Marco Dessí: Die Melodie der Formensprache

Sitzkomfort. Marco Dessí lehnt sich auf seinem neuesten Entwurf zurück.
Sitzkomfort. Marco Dessí lehnt sich auf seinem neuesten Entwurf zurück.(c) Norbert Philipp
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Auch Sofas haben Rhythmus. Und können stimmig wirken wie Akkorde, meint ein Wiener Designer aus Südtirol: Marco Dessí.

Wo sich Wiens Gasslwerk am schönsten verzweigt, dort verzweigen sich auch Marco Dessís Gedanken. Zuletzt hat er in seinem Atelier in der Schönlaterngasse intensiv darüber nachgedacht, wie er eine typologische Lücke in der Kollektion der Wittmann Möbelwerkstätten schließen kann: Ein Sofa als Verwandlungskünstler, das hat noch gefehlt. Mit Akribie und sympathischer Verbissenheit hat er Höhen, Tiefen, Breiten, Radien, Kurven und Wölbungen austariert; so ist das Sofa „Palais“ entstanden  – auf der Möbelmesse IMM Cologne hält es dieser Tage gerade den prüfenden Blicken und den unzähligen Probesitzern stand. In Köln wird traditionell das Möbeljahr intoniert. Und für diesen Auftakt hat sich Dessí mit einem eingängigen Designstück eingeschwungen: ein harmonischer Akkord aus detaillierten Gestaltungsentscheidungen. Für das „Schaufenster“ hat Marco Dessí schon einmal auf dem neuen Entwurf Platz genommen.
Und plaudert darüber, was in einem Sofa außer Schaumstoff verschiedener Härten und Dichten sonst noch stecken kann.

Wittmann und Marco Dessí. Das scheint ja zu einer Langzeitbeziehung zu geraten. Sind Sie schon Teil der Familie?
Ich bin tatsächlich in letzter Zeit fast alle zwei Wochen beim Hersteller in Etsdorf am Kamp. Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, mit Wittmann zu arbeiten, damals noch ganz ohne Erfahrung im Polstermöbelbereich. „Odeon“ war das erste Resultat davon, dann kam das Fauteuil „Mono“, die Satztische „Bristol“ und nun eben „Palais“. Mein erstes großes Sofa.

Wandelbar. Das Sofa „Palais“ von Wittmann wird in Köln präsentiert.
Wandelbar. Das Sofa „Palais“ von Wittmann wird in Köln präsentiert. (c) Beigestellt

Sofas sind ja landläufig recht raumgreifende Objekte. Wie zähmt man als Designer die Volumina?
Hohe Sitzhöhe und hohe Rückenlehne waren
Anforderungen aus dem Briefing. Damit man sich leicht hinsetzen und einrichten kann auf dem Sofa. Aber auch wieder aufstehen. Und unter dieser Voraussetzung ist es tatsächlich nicht so einfach, dem Sofa eine gewisse Leichtigkeit mitzugeben. Aber wir haben mit den Holzkufen der Basis visuell Gewicht entzogen und statt eines massiven Blocks rhythmisch akzentuierte Volumina geschaffen.

Polstermöbel wie Sofas gehorchen ja auch so manchen Konventionen. Wie kann man da gestalterisch aus der Reihe tanzen?
Als Designer kommt man ja nicht zum Hersteller, um das zu tun, was sie eh schon immer gemacht haben. Das Sofa „Palais“ erschließt etwa ein neues Repertoire an Konfigurationen und Materialien, auch mit Glas oder Stein. Und so etwas hat Wittmann auch noch nie gemacht. So erzeugt man unterschiedlichste Anmutungen und Wirkungen ein und desselben Entwurfs. Das Sofa ist heute undogmatischer als noch vor ein paar Jahren, es steht etwa nicht mehr nur an der Wand, sondern ebenso in der Raummitte. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass es auch von hinten gut aussieht.

Wie nähert man sich als Designer der großen Aufgabe eines großen Sofas?
Man muss sich als Designer eben fragen, was man beitragen kann. Dazu muss man sich natürlich auch eine Position beim Hersteller erarbeiten. Zunächst versucht man, die Möbel der bestehenden Kollektion zu verstehen, ihren Aufbau, ihre Konstruktion. Und dann auch die Konkurrenz zu verstehen und überhaupt den Möbelmarkt. Man muss sich da als Designer natürlich auch auf die Anforderungen dieses Markts einlassen, um zu sehen, in welchem Rahmen man sich bewegen kann. Ich gehöre zu den Designern, die das Echte suchen, die Möbel aus einer konstruktiven Logik heraus gestalten, nicht nur bekannte Typologien mit stilistischen Merk-malen anreichern wollen. Ein konstruktiv gedachtes Möbel ist ein intelligentes Möbel. Und ein solches kann man eigentlich „anziehen“, wie man will. Es wird immer funktionieren. So wie die Klassiker, die immer wieder in neuen Farben, Stoffen und Editionen neu aufgelegt werden. Das sind immanente Gestaltungsqualitäten.

Glasobjekt. Für Lobmeyr gestaltete Marco Dessí den Luster „Basket“.
Glasobjekt. Für Lobmeyr gestaltete Marco Dessí den Luster „Basket“.(c) Beigestellt

Wie gehen Sie auf das – gerade in der Möbelbranche – viel beschworene Thema Handwerk und Handwerklichkeit zu?
Von hochwertigen Möbeln kann man handwerkliche Qualität und Details erwarten. Wenn man zu einer Möbelmanufaktur wie Wittmann kommt, beobachtet man, staunt und spricht miteinander. Man beginnt zu verstehen, warum welche Nähte genau dort sitzen, wo sie sitzen. Es ist ein Prozess der permanenten Kommunikation. Es ist auch wichtig, einen Draht zu den Handwerkern zu finden, die dort arbeiten. Vielleicht hilft es mir, dass ich ursprünglich als Zahntechniker gearbeitet habe – zumindest um
ein Grundverständnis für manche handwerkliche Produktionsabläufe aufzubringen. So sind vielleicht manche Vorschläge, die ich bringe, schon sehr
konkret in ihrer Realisierbarkeit. Als Designer kommt man eben auch zum Hersteller, um Dinge anzustoßen, die noch nie gemacht worden sind.

Wie behält man bei Möbeln, die der Nutzer selbst konfigurieren kann, als Gestalter die Kontrolle über den Gesamteindruck?
Viele Details fügen sich in einem Sofa zu einer Einheit, zu einer komplexen Persönlichkeit, die viele Ideen in sich aufnimmt. Der Grundansatz muss einfach stimmen. Dann ist auch der Gesamteindruck trotz unterschiedlichster Materialien stimmig. So wie viele Noten, die zusammen klingen. Wie ein Akkord. Es sind Radien, die mit anderen Radien korrespondieren. Es sind Linien, die man in anderen Linien wieder aufnimmt. Wölbungen, die fein austariert sind. Und das Ganze steht auf einem Kern der konstruktiven Logik. Schließlich konstruiere ich etwas. Ich bin ja kein Dekorateur. Es gibt genug größenwahnsinnige Designer, die glauben, die Welt hätte nur auf ihre neue Form gewartet.

Tipp

IMM Cologne. Auf der Möbelmesse in Köln präsentieren die internationalen Möbelhersteller ihre Neuheiten. So auch Wittmann. Noch bis 24.  Jänner.

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