Gerald Salmina: "Es muss wohl einen anderen Plan geben"

Der Sportler und Filmemacher Gerald Salmina.
Der Sportler und Filmemacher Gerald Salmina.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Extreme Bedingungen und ausgesetztes Terrain reizen Gerald Salmina, seit er Windsurfprofi war. Doch aktuell widmet sich der Filmemacher von "Streif – One Hell of a Ride" und "Mount St. Elias" der Sanftheit des Wörthersee-Wassers, bevor er seine ersten autobiografischen Kinospielfilme produziert. Ein Gespräch über Filme und gefährliche Situationen.

Vom Wörthersee zum Profisurfer zum internationalen Sportfilmer – nicht der naheliegendste Weg. . .

Gerald Salmina: Mag sein, dass es untypisch ist, aber Sport war immer mein Traum, aus dem letztlich ein Beruf wurde. Mit 16 Jahren hab ich einen Film über Hawaii gesehen, der mich total fasziniert hat. Ich wollte sofort nach der Matura hin, was ich dann auch durchgezogen habe. Ich wollte die Bilder im Kopf leben: die Riesenwellen, die Palmen, die Surfer aus der ganzen Welt. Wobei es nicht so sehr darum ging, Windsurfprofi zu sein, sondern zu versuchen, einen Traum zu leben. Nach ein paar Jahren hab ich vom Platz vor der Kamera hinter die Kamera gewechselt, denn von Wettkämpfen können nur die Top Five leben. Und man muss in Hawaii wohnen. Das ist schwierig, wenn man Familie in Kärnten hat.


Was meinten die Eltern dazu, dass Sie schon früh dauernd in der Weltgeschichte unterwegs waren und Surfen statt BWL-Studierens im Sinn hatten?

Es hat mich niemand zurückgehalten. Als ich 14 war, ist mein Vater gestorben, mit 17 bin ich spontan mit Rucksack und Schlapfen nach Sardinien zum Surfen und hab mich irgendwann nach einem Monat zu Hause gemeldet. Erst, als ich wieder zurück war, hab ich realisiert, wie schlimm das für meine Familie war. Ohne Vater aufzuwachsen hieß aber nicht, in die Erwachsenenrolle schlüpfen zu müssen, sondern im Gegenteil: Ich durfte länger spielen.


Rund um Sie und Ihre Filme scharen sich viele bekannte Extremsportler. Alles gute Freunde und Kollegen?

Ich war einer der allerersten Sportler bei Red Bull, Nummer vier oder fünf, und durfte so in meiner späteren Karriere mit den besten Sportlern der Welt arbeiten. Da ich selbst sehr viele extreme Sportarten ausgeübt habe, war ich für sie wie ein Medium, um ihre Leistungen in Bilder umzusetzen, wie zuletzt auch in meinem „Streif“-Film „One Hell of a Ride“. Nur Basejumpen hab ich nie ausprobiert. Aus echter Angst, denn Risiko lässt sich nur kalkulieren, wenn du dich sehr gut vorbereitest. Sonst ist die Gefahr zu groß.


Und wenn die Chance 50:50 steht?

Bei den meisten Bergfilmen bist du selbst Teil der Expedition, ob am Mount Everest oder am Mount St. Elias in Alaska. Du gehst fast das gleiche Risiko wie jene ein, die du filmst. Reinhold Messner hat einmal gesagt, dass es unmöglich ist, einen Film live am Berg zu drehen, man könnte eine Geschichte nur nacherzählen. Ich glaubte das nicht. Jede Szene, die man in „Mount St. Elias“ sieht, haben wir live gedreht. Es geht ja darum, im Zuschauer das Gefühl zu erzeugen, unmittelbar dabei zu sein und Entscheidungen nachvollziehen zu können – warum man etwa in die Gipfelflanke einsteigt, obwohl die Chance 50:50 steht, unter eine Lawine zu geraten. Aber 50:50 bedeutet auch, dass man es schaffen kann. So denkt man in einer Extremsituation, natürlich nicht zu Hause auf dem Sofa.


Wenn eine Geschichte wie die am Mount St. Elias so gut ausgegangen ist, wird man da nicht noch risikofreudiger?

