Neu Marx als urbane 30.000-Quadratmeter-Leinwand

Neben der Rinderhalle in Neu Marx blickt der riesige „Beobachter“ aus der Stadt.
Neben der Rinderhalle in Neu Marx blickt der riesige „Beobachter“ aus der Stadt.APA/DIETER BRASCH
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Stadtkunst. Künstler Golif verteilt in Wien seine Kunstfiguren. In Neu Marx hat er nun einen riesigen „Beobachter“ geschaffen, den man nur aus der Luft erkennt.

Leicht zerzauste Haare, eine Brille auf der langen Nase, der Mund meist nicht erkennbar: Es ist ein Gesicht, das man in Varianten – immer ähnlich, nie gleich – in Wien schon öfter entdeckt haben kann. Auf einem Garagentor im Sechsten. Auf der Fassade des Kulturvereins Werk in den Stadtbahnbögen. Auf einer Skulptur von Hans Kupelwieser auf der Summerstage. In Galerien oder, am offensichtlichsten, auf einer Wand des ehemaligen Schulbuchverlags Jugend und Volk in der Anschützgasse an der Linken Wienzeile. 10.000 Menschen fuhren hier pro Tag vorbei.

Die neueste Inkarnation von Golif, so der Name der Figur, können vergleichsweise wenige Menschen erkennen: Mitarbeiter von T-Mobile und den Stadtwerken in ihren Hochhäusern – und jener Kranfahrer, der gerade an der neuen ÖAMTC-Zentrale in Erdberg baut. Denn der neue Golif ist groß. So groß, dass man aus der Nähe nur schwarze und weiße Flächen erkennt und womöglich nicht einmal bemerkt, dass sie mehr sind als nur Flächen. Erst mit Abstand sieht man mehr.

Sechs Fußballfelder misst das riesige Gesicht, das Golif (auch der Künstler nennt sich so) auf den Asphalt gemalt hat, auf dem das neue ORF-Zentrum hätte entstehen können, das nun bekanntlich doch auf dem Küniglberg bleibt. Als „perfekte urbane Leinwand“ entdeckt hat Golif das Areal vorigen Herbst. Da sei er morgens immer von der U-Bahn Richtung Rinderhalle marschiert, wo die Angewandte, an der er bis Juni studierte, einen Standort unterhielt. Perfekt auch deshalb, weil aufgrund der Betonplatten „der notwendige Raster schon gegeben war.“

Sechs Wochen Schwitzen

Auch das Sujet sei ihm wenig später klar gewesen. Ein „Beobachter“ sollte es sein, „der unter der Stadt schlummert, er spricht nicht, schaut nur zu“. Erleichtert hat das Projekt, dass sich als Eigentümer der Liegenschaft die Wiener Standortentwicklung entpuppte, jene Tochter der Wien Holding, die Golif schon von der Anschützgasse kannte.

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Eineinhalb Monate hat der Tiroler Künstler, selbst einigermaßen anonym hinter Sonnenbrille, Kappe und Kapuze versteckt, an seinem „Beobachter“ gearbeitet. In der ersten Woche habe er mit einer Farbrolle Linien vorgezogen, allein dabei war er 120 Kilometer unterwegs. Danach, so schildert er, mit einem Airlessgerät („wie ein Kärcher, aus dem Farbe kommt“) fünf Tonnen eigens gemischter umweltfreundlicher Farbe verteilt. Eine ziemliche physische Anstrengung, wie er gesteht. „So viel kann man gar nicht trinken, wie man da schwitzt.“ Erst vor Kurzem hat er sein Werk erstmals selbst dank Hubschrauber aus der Luft gesehen. „Erfüllend“ sei das gewesen, und das Gesicht besser als auf seiner Skizze, „der Untergrund gibt ihm Falten und Struktur“.

Seine Passion, erzählt der Tiroler, habe mit Sketchen in Schulheften begonnen, später sei er auf eine Schule für Schildermaler und Vergolder gewechselt. Weil Jobs für Vergolder rar sind, arbeitete er als klassischer Anstreicher auf Baustellen, bis er sich an der Angewandten bewarb. Noch während des Studiums entstand vor drei Jahren Golif als Kunstfigur. Der Name sei dabei eher durch Zufall aus einer Aneinanderreihung von Buchstaben entstanden, die ihm wegen ihrer Typografie gefiel. Ein Zugang, den man von Graffitti kenne, sagt Golif, der dem Genre auch persönlich zugetan ist.

Sein Galerist, Peter Doujak, der auch den Kunstsupermarkt organisiert, erinnert sich daran, wie Golif zu ihm kam, um sich zu erkundigen, ob er ihn vertreten würde. „Ich habe ihn gefragt, ob er großformatig arbeitet.“ Er habe dabei ja eher an ein, zwei Meter gedacht, „nicht an 30.000 Quadratmeter“.

ZUR PERSON

Golif (geb. 1984) arbeitete als Vergolder, Schildermaler und Anstreicher. Im Juni schloss er sein Druckgrafikstudium an der Angewandten ab. Sein „Beobachter“ in Neu Marx ist eines der größten Bilder der Welt, aber kein Rekordversuch. Es ist ein Werk, das nur mit technischen Mitteln (wie GPS) möglich wurde bzw. zu sehen ist: Während der Art Week im November per Kran. Ausstellung: KMG Art Gallery von 1. bis 15. September, Mariahilfer Str. 103. Video: www.golif.net

>> Golif: "Stop-Motion" im "Presse"-Shop"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2016)

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