Barbara Husar: Die Nerven liegen blank

(c) Christine Pichler
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Barbara Husar zeichnet Nervenstränge und Nabelschnüre. Die Stille der Wüste ist ihre Inspiration.

Die Fassade, hinter der sich Barbara Husars Atelier verbirgt, ist unauffällig. Einzig ein neonroter Punkt auf der Gegensprechanlage verrät die ehemalige „Zuckerlfabrik“, in der die Vorarlbergerin, Jahrgang 1976, vor einem Dreivierteljahr ihre Zelte aufgeschlagen hat. Hier hält sie inne von ihren Reisen, die sie regelmäßig auf die Halbinsel Sinai führen, wo sie mehrere Monate im Jahr im Verband eines Beduinenstammes lebt und ihre eigene Herde betreut. „Vitamellenbonbons“ wurden hier einmal hergestellt, im zugehörigen niedrigen „Knusperhäuschen“ im Hof Teegebäck. Nun trennt ein roter Vorhang das Häuschen vom übrigen Hof ab, Holzscheite glimmen in einer Metallschale, darüber steigt Rauch auf. Eine gewisse nomadische Atmosphäre ist nicht von der Hand zu weisen, als hätte Barbara Husar sie aus der Wüste importiert. „Das ist mein Experimentierlabor“, sagt sie. Aktuell hat sie hier ihr künstlerisches Universum ausgebreitet, darunter den „Meteoritenkreis“, eine Landart-Skulptur aus Wüstenfunden, und ein Miniaturriesenrad, an dem sie anstelle der Gondeln Langhalsdinosaurier-Wirbel montiert hat. „Die Wirbel stammen aus dem Teil des Schwanzes, wo sich der Markkanal befindet – also die Verlängerung der Nabelschnur und damit der Sitz der meisten Information“, sagt sie. „Im Riesenrad schließe ich diesen Kreislauf.“
Information ist auch das Thema mehrerer aus Fritteusen und Drahtkörben zusammengesetzter Skulpturen. Sie sind Empfängerstationen zur Erweiterung der Wahrnehmung und in ihrer archaischen Einfachheit Sinnbilder einfacher Netzwerke. Die Wände sind voll mit Zeichnungen, Fotos, Stempelarbeiten und Bildern, auf denen bald bunte Frösche dargestellt sind, bald Dinosaurier – die ältesten Tiere der Welt vis-à-vis von den Jungen. „Die Frösche helfen mit ihren Sprüngen, die Synapsen zu verstehen“, sagt Husar. Alle sind sie auf Planen gemalt, auf Säcken oder Rettungsdecken als Reminiszenzen an ihre Wüstenaufenthalte. „So groß die Bilder ausfallen, sie müssen immer rollbar sein, damit ich sie in der Stadt auf dem Fahrrad transportieren kann“, erklärt die Künstlerin. „Das ist das Prinzip: Alles muss leicht im Handling sein. My bike is my camel.“

Aida und die Beduinen. Mit 19 reiste sie erstmals in die Wüste – und kehrt seither immer wieder zurück auf den Sinai: „Er ist nicht nur eine der geschichtsträchtigsten Wüsten, von den Pharaonen und der Bibel bis zur Gegenwart, er ist auch geologisch interessant, weil er zur Gänze aus Urgestein besteht. Die Beduinen sind die Hüter dieses alten Kulturguts.“ Früh schon lernte Husar den Stamm der Tarrabeen kennen, eroberte deren Vertrauen und bekam von ihnen einen Wüstennamen: Aida.
Die Sprachbarriere war kein Hindernis, ebenso wenig die nomadische Lebensweise. Lange Zeit zeichnete Husar still vor sich hin. Konvolutweise entstanden fragile Zeichnungen, in denen sich die junge Künstlerin früh mit Nervenstrukturen, Synapsen und anderen Vernetzungen beschäftigte. „Die Stille, Leere und Weite der Wüste waren Auslöser für meine Beschäftigung mit Kommunikationsflüssen“, erinnert sie sich. Sie sammelte Schuhschnallen und baute daraus synaptische Objekte.
„Ich wollte aber auch das Fließen der Information darstellen.“ Dafür kristallisierte sich als Sinnbild mehr und mehr die Nabelschnur von Lämmern heraus. Der Plan war, sie von den Beduinenfrauen zu kaufen, um daraus eine Hängematte zu knüpfen. Das Kaufansinnen stieß allerdings auf Ablehnung, da die Beduinen in der Nabelschnur den Sitz der Seele vermuteten. „Sie schlugen aber vor, ich solle mir eine eigene Herde kaufen und mir persönlich mit Allah ausmachen, dass ich diese in meine Kunst transferiere.“

Schlussendlich erstand sie mit Unterstützung der Beduinen sechs Ziegen, mittlerweile ist die Herde auf 35 Tiere angewachsen. Einen Teil des Jahres betreut Husar sie selbst und zieht mit ihr durch die Wüste, ausgestattet nur mit einem Überlebenspaket und einer Kalaschnikow, die ihr die Beduinen nahegelegt und besorgt haben. Die übrige Zeit hütet Beduinin Hathra mit ihrer Tochter Faruga die Herde und sammelt die Nabelschnüre der Neuankömmlinge. Mittlerweile verkaufen ihr auch die anderen Beduinenfrauen sonnengetrocknete Nabelschnüre. „Die Beschäftigung mit der Nabelschnur hat mir viele künstlerische Identitäten gegeben. Ich habe viel gelernt – über mich, über die andere Kultur, über den Austausch. Neben den geheimnisvollen Schnüren, die die Nabelschnüre darstellen, sind für mich die Informationen, welche durch die Begegnung mit den Hirtinnen zu mir fließen, ebenso wesentlich.“

Die Kunst ist der Weg. Jetzt steht die geheimnisvolle Skulptur dieser Hängematte aus Nabelschnüren am Horizont ihres Kunstprojekts. „Sollte es aus politischen Gründen nicht mehr möglich sein, das Projekt fortzuführen – das Gebiet ist ja nur 70 Kilometer vom Gazastreifen entfernt –, werde ich die Hängematte schon früher knüpfen. Aber jetzt ist noch so viel möglich. Meine Kunst ist der Weg dorthin.“

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