Nein, wir hatten einfach riesiges Glück, dass dabei niemand gestorben ist und der Film überhaupt gelang. Wir alle hatten das Schicksal auf diesem Berg herausgefordert, besonders die Skibergsteiger. Wer den Film kennt, weiß wovon ich spreche. Als wir die Doku für den ORF „Erster am Everest“ auf der Nordseite des Mount Everest drehten, erreichte uns kurz vor der Abreise im Base Camp die Nachricht, dass Resl (Peter Ressmann, Anm.), der ursprünglich mitkommen sollte, zu Hause tödlich abgestürzt sei. Wir selbst sind nur einige Tage zuvor dem Tod knapp entkommen. Wären wir im Anstieg auf den North Col nur ein paar Sekunden früher aufgebrochen, hätte uns auf 6800 Metern der Abbruch eines 300 Meter hohen Eisturms voll erwischt. Kühlschrankgroße Eisblöcke rasten ins Tal, uns traf nur die Staubwolke. Ein ungarischer Bergsteiger hatte nicht so viel Glück. Er starb mehr oder weniger vor unseren Augen. Eine Bergung war unmöglich.


Scheint so, als hätten Sie ziemlich viel Glück gehabt. Mit Naturgefahren rechnet man, aber mit unglückseligen Verkettungen?

Gefahrenquellen versucht man zu minimieren, aber es funktioniert nie ganz. Als wir beim ersten Big Wave Event in Tasmanien filmen wollten, kamen die großen Wellen einfach nicht daher. Also meinte der Pilot, wir könnten in der Zwischenzeit eine witzige Szenerie vor einer Fischerhütte filmen. Und als ich mit der Kamera aus dem Flugzeug herausfilme, bricht unter mir die Stiege weg. Ich falle ins Freie und hänge nur mehr an meinem Gürtel, mit dem ich mich aus Gewohnheit immer am Sitz anschnalle. In so einer Situation entwickelst du unglaubliche Kraft. Mit der einen Hand zurück ins Flugzeug ziehen, mit der anderen die schwere Kamera festhalten – ich weiß bis heute nicht, wie das ging. Danach war ich wie weggetreten. Die Aufnahmen hab ich mir auch nie angesehen. Mittlerweile denke ich, für mich muss es wohl einen anderen Plan geben.


Anderer Plan: Das heißt wohl auch weg vom Extrem hin zum Naturfilm oder zum sportlich Biografischen?

Früher war es weniger die Motivation, Filme um ihrer selbst willen zu drehen. Das persönliche Erlebnis stand im Vordergrund. Mit der Kamera in der Hand mitten im Abenteuer! Heute ist es anders, es geht mir hauptsächlich um das Geschichtenerzählen. Ich suche sie nicht, sie finden mich. Derzeit arbeite ich an zwei Themen: der Magie zwischen Mensch und Tier und der Kraft des Überlebenswillens. Die Natur spielt als Kulisse und Herausforderung in allen Filmen eine Rolle. Mein Partner Otmar Penker und ich hatten die Idee zu „Wie Brüder im Wind“ und haben das Buch dazu geschrieben. Die Dreharbeiten dauerten fünf Jahre. Es sollte ein Film wie „Der Bär“ mit einem Steinadler in der Hauptrolle werden. Leider konnte ich mich nicht durchsetzen, und am Ende wurde ein marktorientierter Film produziert. Die Kontrolle über ein Werk darf man einfach nicht hergeben. Man muss mit seiner Kunst siegen oder untergehen. Nur das zählt.


Da lassen Sie sich auch nicht beirren?

Nein, ich bin erst am Anfang, autobiografische Natur- oder Sportfilme zu produzieren. In Europa lässt sich schwer mit Hollywood konkurrieren, die sind dort einfach weiter. Hinzu kommt, dass wir uns in Kärnten in einer isolierten Position befinden. Trotzdem hat sich in den vergangenen Jahren eine junge Kinoszene in Klagenfurt gebildet, mit deren Talenten ich nun die Chance hab, internationale Filme aus Kärnten heraus zu produzieren. Egal ob Musik, Schnitt oder Kamera, wir können in Nischenthemen großes Kino bieten. Eine Situation, die mir nun recht darin gibt, dass der Standort nicht entscheidend für die Kunst ist, nur die Leidenschaft.


Das war wohl nicht immer so. Um zu filmen, musste man weggehen, studieren . . .

