Bruno Dumont: „Alles ist komisch und tragisch“

Director BruDumont: „Ich habe nichts gegen die Bourgeoisie, in gewisser Hinsicht streben wir alle danach, bourgeois zu sein. Aber in diesem Streben liegt etwas zutiefst Lächerliches.“no Dumont poses during a photocall for the film 'Ma loute' in competition at the 69th Cannes Film Festival in Cannes
Director BruDumont: „Ich habe nichts gegen die Bourgeoisie, in gewisser Hinsicht streben wir alle danach, bourgeois zu sein. Aber in diesem Streben liegt etwas zutiefst Lächerliches.“no Dumont poses during a photocall for the film 'Ma loute' in competition at the 69th Cannes Film Festival in CannesREUTERS
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Mit seiner herrlichen Groteske „Die feine Gesellschaft“ arbeitet Regisseur Bruno Dumont neuerdings mit Humor – und Europas Filmstars. Dass er damit einen Teil seines Publikums dennoch verschrecken könnte, nimmt er in Kauf, das sei wie beim Kochen: Nicht jeder möge es scharf.

Sie haben lange Zeit fast nur mit Laiendarstellern gearbeitet, in Ihrem neuen Film spielen nun gleich drei Stars des europäischen Kinos mit: Juliette Binoche, Fabrice Luchini und Valeria Bruni Tedeschi. Mussten Sie da etwas an Ihrer Arbeitsweise ändern?

Bruno Dumont: Jede Schauspielleistung liegt zu einem wesentlichen Teil in den Händen des Regisseurs. Die Persönlichkeit der Darsteller ist das Rohmaterial, seine Vision die formende Kraft. Ob es sich dabei um Laien oder Profis handelt, spielt gar keine so große Rolle. Viel wichtiger sind die Figuren und das Thema des jeweiligen Films. Bei der Besetzung frage ich mich nicht, wie viel Erfahrung jemand hat, sondern wer am besten zu den Rollen passen würde. Juliette Binoche spielte schon in meinem letzten Film „Camille Claudel 1915“ mit – schlicht und einfach, weil sie meiner Vorstellung der Hauptfigur am nächsten kam. Manche unterstellen mir ja, ich würde Schauspieler nicht mögen, aber das ist eine völlig absurde Behauptung.

Hatten Sie bei theatererprobten Größen wie Fabrice Luchini nie Durchsetzungsprobleme?

Nein. Er wusste stets genau, was ich will – das macht einen Profi aus. Im Film wirkt es, als würde Fabrice nur herumblödeln, aber er ist mit vollem Ernst bei der Sache. Wie er die komplexe Verhaltensmaschinerie des menschlichen Gemüts in Szene setzt, nimmt fast schon akrobatische Züge an.

Der Film spielt im Jahr 1910. Gibt es einen bestimmten Grund für diese Datierung?

Die Zeit interessiert mich nur als Metapher – schließlich richtet sich das Kino immer an die Gegenwart. Aber die Eigenheiten der Periode helfen, den nach wie vor aktuellen Kontrast zwischen Arm und Reich hervorzuheben. Heute kleiden sich die Leute, als wären alle gleich. Früher sah man jedem sofort an, welcher Klasse er angehörte. Kannibalismus und Kretinismus, die Zuspitzungen des Films, ziehen sich hingegen durch alle Gesellschaftsschichten und betonen so ihre Ähnlichkeit.

Stört es Sie, wenn Kritiker „Die feine Gesellschaft“ als Komödie bezeichnen?

Ich glaube, dass Genres etwas sehr Konstruiertes sind. Mein Kino versucht, solche Begrenzungen aufzubrechen. Das Leben ist weder komisch noch tragisch, sondern immer beides zugleich. Ich möchte dieser Widersprüchlichkeit gerecht werden. Das Porträt der bürgerlichen Familie im Film spiegelt das wider: Ich habe nichts gegen die Bourgeoisie, in gewisser Hinsicht streben wir alle danach, bourgeois zu sein. Aber in diesem Streben liegt etwas zutiefst Lächerliches. Andererseits ist auch die Primitivität der armen Fischer ein Teil von uns. Der primitive Kannibale und der idiotische Bourgeois: Mein Menschenbild liegt irgendwo dazwischen.

Trotzdem ist das Ihr vielleicht lustigster Film bislang. Ihre älteren Arbeiten sind nicht gerade für ihren Humor bekannt?

In erster Linie habe ich mich der Komödie zugewandt, weil mich die Anfänge der Filmkunst interessieren. Max Linder, Buster Keaton und Charlie Chaplin sind enorm faszinierende Künstler. Aber ich finde nicht, dass „Die feine Gesellschaft“ einen radikalen Kurswechsel in meinem Schaffen darstellt. Das Komische ist bloß die Kehrseite meines bisherigen Blicks auf die Welt. Es handelt sich um dieselbe Art von Unvermögen, den Dingen auf den Grund zu kommen. Gerade in der Übertreibung öffnen sich ungeahnte künstlerische Möglichkeiten.

Sie birgt die Gefahr, in Extreme abzudriften.

Das finde ich nicht schlimm. Viel größer ist das Risiko, die Zuschauer zu verfehlen: Was, wenn sie den Humor nicht verstehen, ihm nicht folgen können? Davor ist man als Filmemacher nie gefeit, außer man sichert sich ab und setzt auf bewährte Modelle. Doch konventionelle Komödien mit Pointenzwang reizen mich nicht. Wenn ich deshalb einen Teil des Publikums verliere, darf ich nicht gleich alles in Zweifel ziehen. Beim Kochen ist es nicht anders: Würzt man ein Gericht schärfer als üblich, wird es manchen besser schmecken, anderen nicht. Man kann nicht alle glücklich machen.

„Die feine Gesellschaft“ spielt im Umfeld des Flusses Slack an der französischen Opalküste. Sie legen großen Wert auf die konkrete Verortung Ihrer Erzählungen.

Meine Filme sind nicht national, sondern lokal – und genau aus diesem Grund universell. Ich habe nichts gegen europäisches Kino, aber es sollte seine regionalen Eigenheiten nicht verleugnen. Sonst hat es am Ende überhaupt keine Identität mehr.

Steckbrief

Bruno Dumont wurde 1958 in Frankreich geboren. Vor seiner Karriere in der Filmbranche hat er Philosophie unterrichtet und Werbefilme gedreht.

Für seine Filme L'Humanité (1999) und Flandern (2006) erhielt er beim Filmfestival in Cannes den großen Preis der Jury. Weitere Filme: Camille Claudel 1915, Ma Loute, Hadewijch und Hors Satan. Derzeit ist sein Film „Die feine Gesellschaft“ im Kino zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2017)

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