Vitra Campus: Die schräge Feuerprobe

Zaha Hadid baute ihr erstes Haus am Vitra Campus in Weil am Rhein. Zum Jubiläum kehrte sie 20 Jahre später zurück.

Eine Millisekunde kann alles einfrieren: die Bewegung, die Dynamik, den zuckenden Blitz. Wie in einem extrem kurz belichteten Augenblick scheint das Gebäude spitzwinkelig in alle möglichen Richtungen zu streben. Als würde es nicht gern dort bleiben wollen, dort, wo ein Entwurf von Zaha Hadid erstmals eine Heimat abseits des Zeichentisches gefunden hat. Und einen Bauherren, der sich traute. Rolf Fehlbaum war es. Als CEO von Vitra lässt er vor allem Möbel bauen, Tausende im Jahr. Und alle paar Jahre lässt er auch Bauwerke errichten, wenn er sie nicht von irgendwoher nach Weil am Rhein versetzt. Wie die berühmte Tankstelle von Jean Prouvé aus den 1950er-Jahren, den „Dome“ von Buckminster Fuller. Oder zuletzt den Prototyp von „Diogene“, der Hausminiatur von Renzo Piano, die kaum größer ist als sechs Quadratmeter.

Fehlbaums Gespür. Natürlich ohne es zu wissen bevorzugt Fehlbaum regelmäßig Architekten, die später zu Pritzker-Preisträgern werden. Wie Zaha Hadid, elf Jahre nachdem ihr Feuerwehrhaus auf dem Betriebsgelände von Vitra 1993 eröffnet worden war. Zum ersten Mal sind damals die statisch kaum zu bändigenden Linien von Hadid in den dreidimensionalen Raum hinausgetreten. Als Zeichnungen hatten sie schon früher Aufmerksamkeit in der Architekturszene erregt. Doch zum ersten Mal durften die Striche auf Papier, die Vektoren auf dem Computer, in die Realität hinaus. 

Und diese Wirklichkeit heißt heute zwanzig Jahre später auch: Zaha Hadid gehört zu den Stars der Architekturszene. Ihr Büro ist mehr ein Architekturkonzern mit fast 400 Mitarbeitern. Den Pritzker-Preis bekam sie bislang als einzige Frau. Und an dieser klebt das Klischee der launenhaften Diva so beharrlich wie der Vorwurf der Unbenutzbarkeit an ihren Bauwerken. Auch dem Feuerwehrhaus in Weil am Rhein bei Vitra sagte man genau das nach: spektakulär, aber unbrauchbar. Doch Rolf Fehlbaum löscht das Gerücht rechtzeitig zum 20-jährigen Jubiläum aus dem umfangreichen Katalog der Mythen, die Hadid bereits heute umgeben: „DasFeuerwehrhaus hat immer gut funktioniert“, sagte Fehlbaum. Trotzdem wird es heute ganz anders genutzt auf dem Vitra Campus: als Ort für Konzerte, Konferenzen, Austellungen und andere Events. Die Feuerwehr von Weil am Rhein übernahm die Aufgaben und die Verantwortung von der halbprofessionellen Betriebsfeuerwehr. Sie war notwendig geworden, weil damals, Anfang der 1980er-Jahre, der Blitz einschlug.

Der Campus entsteht.
Dieses Gewitter im Juli 1981 hat einiges ausgelöst. Einen Brand, der die Hälfte der Produktionsgebäude von Vitra vernichtete. Von da an verwandelte sich das Betriebsgelände allmählich in den Vitra Campus, in eine Architekturgalerie, für die große Namen Exponate beisteuerten. Auch ein Gebäude für die Betriebsfeuerwehr sollte schließlich her. Und so durfte Zaha Hadid ihre eigenen Ideen durch das Gelände blitzen lassen. Hadid hätte ja auch gern einmal einen Stuhl entworfen für Vitra. „Doch Rolf gefiel keiner meiner Stühle“, sagte Hadid. „Feuer“, dachte, hingegen Rolf Fehlbaum, „das wär doch was für Zaha“. Ihre Zeichnungen hatten es ihm angetan: „Ihre architektonischen Kompositionen bestachen alle durch Mobilität, Geschwindigkeit, Leistungsfähigkeit. Zaha war die perfekte Wahl für eine Feuerwache.“ Und Hadid zeichnete Dutzende Entwürfe für das Haus, das ihr erstes werden sollte. „Wenn jemand ein Feuerwehrhaus braucht, wir haben einen ganzen Katalog davon“, scherzte sie, als sie an den Ort zurückkam, an dem die explosionsartige Dynamik ihrer Bauten zum ersten Mal Beton wurde.

