Lustenau: Wo Buchstaben leben und Druckmaschinen schlafen

(c) Walking Chair
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Bildung lässt sich auch so gestalten: In Lustenau hat das Designstudio Walking Chair einen Ort hingekleckst, an dem sich Kinder und Worte begegnen. Mit eigener Typografie.

Auch Lustenau ist so ein Pool. Fischen erlaubt. Nicht mit dem Netz zwar, dafür mit dichtem Netzwerk zieht Bürgermeister Kurt Fischer so einiges an Land. Eine Expertise hier, ein paar Kompetenzen dort. Vom Mundartdichter fließt da etwas ein. Oder vom lokalen Druckexperten. Vielleicht auch einmal vom Lustenauer Senf und oder vom Know-how, das der Cluster „Verpackungsland Vorarlberg“ rund um die Marktgemeinde vereint. Da quillt Wissen aus der eigenen Community in einen Raum, der kein Klassenzimmer ist und trotzdem Schule machen könnte. Dieser Ort gehört denen, die durstig nach all dem sind. Doch vor allem gehört er den Worten. Deshalb heißt er auch so: „W*ort“.  

Hier war Gestaltung seit jeher Thema, hier saß eine Stickerei. Heute prägt eine andere Technik den Raum: das Drucken. Vor allem in Gestalt der Korrex Hannover, der alten Druckmaschine. „Mit ihr bin ich quasi aufgewachsen“, erzählt Fischer. Genauso wie mit den Druck­klischees, die der Familienbetrieb herstellte. Jetzt steht die Druckmaschine in ihrer „Garage“, eingehaust im „Affenfelsen“, wie Designer Fidel Peugeot die Konstruktion nennt. Schließlich lesen, klettern und sitzen die Kinder darauf herum.

Kurt Fischer und Fidel Peugeot sind sich in Bregenz über den Weg gelaufen. „Wir haben uns sofort verstanden“, erzählt Fischer. Der eine hat enthusiastisch erzählt, was er so vorhat in Lustenau, in Sachen Bildung, Community und Gestaltung. Der andere hat enthusiasmiert zugehört. Da sollte etwas entstehen, was es in Europa so ähnlich nur in London gab und irgendwie in San Francisco seinen Anfang nahm hat. Und das Designstudio Walking Chair sollte das ganze Projekt mitgestalten. Von der Corporate Identity bis hin zum Interior Design.

Es war einmal die Schule.
Bildung sei die Aufgabe des ganzen „Dorfes“, meint Fischer. Nicht nur der konventionellen Institutionen à la Schule. Und das „Dorf“, das plötzlich Verantwortung übernimmt, kann eine Vorarlberger Marktgemeinde sein oder auch eine „Neighborhood“ in San Francisco. Dort hat der Autor Dave Egger eine Werkstatt installiert, in der Kinder Wörter, Sätze, Texte bauen. Eggers Roman „Der Cercle“ zirkuliert gerade durch die Rezensionsspalten, seine Bildungsvision kursiert unter dem Titel „Once upon a school“ durchs Internet. „826 Valencia“  ist die Konsequenz daraus, ein Projekt, bei dem die Nachbarschaftscommunity das, was sie weiß und kann, mit den Jugendlichen teilt. Und dabei auch neue Tore zur Fantasie öffnet, wie etwa durch den angeschlossenen Pirate Supply Store, wo Piraten bekommen, was Piraten eben so brauchen. In London engagierte sich der Autor Nick Hornby als Fantasiebeflügler – im „Ministry of Stories“. Im Stadtteil Hackney übernimmt die Creative Class Verantwortung und die Leitung zahlreicher Workshops für Kinder.

Auch im „W*ort“ in Lustenau sollen Kinder den Worten näherkommen. Haptisch sogar. Durch Druckerpresse und dazugehörige Holzbuchstaben. „Wir möchten einfach die Kinder zur Sprache führen“, sagt Fischer. Mit inkludierter Exkursion ins Gutenberg-Universum, ins Reich der Tintenkleckse und Druckfarbe, die auch mal an den Fingern kleben darf. Die Worte in Lustenau schauen auch irgendwie anders aus als sonst irgendwo auf der Welt.
Dafür hat auch das Designduo Walking Chair, Fidel Peugeot und Karl Emilio Pircher, gesorgt: Für das „W*ort“ haben sie einen eigenen Schriftsatz entworfen. Ein Büchlein haben sie schon im letzten Jahr damit gesetzt: die „100 Snapshots of Guerilla Survival Props“ des belgischen Designvordenkers Max Borka. „Irgendwie ist das auch der theoretische Unterbau für unser Projekt“, sagt Fischer. Schließlich traut Max Borka in seinen Schriften kleinen Gruppen von idealistischen Menschen schon große Dinge und gesellschaftliche Veränderungen zu. Wie einst auch Che Guevara. Deshalb folgt für Borka die Form auch nicht der Funktion, sondern der „Foco“, der kleinen kämpferischen Truppe von Revolutionären.

Etwas kleinere Erfolge sollen zunächst für die Kinder auf dem Programm stehen. „Wir wollen auch Holzbuchstaben zum Drucken mit unserer Schrift anfertigen lassen“, erzählt Fischer. Für Postkarten, Muttertagsgratulationen und andere Worte, die man loswerden will. Auch ein pensionierter Drucker ist bereits Teil des Lustenauer Expertenpools. Er erklärt, wie man die Druckmaschine nutzt, aber auch, wie man sie wieder sauber bekommt. So bringen sich die Lustenauer mit verschiedensten Workshops ein. Und das Designstudio Walking Chair mit ihren Möbeln und noch ganz anderen gestalterischen Ideen, die sich schon vor einem Jahr abgezeichnet haben.
Damals philosophierten die Designer ausführlich mit den Kindern. Über Fragen wie: Was ist ein Klecks? Und was unterscheidet ihn vom Fleck? Schließlich wurde das Klecksen zur gestalterischen Hauptstrategie von Walking Chair: Dem Logo sieht man es an.  Aber auch den LED-Leuchten an der Decke: Sie sind Spiegelkleckse. „Der Raum ist extrem niedrig mit 2,20 Metern, da mussten die Leuchten so flach werden“, erzählt Fidel Peugeot.
Dazu kommen Möbel aus dem Designvokabular von Walking Chair, die als Dauerleihgaben in Lustenau einen Platz gefunden haben. Wie etwa die „You may“-Kommunikations-Options-Möbel. Auch die Disziplin Wortschöpfung liegt Fidel Peugeot in der Kreation am Herzen. Deshalb beschäftigt er sich gerade mit Neologismen wie „W*ortortografie“ oder „W*ortiade“, wie er erzählt. 

Tipp

Ein Ort für das Wort. Der Verein „W*ort“ in Lustenau veranstaltet Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Angeschlossen sind eine Cafeteria und ein Shop. Siehe auch facebook.com/wortlustenau

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