Walter Kohl: Familie als "Teil des Bühnenbilds"

(c) EPA (Heinz Wieseler)
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Walter Kohl, der Sohn des deutschen Altbundeskanzlers Helmut Kohl, zieht in seinem Buch Bilanz über das Leben mit seinem Vater, dessen eigentliche Heimat die Politik war. Harte Worte, die versöhnlich enden.

Er bleibt mein Vater, aber er ist weit weg... Heute habe ich losgelassen, und das fühlt sich gut an.“ Walter Kohl, 1963 geborener Sohn des deutschen Altbundeskanzlers Helmut Kohl, zieht Bilanz: Das soeben erschienene Buch „Leben oder gelebt werden“ ist zu einer Abrechnung mit dem Vater geworden, dessen eigentliche Heimat die Politik war: „Seine wahre Familie heißt CDU, nicht Kohl... Er fühlte sich in einem archaischen Sinne als der Clanchef eines Stammes, der sich CDU nennt.“ Die eigene Familie indes lief auf der politischen Bühne mit, „als Teil des Bühnenbildes, aber ohne tragende Rolle“.

Das Leben als „Sohn vom Kohl“ war schon ab der Volksschulzeit schwierig. Gehänselt, für die Politik des Vaters angefeindet („Mein Vater sagt, dass dein Alter eine ganz miese Sau ist. Voll das Arschloch“), litt Walter Kohl umgekehrt aber auch unter der Hochachtung, der manchmal ans Kultische grenzenden Verehrung für seinen Vater: „Alle intensiven Gefühle, die wildfremde Menschen einem charismatischen Menschen entgegenbringen, haben Folgen für sein Kind.“

Am liebsten hätte dieses Kind einen ganz „normalen“ Vater mit greifbarem Beruf gehabt, wie den Fernfahrer von nebenan. „Jeder Junge wünscht sich einen Vater, mit dem er die Welt erkunden kann, der mit ihm zelten geht oder Fußball spielen. Jeder wünscht sich einen Vater, der auch für ihn da ist. Ich habe es nicht geschafft, meinen Vater zu erreichen.“ Die gemeinsamen Unternehmungen von Helmut Kohl mit seinen beiden Söhnen – Peter wurde 1965 geboren – beschränken sich auf den sonntäglichen Kirchenbesuch. Während das Bad in der Menge nach der Messe Kohl „eine Schnellaufladung seines politischen Egos“ brachte, war es für die Söhne das Gegenteil: eine Prüfung. „Diese Leute raubten ein weiteres Stück von jener äußerst knapp bemessenen Zeit, die Vater uns Kindern widmete.“


Für das Familienleben und die Erziehung ist Ehefrau Hannelore zuständig, die Walter Kohl als äußerst liebe- und verständnisvoll beschreibt. Aber auch ihr gelingt es nicht, das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch, die Kinder sollten ganz normal aufwachsen, und der Realität aufzulösen. „Wir waren einem überhaupt nicht normalen äußeren Druck ausgesetzt: medialer Neugier, verbalen und auch körperlichen Übergriffen, politischen Intrigen, zeitweise sogar akuter Gefahr für Leib und Leben.“ Das Haus wird angesichts der Bedrohung durch RAF-Terror zur „Wohnfestung“, zuvor war es zur Wahlkampfzentrale umfunktioniert worden. Inmitten der hektischen Betriebsamkeit wurde Walter schnell klar: „Hier ist keiner für dich da.“

Vom Suizid seiner Mutter erfuhr der „Sohn vom Kohl“ im Juli 2001 telefonisch. Die Nachricht wurde aber nicht vom Vater überbracht, sondern von dessen Büroleiterin. Der Verlust stürzt Walter in eine tiefe Krise, er denkt an Selbstmord und trifft bereits Vorbereitungen. Nur der Gedanke an den eigenen Sohn hält ihn ab.

Ein weiterer Streit mit dem Vater läuft nach dem üblichen Schema ab: „Erst Verniedlichung, dann Aussitzen und schließlich, wenn nichts anderes mehr half, rhetorische Härte und Abbügeln aller für ihn unangenehmen Argumente.“ Daraufhin kündigt Walter seinem Vater die Beziehung auf. Ein befreiendes Gefühl, „wie beim Aufräumen eines alten, zugestaubten Dachbodens“.

Heute, sagt Walter Kohl, werde er vom Vater akzeptiert. In der Berliner Buchhandlung steht das Buch in der Abteilung „Religion“. Weil es laut dem Buchhändler um „ethische Themen, um Versöhnung“ geht. Aber diese, so schreibt der Autor, ist „nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich von Bedeutung, sondern mindestens ebenso sehr im Innerpsychischen, nämlich für den einzelnen Menschen, der mit sich selbst im Streit liegt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2011)

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