Clowns im Training für den Ernstfall

Rote Nasen
Rote NasenTeresa Zötl
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Wenn Clowns Kinder im Spital aufheitern sollen, reicht es nicht, einfach lustig zu sein. Besuch im Trainingscamp der Roten Nasen.

Das Problem ist, dass du mit der roten Nase nicht siehst, wo du hinbläst. Du triffst den Ring nicht mehr.“ Christian Moser taucht den Blasring noch einmal in die Seifenlauge, bläst langsam durch und lässt so eine neue Seifenblase entstehen. Mit einem Strohhalm fährt er dann in den Ring hinein, macht unterhalb weitere kleine Blasen und hat nach wenigen Sekunden eine große mit gleich mehreren kleinen Seifenblasen darunter vor sich hängen. „Jetzt in den Strohhalm unten blasen.“ Und schon drehen sich die kleinen Bläschen unter der großen wie ein Karussell. Zielsicher, trotz der roten Clownnase, die sein Gesichtsfeld doch ein wenig einengt.

Christian Moser hat Routine. Seit 1995 arbeitet er als Clown. Und kann dementsprechend viel Wissen weitergeben. Während er das Kunststück vorführt, steht rund um ihn ein gutes Dutzend Menschen, einige ebenfalls mit roter Nase im Gesicht, und lernen, wie sich mit Seifenblasen verschiedene Kunststücke machen lassen. Magic Soap Bubbles heißt der Kurs, der gerade im Innenhof des Stifts St. Georgen am Längsee abgehalten wird. Er ist Teil eines mehrtägigen Trainingscamps, bei dem sich 170 Clowndoctors der Roten Nasen für ihre Arbeit weiterbilden.

Clowndoctor – der Begriff führt ein wenig in die Irre. Denn es sind keine Mediziner, die einfach ein Clownskostüm anlegen. Sondern es sind fast durchwegs Künstler – Schauspieler, Tänzer, Musiker –, die in Krankenhäusern für ein wenig gute Stimmung sorgen sollen. Basierend auf der Idee des amerikanischen Arztes Patch Adams sorgen heute mehrere Vereine weltweit dafür, dass der ernste Klinikalltag für die Patienten, vor allem für Kinder, aufgelockert wird. Die Roten Nasen sind einer davon – nach eigenen Angaben die größte internationale Spitalsclown-Organisation.

345 Clowns in zehn Ländern

1994 gegründet, sind heute 65 Clowns in 42österreichischen Spitälern unterwegs, insgesamt versammelt die Organisation 345 Clowns in zehn Ländern unter ihrem Dach – neben Österreich in Deutschland, Ungarn, Slowenien, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Kroatien, Polen, Litauen – und auch in Palästina. Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, müsste man von einem bunten Haufen sprechen, der hier im Stift untergebracht ist und alle möglichen Kurse belegt.

„Unser Job ist, das zu tun, was das Gegenüber braucht, nicht nur Entertainment“, sagt Giora Seeliger, einer der Gründer und Künstlerischer Leiter der Organisation. In ein Krankenzimmer zu stürmen und Kunststücke aufzuführen, genüge jedenfalls nicht. Bei der Ausbildung zum Clowndoctor gehe es auch darum, der Situation gewachsen zu sein. Immerhin hat man es mit kranken Menschen zu tun, mit denen man entsprechend sensibel umgehen muss. Dazu gehört vor allem Empathie– innerhalb von drei Sekunden muss ein Clown ein Krankenzimmer abchecken. Also einschätzen können, in welche Situation er gerade kommt, ob man überhaupt willkommen ist, welchen Patienten man wie ansprechen kann. Wie man Fettnäpfchen vermeidet (Scherze über Essen gegenüber Magersüchtigen, zum Beispiel). Und was man bei einem Auftritt überhaupt bieten will. All das müssen die Clowns erst einmal lernen, ehe sie in ein Krankenzimmer gelassen werden.

Zunächst im Rahmen einer Basisausbildung an der 2002 gegründeten Internationalen Schule für Humor in Wien, danach laufend in Kursen und Seminaren. Und eben auch ein Mal pro Jahr beim Internationalen Trainingscamp mit Clowns aus den teilnehmenden Ländern. Auf dem Plan stehen diesmal vor allem handwerkliche Fähigkeiten. Neben dem Seifenblasenworkshop wird etwa in einem eigens vor dem Stift errichteten Zirkuszelt Jonglieren geübt – mit Bällen, mit Keulen, mit Ringen, aber auch mit einem Diabolo wird geübt, werden Tricks verraten, wie eine Übung besonders spektakulär aussieht.