Ab diesem Zeitpunkt setzte sie materielle Zeichen auf der ganzen Welt, in Innsbruck, Wien, Wolfsburg, Glasgow, London und in den letzten Jahren verstärkt im arabischen und asiatischen Raum. Ende September wird Hadid wieder in Wien sein. Wenn das Library and Learning Center der neuen WU im Wiener Prater fertig sein wird. Mitte Juni saß sie vor dem Tor zur Garage, in der ein paar Jahre lang die Feuerwehrautos, in dramatischem Licht von unten inszeniert, geparkt hatten. Zwanzig Jahre lang hat das Feuerwehrhaus angespannt darauf gewartet, endlich explodieren zu dürfen in alle Himmelsrichtungen, die kippenden Wände, die Linien, die sich in die Ferne flüchten. Im Gebäude selbst suchen die Augen instinktiv die Ruhe, die Gerade, die Balance. Und werden stets getäuscht von Kippeffekten und Linien, die aus Gestaltungs- und Wahrnehmungskonventionen auszubrechen scheinen. Zum 20-jährigen Jubiläum durften sich Hadids Linien auch in einer Installation materialisieren. Swarovski hatte sie beauftragt. „Prima“ greift dabei zurück auf die Dynamik der Originalentwürfe Hadids für das Feuerwehrhaus, lässt die Striche, Linien und Flächen aus den Skizzen in die Dreidimensionalität heraustreten. „Durch die Installation vor dem Feuerwehrhaus bekommt auch das Gebäude neue Energie“, sagt Rolf Fehlbaum.

Kraftprobe. Zaha Hadids Architektur fordert die Kräfte heraus. Jene der Vorstellung, wie Architektur in Zukunft aussehen könnte. Und die physikalischen natürlich. Die Computerprozessoren laufen heiß unter ihren Entwürfen. Denn sie überragen, ragen heraus, hängen, kippen, fliehen, laufen aus und zerfließen zu Landschaften. Patrik Schumacher, ihr Büropartner, konstruiert den theoretisch-philosophischen Überbau dazu, einen Architekturstil, der auf die Komplexität der gegenwärtigen Gesellschaft adäquat antworten soll: Parametrismus nennt er ihn. Ein „internationaler Stil“, den das Büro Zaha Hadid Architects kulturell grenzenlos in die Welt setzt. Digitale Entwurfstechnologien lassen ihn entstehen und morphen die internationalen Bauprojekte zu Ikonen der Gegenwartsarchitektur, die Skisprungschanze am Bergisel, das Phaeno-Center in Wolfsburg, die Oper in Guangzhou, den Aquadome in London, das Riverside Museum in Glasgow. Das Problem ist nur, sagen Kritiker, dass Zaha Hadid manchmal Antworten baut, für die es keine Fragen gab, zumindest keine gesellschaftlichen des Alltags. Den die bilden sich in Hadids Ikonen eher weniger ab.

Die Typologie „Haus“ haben Herzog & de Meuron sehr ernst genommen bei ihrem Entwurf, den sie 2010 realisierten. Haus auf Haus auf Haus stapelte das Schweizer Architekturbüro zum „Vitra Haus“, der Showroom-Heimat der „Home Collection“ des Möbelherstellers. Der Entwurf fügt sich in eine Reihe, indem er sich wie alle anderen auf dem Vitra Campus gerade nicht fügt: Ein Patchwork aus unterschiedlichsten  Zugängen zur Architektur ist dort in Weil am Rhein, nahe der Schweizer Grenze, entstanden. Gemeinsam ist den Gebäuden, dass sie von den größten der Branche ersonnen wurden.

Den Anfang hat Nicholas Grimshaw gemacht, 1981 nach dem großen Brand stellte er innerhalb von sechs Monaten – eine Vorgabe der Versicherung – die erste Produktionshalle wieder her. 1989 wurde das Vitra Design Museum von Frank Gehry fertig. Genauso wie eine weitere Produktionshalle. Im Jahr 1993 folgte die Eröffnung des Feuerwehrhauses von Zaha Hadid. Sowie des Konferenzpavillons des Japaners Tadao Ando – das erste Bauwerk, das der japanische Architekt außerhalb seines Heimatlandes konstruierte.

Der Vitra Campus und seine Architekten

In einen Kirschbaumhain hat der Architekt das Gebäude gesetzt, in eine Mulde abgesenkt, mit Glas großzügig mit der Umwelt verbunden und einen „meditativen Pfad“ bis zum Eingang gelegt. Jeder sollte einzeln und konzentriert eintreten in die Räumlichkeiten, die auch kartausengleich die Einkehr in die eigenen Gedanken unterstützen sollen. 
Die nächste Produktionshalle wurde vom Portugiesen Álvaro Siza geplant und 1994 umgesetzt. Sein Bau tritt respektvoll zurück, um den Blick auf Hadids Feuerwehrhaus nicht zu verstellen.

Zuletzt durften SANAA Architekten aus Japan im Jahr 2012 die Fassade ihrer Produktionshalle fertigstellen. Sie verbanden zwei halbrunde Betonschalen miteinander. Die elliptische Form begünstigt die logistischen Abläufe. Denn Lkw können zahlreicher und einfacher an der Halle andocken. Das gesamte Volumen umhüllt gewelltes weißes Acrylglas, das den riesigen Baukörper wolkenleicht wirken lässt.

Die Reise des Autors nach Weil am Rhein wurde ermöglicht von Vitra.

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