„ Eine etwas dekadente Domäne“

„Ich bin überzeugt, dass Kunst zur sozialen Bildung beitragen kann“, sagt Regisseur Ruben Östlund, der in Cannes mit der Goldenen Palme prämiert wurde.
„Ich bin überzeugt, dass Kunst zur sozialen Bildung beitragen kann“, sagt Regisseur Ruben Östlund, der in Cannes mit der Goldenen Palme prämiert wurde. (c) APA/AFP/LIONEL BONAVENTURE (LIONEL BONAVENTURE)
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Der Cannes-Sieger „The Square“ erzählt auf witzig-fiese Weise aus dem Leben eines Kunstkurators, der zwischen inneren Impulsen und sozialen Erwartungen eingeklemmt ist. Regisseur Ruben Östlund erzählt, warum ihn zeitgenössische Kunst oft kalt lässt.

Im Mai hat Ruben Östlund in Cannes die Goldene Palme bekommen: für „The Square“, den er in der Museumswelt angesiedelt hat. Der Schwede über mangelnde Aufmerksamkeit und Kunst als Erziehungsinstrument.

Ein Museumskurator als Filmheld: Keine Selbstverständlichkeit. Wie kamen Sie auf die Idee?

Ruben Östlund: Am Kuratorendasein fasziniert mich vor allem die soziale Wendigkeit. Man muss Geld lukrieren, kontrovers sein, aber nicht zu sehr, und bei der Arbeit für eine staatliche Institution auch einen öffentlichen Auftrag erfüllen. So verstrickt man sich unweigerlich in ein komplexes Netzwerk aus widersprüchlichen Interessen.

Ihr Porträt der Kunstwelt ist sehr zwiespältig. Spiegelt das Ihre Sicht der Dinge wider?

Das moderne Museumswesen, mit dem ich mich im Vorfeld des Films viel beschäftigt habe, wirkt auf mich wie eine Blase: eine exklusive, etwas dekadente Domäne mit eigener Hierarchie, die in vielerlei Hinsicht von der Außenwelt abgeschnitten ist. Das lässt sich durchaus mit bestimmten Bereichen der Filmwelt vergleichen: Schließlich fahren viele Menschen nur nach Cannes, um sich dort fernab von Familie und Verantwortung in großem Stil zu betrinken.

Auch den Fachjargon der Branche nehmen Sie aufs Korn. An einer Stelle scheitert Chefkurator Christian daran, einen Katalogtext seiner eigenen Institution zu dechiffrieren.

Was ich angreifen wollte, war die Theorieversessenheit der modernen Kunstwelt. Bemühungen, künstlerische Arbeit theoretisch zu legitimieren, können auch zum Verlust von Realitätsbezug führen. Oft merkt man schon, dass der Kaiser keine Kleider hat, wenn man nur an der Oberfläche des Diskurses kratzt.

„The Square“ stellt zudem die Frage, ob sich Kunst als moralisches Erziehungsinstrument eignet. Wie sehen Sie das?

Ich bin überzeugt, dass Kunst zur sozialen Bildung beitragen kann. Die Ausstellung, die im Film vorkommt, habe ich selbst mit einem Freund in einem schwedischen Museum realisiert. Es war unsere erklärte Absicht, Besucher an die Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen zu erinnern. Für uns war das titelgebende Quadrat als abgegrenztes Areal im öffentlichen Raum vergleichbar mit einem Zebrastreifen, bei dem der Vertrag herrscht: Autos passen auf Fußgänger auf.

Hat die Reaktion des Museumspublikums Ihr Drehbuch beeinflusst?

Nicht besonders – im echten Leben sind Menschen einfach zu höflich, das gibt dramaturgisch nicht viel her. Aber das Quadrat existiert noch immer und wird genutzt. Kürzlich hat jemand eine Blume hineingelegt, mit der Notiz: „Danke an den, der unserem Sohn geholfen hat.“ Ich fand das berührend.

Das Konzept greift!

Das Problem ist nicht die Wirksamkeit von Kunst, sondern der Mangel an Aufmerksamkeit für spannende Arbeiten – gerade in der sensationshungrigen Medienlandschaft der Gegenwart.

Es ist schwieriger geworden, Debatten anzustoßen.

Als Duchamp sein Pissoir ins Museum stellte, war das eine Provokation, die einiges infrage stellte. Heute würde sich keiner mehr etwas dabei denken. Darum lassen mich viele zeitgenössische Kunstwerke kalt.

Der Neonschriftzug „You Are Nothing“ dient bei Ihnen als parodistischer Stellvertreter nichtssagender Installationen. Ein reales Exponat – haben Sie den Urheber um Verwendungserlaubnis gefragt?

Ja, und er hatte nichts dagegen. Die Kunstwelt steht dem Film grundsätzlich recht positiv gegenüber: Das Centre Pompidou wird den Film zum Frankreich-Start zeigen. Ein bisschen Selbstkritik tut gut.

Im Zuge der Jurybegründung sagte Pedro Almodóvar, „The Square“ sei ein Film über die „Diktatur der Political Correctness“. Sind Sie damit einverstanden?

Nein. Ich habe kein Problem mit Political Correctness – sie ist Teil der begrüßenswerten gesellschaftlichen Bestrebung, gegenseitigen Respekt als Grundwert zu etablieren. Allerdings sehe ich es nicht ein, wenn sie im Namen eines verfehlten Konsensgedankens missbraucht wird, um provokanter Kunst den Mund zu verbieten – oder wenn sie zu unreflektierten Kurzschlussreaktionen führt. Die Emotionalisierung des öffentlichen Diskurses ist fraglos eine ihrer Schattenseiten.

Steckbrief

1974
wird Ruben Östlund in Schweden geboren.

2014
wird sein Film „Höhere Gewalt“ („Turist“), bei dem er für Regie und Drehbuch verantwortlich ist, für zahlreiche Preise nominiert.

2017
wird seine Regiearbeit „The Square“ bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt, Östlund bekommt die Goldene Palme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2017)

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