Ukulele und Lieder texten

Spätestens bei diesen Workshops wird klar, warum nicht jedermann einfach den Clown im Krankenhaus spielen kann. Und warum die Organisation bei Auditions fast ausschließlich nach Künstlern Ausschau hält. Es braucht ein gewisses Talent, Körperbeherrschung und Kreativität, um glaubhaft einen Clown geben zu können. Und auch musikalisches Verständnis ist nicht unwichtig. Schließlich kann ein Lied dazu beitragen, eine beklemmende Situation lockerer zu machen.

„A fly sat on the cheese“, singt ein weiblicher Clown, es folgt ein Akkord auf der Ukulele, „a farmer came and saw this.“ Beim Workshop Creative Song Writing in the Hospital sitzen jeweils zwei Clowns zusammen und erarbeiten zu einer vorgegebenen Melodie einen Text, den sie dann gemeinsam vortragen. Eine Geschichte soll es sein, im besten Fall mit Wortwitz und einer überraschenden Wendung am Ende. All das begleitet auf der Ukulele – einem Instrument, das klein, leicht und recht einfach zu erlernen ist. Optimal für einen Besuch in einem Krankenzimmer also. Und so etwas wie die Standardausrüstung für Clowndoctors, an der dementsprechend häufig geübt wird.

Improvisation mit dem Partner

Es muss aber auch ohne Instrumente gehen. Wie bei der Partner Improvisation, bei der zwei Clowns nebeneinander stehen, gehen und sich bewegen – und sich dabei spiegeln. Macht der eine einen Schritt nach vor, muss der andere mit. Hebt der eine die linke Hand, muss der andere seine rechte Hand heben. Setzt sich der eine auf einen Sessel, muss der andere zwangsläufig auch in die Hocke, wenn gerade kein Sessel danebensteht. Die ganze Choreografie entsteht spontan – so wie auch in einem Krankenzimmer müssen die Clowns in jeder Situation einfach entscheiden, wie sie reagieren.

Die Tür zum Seminarraum öffnet sich – ein Zuseher hat sich verirrt. Die beiden Clowns gehen auf ihn zu, legen die Arme um seine Schultern und herzen ihn. Eine Situation, wie sie sich auch im Spital ereignen könnte, wenn etwa während der Vorführung ein Arzt ins Zimmer kommt. Und bei der die Clowns auf herzliche Art mit dem Überraschungsmoment umgehen. Das Zusammenspiel gehört dabei zum Konzept – Clowns treten in Krankenzimmern immer zu zweit auf. So können sie auch dann interagieren, wenn die Patienten nicht mitmachen wollen, sondern zunächst einfach beobachten möchten, was da gerade passiert.

Die Clowns können dabei in völlig unterschiedlichen Verhältnissen zueinander stehen. Da gibt es eben die Zwillinge, bei denen die Komik durch die synchrone Bewegung entsteht. Aber auch den Klassiker des Gescheiten und des Blöden. Oder, was heute zunehmend angewandt wird, das gleichberechtigte Paar. Wo kein Clown eine Führungsrolle übernimmt, sondern beide gemeinsam etwas machen. Geübt wird etwa das Szenario, dass ein Paar wie Aliens, die gerade zum ersten Mal auf die Erde kommen, die Umgebung und Gegenstände erforschen sollen. Mit „Ooh“ und „Aah“ schieben zwei Clowns einen Sessel hin und her. Ein anderes Paar beäugt mit großen Augen und erstauntem Blick ein Fenster. Zwei andere wiederum haben die runden Magneten vom Flipchart abgenommen und lassen sie über den Parkettboden rollen.

„All das gehört zum Clowngrundvokabular“, sagt Trainerin Tanja Simma, die unter dem Pseudonym Anna de Lirium als Clown auftritt. Geht man in ein Krankenzimmer, kann man je nach Situation auf die verschiedensten Stile zurückgreifen, man muss sie nur kennen und vorher auch schon geübt haben. Und während hier gerade praktisch geübt wird, sitzen im Nebenraum Clowns vor einem Flipchart – der Aufbau eines Auftritts wird durchgenommen. Wie muss man einen Charakter einführen, wann muss ein erster Höhepunkt kommen, muss jede Geschichte einen Helden haben – und kann dieser auch den einen oder anderen falschen Sieg erringen? „Da müht sich ein Clown ab – und bekommt dafür einen Mistkübel als Belohnung. Darin liegt dann die Komik“, sagt Rupert Lehofer, der den Kurs How to Improvise a Full Length Play leitet.

