle in seinem schwarzen Bart. Das Endergebnis ließ sie von einem Fotografen professionell ablichten und nannte die Bilderserie „Honey of a Thousand Flowers“. Wer sich im Netz auf die Suche nach „Flower Beards“ begibt, stößt immer wieder auf diesen David mit den Efeuästen.

Zufall oder nicht, seither sprießen die geblümten Bärte, zuerst noch zaghaft, dann immer schneller, in den vergangenen Wochen verbreitet sich die Spielerei beinahe wie Unkraut. Auf Facebook gibt es seit einigen Tagen eine „Flower Beards“-Gruppe. Die internationale (Mode-)Presse ist Mitte Juli auf den skurrilen Trend aufmerksam geworden und sammelt die schönsten Bartgärten. Auf diesem Weg fand sich auch der Wiener Fotograf Florian Rainer, der regelmäßig für „Die Presse“ arbeitet, in einer „Flower Beard“-Sammlung der „Daily Mail“ wieder. Dabei betont er, dass er sein Foto als Metaebene und ironische Antwort auf diesen ungewöhnlichen Barttrend sehe. In weißem Hemd vor weißem Hintergrund, mit Gänseblümchen im Haar und der linken Hand halb genervt, halb andächtig an der Stirn lichtete er sich ab. Das Bild sei alles andere als ernst gemeint gewesen, erzählt Rainer, es sei eher eine spielerische Antwort auf den jüngsten Hipstertrend. Den hält er allerdings insgesamt für ein ironisches Statement. „Ich glaube, dass der Hipster schön langsam tot ist“, sagt er – die Blumenbärte seien so etwas wie ein ironisches Adieu auf den Hipster. Zum Abschied gibt es Blumen.

Damit könnte Florian Rainer recht haben. Seit so gut wie jeder Großstädter unter 45 Jutebeutel, Holzfällerhemd, große Brille und Stoffschuhe trägt – die Männer dazu Voll- oder Oberlippenbart, die Frauen Crop-Shirts (die Fortsetzung der bauchfreien T-Shirts) und Birkenstock-Sandalen –, ist der Hipsterkleidungsstil in der breiten Masse angekommen und damit für Individualisten uninteressant. Zuletzt wollten sich sogar Randgruppen wie Neonazis das Hipster-Etikett umhängen: sogenannte Nipster (Nazi+Hipster) kleiden sich oberflächlich wie modische Großstädter, lassen aber bei winzigen Details wie Ringen, Ketten, Tattoos oder dem „richtigen“ Spruch auf dem Jutebeutel ihre eigentliche Weltanschauung erkennen.

Aber zurück zu den Blumen im Bart. Die sind also vorwiegend ironisch zu verstehen. Was sich schon allein aus der mangelnden Praktikabilität dieser Kinnbegrünung ergibt. Wir können uns zumindest keinen Anlass vorstellen, bei dem der moderne Mann sein buntes Bouquet ausführen könnte. Die „Flower Beards“ sind also eher etwas für die Pinterest-Wand oder das Instagram-Selfie. Ein besonderer Selbstdarsteller steckt sich etwa rote Plastikspaghetti, Mikadostäbchen und iPhone-Kopfhörer in den Bart. „Das hält alles – zumindest für das Shooting“, sagt Modebloggerin Anne Feldkamp, „und vorausgesetzt, man hat einen etwas struppigen Bart, ein aufgemalter Conchita-Wurst-Bart reicht nicht.“

Digital Accessoire

Die Expertin hat eine logische Herleitung für den jüngsten Stylistentrend: Der „Flower Beard“ sei so etwas wie das männliche Pendant zum Blumenkranz, den Frauen seit Kurzem wiederentdeckt haben und vorzugsweise auf Festivals oder Hochzeiten im Haar tragen. „Die blühenden Bärte sind auch eine Spielerei mit weiblichen Accessoires. Ein Trend, der schon seit Längerem in der Mode zu beobachten ist“, sagt Feldkamp. Der einzige Unterschied: Blumenkränze im Haar sind ein sehr reales Accessoire, das man eben auch in der Offline-Welt wiederfindet. Ein Blumenbart sei ihr aber im realen Leben noch nicht begegnet. Somit ist der „Flower Beard“ bislang also ein reines Netzphänomen, das seinerseits drei Netz- (und Mode-)phänomene aufs Korn nimmt: den Vollbart, den Selfie-Hype und die neue Naturverbundenheitsromantik. Für Anne Feldkamp kommt noch etwas dazu. Plattformen wie Instagram und Pinterest hätten eine ganz bestimmte Ästhetik des Schönen hervorgebracht. Alles, was dort gepostet wird – Landschaften, Essen oder das eigene Ich – müsse besonders schön sein. Bartgestecke würden da eben auch ganz gut hineinpassen.

Wie man unabsichtlich Teil eines Phänomens wird, kann man in diesem Fall übrigens an Bill Murray sehen. Der 63-jährige Schauspieler taucht derzeit automatisch im Kontext mit den blühenden Bärten auf. Schuld daran ist die „New York Times“, die schon 2011 ein Schwarz-Weiß-Porträt von ihm auf das Titelbild ihres Wochenendmagazins hievte. Die Stylistin hatte ihm aus Jux und Tollerei Plastikgänseblümchen in den kurz gestutzten Bart gesteckt, und Murray lächelte dazu sanft. Das Bild hat Murray nun nachträglich und vermutlich völlig unwissend zum Trendsetter im Blumenbarting gemacht. So wie wir den Schauspieler kennen, dürfte ihm das sogar gefallen.

Blumenbart

Ganze Bouquets (oben und unten) stecken sich manche in den Bart.

Bill Murray wurde 2011 unabsichtlich zum Trendsetter – dank des „NYT Magazine“.

Beigestellt/privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2014)

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