Nicht unbedingt, als kompletter Autodidakt ist es nur ein viel weiterer Weg. Ich musste mir vieles selbst beibringen: Drehbuchschreiben, mit der Kamera zu arbeiten, zu schneiden. Und es brauchte damals auch Zeit, bis ein breites Interesse für neue Sportarten und deren Philosophie entstand. Mitte der 1990er-Jahre haben meine Frau Ruth und ich die ersten Freeskiing-Events in Chamonix veranstaltet und gefilmt. Als wir das Material dem ORF zeigten, meinten die nur: Das sind ein paar Verrückte, die mit den Skiern über Felsen hinunterspringen. Sie strahlten dann drei Minuten ganz ohne Kommentar aus. Aber der Sport war revolutionär, wie surfen am Berg. Es hat noch ein paar Jahre gebraucht, bis die ersten breiten Skier in Österreich auf den Markt kamen und Freeski zu boomen begann. Mein Erstling war allerdings ein Surffilm in der Straße von Gibraltar. Im Flieger hab ich mir die Gebrauchsanweisung der Fernsehkamera durchgelesen. Es hat funktioniert, der Film wurde so gesendet.


Wird's auch einen Salmina-Wörthersee-Film geben? Das hat dort ja Tradition.

Eine Wörthersee-Komödie oder -Serie: Nein. Wenn ich die Wahl habe, und die hab ich seit 20 Jahren mit allen Höhen und Tiefen, mache ich nur, wovon ich überzeugt bin und was ich kann. Einen Dokumentarfilm: Ja, wir drehen aktuell daran. Es wird ein ruhiger Film über die Schönheit des Sees, die Kraft des Wassers. Es ist vor allem das Licht am Wörthersee, das mich fasziniert, wobei er gemessen mit anderen Top-Spots dieser Welt nichts Spektakuläres an sich hat. Er bietet jedoch ein Kaleidoskop an Farben und Stimmungen, die einen zur Ruhe kommen lassen und einem gleichzeitig so viel Energie geben. Er strahlt so eine Kraft aus und hat viel Sanftmut.

Herr Salmina, darf man Sie auch fragen, . . .

1 . . . woher dieser starke Wille kommt, in extremen Situationen durchzubeißen?
Übersteigertes Selbstbewusstsein, der Glaube, das Unmögliche möglich machen zu können. Hat alles seine Berechtigung, wenn es gut geht. Wenn aber nicht, bleibt man übrig als Idiot, oder ist tot.

2 . . . ob es auch eine Herausforderung gab, die Sie gern ausgelassen haben?
Ich hab damals das Angebot
abgelehnt, mit Hermann Maier zum Südpol zu marschieren. So flach durch die Eiswüste und nur gehen, das ist nicht meines. Nur was in dir steckt, kannst du gut machen.

3 . . . welche Filmidee schon länger in der Schublade Ihrer Produktionsfirma schlummert?
Bei der Filmidee geht es um den Ausnahmezustand des Menschen, wenn er gefordert ist, zu überleben, um keinen Preis aufzugeben. Um das Potenzial seiner vorhandenen Energie, seine gesteigerten Wahrnehmungen und die Kreativität, Lösungen zu finden.

Steckbrief

1965 geboren, gehörte Salmina zu den ersten internationalen Windsurf-profis aus Österreich. Später Wechsel hinter die Kamera. Salmina eignete sich als Autodidakt alles an, was man für den Film braucht (von Kamera bis zum Schnitt). Er arbeitet heute als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor. Sein Unternehmen Planet Watch agiert von Klagenfurt aus. Enge Zusammenarbeit und Freundschaft verbindet ihn unter anderem mit Axel Naglich und Felix Baumgartner.


Im Kino, im TV
Die Sport-Doku „Streif – One Hell of a Ride“ war sehr erfolgreich.
„Mount St. Elias“ zeigt den Aufstieg und die längste Skiabfahrt der Welt.
In den vergangenen Jahren entstanden zahlreiche TV-Dokus vom Matterhorn bis zum Mount Everest, Filme über Freeskiing, Freeclimbing und Basejumping.


Demnächst
Am 27. 5. und 3. 6. ist Salminas Wörthersee-Film auf Servus TV (20.15 Uhr) zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2016)

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