Nicht übertreiben

Doch übertreiben darf man auch nicht. Das predigt Joseffo Olivero in seinem Workshop Simple Play of the Clown. „Der Charakter ist wichtig. Das Einfache, das einen ausmacht im Auftreten.“ Geübt wird das mit einer simplen Übung – ein Clown schiebt einen Sessel von einer Ecke des Raums in eine andere. Dabei schaut er immer ins Publikum. In der Mitte bleibt er stehen, lässt den Sessel aus, stellt sich vor das Publikum – und schaut. Schuldbewusst, verwirrt, lächelnd, je nachdem, wie es der Clown anlegt. Aber dabei ganz einfach, nicht zu viel machen. Und dann eine Bewegung, vielleicht eine Verrenkung mit dem Kopf oder ein Stellen auf die Zehenspitzen, dann beugt sich der Clown wieder über den Sessel und schiebt ihn weiter. Auch das ist eine Lektion – halte es kurz und einfach. Auch darin liegt eine Komik.

Rund acht Minuten dauert ein Auftritt in einem Krankenzimmer. Ein- bis zweimal pro Woche werden Kinder in Spitälern besucht. Vor allem sie – aber auch Geriatriepatienten bekommen Besuch. Auch für sie ist es eine Abwechslung im Klinikalltag, wenn jemand in einem Haus mit strengen Regeln scheinbar ganz ohne Regeln kommt. „Dort, wo gelitten wird, darf auch einmal gelacht werden“, sagt Monica Culen, Mitgründerin und Geschäftsführerin der Roten Nasen. „Man kann das Leiden der Menschen nicht wegnehmen, aber es erträglicher machen.“

Auch die Eltern lachen

Die roten Nasen der Clowns stehen, so die Philosophie der Organisation, für das Emotionale. Und gerade in der entpersonalisierten Welt des Krankenhauses („der Appendix auf Zimmer drei“) sollen sie die kalte Stimmung aufbrechen. Bei den Patienten. Und auch bei den Angehörigen – wenn etwa Eltern voller Sorge um ihr Kind sind. Für sie ist es auch ein Moment der Entspannung, in dem sie ihre Kinder glücklich sehen, sich damit auch selbst ein bisschen gehen lassen können. Genau darauf zielen die Clowns auch ab, wenn sie in Stationen für Frühgeburten auftreten – für Eltern, die die Situation belastet, die sich womöglich selbst die Schuld an der Situation geben. Auf einmal ist da jemand, der positive Stimmung in all die Beklemmung bringt. Und nicht zuletzt wirken die Clowns auch auf das Personal – auf Ärzte und Pfleger, die auf diese Weise Dinge über ihre Patienten erfahren, auf die sie sonst nicht gekommen wären. Zuletzt sind die Rote-Nasen-Clowns auch aufgetreten, wo man sie nicht vermuten würde: in Heimen für Vertriebene in der Ukraine. Und auch in Flüchtlingslagern in Jordanien– zwar kennt man im arabischen Raum die Figur des Clowns nicht, doch habe es trotzdem gut funktioniert.

Für all diese Aufgaben, wird man bei den Roten Nasen nicht müde zu betonen, brauche es eine fundierte Ausbildung. Und bei aller Fröhlichkeit, die 170 Clowns vier Tage lang in einem Kärntner Stift auch versprühen mögen– im Hintergrund geht es um mehr als Klamauk. Dann ist ein Trainingscamp für Clowns eigentlich eine ziemlich ernste Sache.

In zahlen

345Clowns sind für die Roten Nasen im Einsatz, 65 davon in Österreich.

11.917Visiten führten sie 2013 in Spitälern und Pflegeeinrichtungen in zehn Ländern durch und besuchten dabei 638.000 Patienten.

Rote Nasen


Der Verein wurde 1994 von Max Friedrich, Monica Culen und Giora Seeliger gegründet. Ziel ist es, mittels speziell ausgebildeter Clowns in Spitälern und Pflegeeinrichtungen Patienten Hoffnung zu geben und den Krankenhausalltag aufzulockern.

Die Ausbildung gilt als besonders wichtig – Clowns dürfen erst nach einer Basisausbildung in Krankenzimmer, dazu gibt es laufend Weiterbildung. Rekrutiert werden fast ausschließlich Menschen mit künstlerischem Hintergrund.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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