Ein Stück vom Europakuchen

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Symbolbild.(c) AFP
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Das Künstlerkollektiv Rimini Protokoll bringt Europa in private Wohnzimmer. Zuletzt in Alpbach – Armdrücken mit Franz Fischler inklusive.

Wer bekommt das größte Stück vom europäischen Kuchen? Das ist an diesem Nachmittag alles andere als eine rein metaphorische Frage. Und so steht ein Kuchenteig auf dem Tisch, als die insgesamt 15 Besucher im Wohnzimmer des jungen Alpbacher Autors Robert Prosser eintreffen – darunter Forum-Alpbach-Präsident Franz Fischler, die Journalistin Hanna Molden und Uni-Rektor Gerald Bast – und auf die Europakarte, die als Tischtuch dient, jene Orte einzeichnen, die ihnen etwas bedeuten. Und über die manche später noch erzählen sollten.

Prosser (32) hat seine Türen für den „Hausbesuch Europa“ geöffnet, einer aktuellen Inszenierung des schweizerisch-deutschen Künstlerkollektivs Rimini Protokoll. Sie wollen die abstrakte Idee Europa in private Haushalte bringen. Das ist in knapp anderthalb Jahren bereits mehrere Hundert Mal geschehen: In Berlin, Bergen und Brüssel, im polnischen Poznań und in Nyon in der Schweiz hat „Hausbesuch Europa“ Station gemacht. In Amsterdam und Ancona und jetzt eben einige Tage lang in Alpbach, wo gerade das alljährliche Europäische Forum stattfindet.

Europa scheine oft losgelöst zu sein von den Bürgern, ein unsichtbarer Ort, sagte Stefan Kaegi vom Rimini Protokoll einmal. Daher die Idee, in eine Privatwohnung zu gehen. Wo sich persönliche Geschichten und die Mechanismen des politischen Europa vermischen. Kaegi ist derzeit noch nicht vor Ort, es sind seine Gesandten, Hans Leser und Anton Rose, die – Letzterer als „Zeremonienmeister“ – das Stück in Gang bringen. Wobei Stück nicht ganz das richtige Wort ist. Spiel trifft es besser.

Am Anfang ist dieser Nachmittag aber eher ein Fragenmarathon. Auf Knopfdruck („Nicht auf Rot drücken“) spuckt eine kleine kabelgefüllte Maschine Kassenzettel mit Fragen aus: Wer war früher einmal Klassensprecher (sieben von 15). Wer hat in den vergangenen zehn Jahren einen Konflikt mit Gewalt gelöst (zwei), wer hat seine Herkunft verleugnet (zwei), und wer hat eine Arbeit, von der er leben kann (alle außer Fischler, der ist in Pension). Der frühere EU-Kommissar darf dafür die Europarede von Winston Churchill vorlesen („Er fordert übrigens eine Art Vereinigter Staaten von Europa, nicht die Vereinigten Staaten von Europa“).

Und dann beginnt das eigentliche Spiel. Der Teil, bei dem es um den Kuchen geht. Zweierteams, die Anton Rose nach der Übereinstimmung bei den vorigen Fragen eingeteilt hat, müssen zunächst Fragen zu Europa beantworten. Wie viel zahlt jeder Europäer ein (234 Euro pro Jahr), was bedeutet Europa (Abendland), und was hält die Mehrheit in dem Wohnzimmer für die größte Errungenschaft EU (Frieden)?

Danach geht es viel um Selbsteinschätzung und Solidarität. Glaubt man, dass man mehr oder weniger Geld dabei hat als der Durchschnitt der Menschen in diesem Wohnzimmer? Sollen jenen, die in einer früheren Frage für politische Gewalt plädiert haben, Punkte abgezogen werden? Geht man Allianzen mit anderen Teams ein, auf die Gefahr hin, dass das einen irgendwann Punkte (also: Kuchen) kostet?

Fischler und die jungen Burschen

Irgendwann gegen Ende bekommt das schlechteste Team – Franz Fischler und Hanna Molden – die Chance, sich mit Körpereinsatz aus der Ramschzone zu retten: per Armdrücken, das Fischler gegen den Gastgeber Prosser verliert („Die jungen Burschen . . .“). Ein anderes Team kann sich mit der Idee, die Grenze zwischen Irland und Nordirland zu kippen, noch Punkte holen: Der Vorschlag wird von der Mehrheit der Anwesenden angenommen und sogleich auf das Tischtuch gezeichnet.

Ein Stück von dem Schokoladekuchen, der kurz vor Schluss der Inszenierung aus dem Backrohr geholt wird, bekommt letztlich übrigens jeder – auch, wenn manche der Portionen bestenfalls eine symbolische Größe haben. „Das ist längst nicht immer so“, sagt Spielleiter Anton Rose. Europa funktioniert also. Jedenfalls in Alpbach.

Auf einen Blick

Rimini Protokoll ist ein Theaterkollektiv, das aus Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel besteht. Eines ihrer Markenzeichen ist die Arbeit mit Laien. In „Weltklimakonferenz“ simulierte das Publikum die Konferenz. Das Kollektiv inszenierte auch „Mein Kampf“.

„Hausbesuch Europa“ hat seit Mai 2015 in Wohnzimmern von Berlin bis Brüssel stattgefunden, gestern erstmals in Alpbach. Dafür hat Rimini Protokoll Anton Rose als Spielleiter geschickt. Ergebnisse werden auf homevisiteurope.org veröffentlicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2016)

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